Wir sind zu Besuch bei Emma Wrede, der letzten Bewohnerin des Kavalierhauses in Gifhorn, oder vielmehr zu Besuch in ihrer Wohnung, denn Frau Wrede lebt hier seit 1992 nicht mehr. Nach ihrem Tod 1997 vermachte die Familie auf Herzenswunsch der alten Dame die Wohnung mit ihrem Inventar an den Landkreis Gifhorn, der ein Museum für bürgerliche Wohnkultur daraus verwirklichte. Das Kavalierhaus ist heute im Besitz der Bürgerstiftung des Kavalierhauses, die Trägerschaft des Museums übernimmt nach wie vor der Landkreis. Einzigartig in seiner Art, da es eine authentische Wohnsituation aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis ins Detail widerspiegelt. Emma Wredes Museum – heute heißt es EMMA – Museumswohnung im Kavalierhaus Gifhorn – ist dafür da, um Erinnerung zu wecken und um Geschichte anfassbar und lebendig zu machen.
Ein Haus mit eindrucksvoller Fassade
Der erste Blick fällt sofort auf die eindrucksvolle weiße Steinfassade des Kavalierhauses, das aus den üblichen Fachwerkhäusern der Gifhorner Fußgängerzone, dem Steinweg, heraussticht. Auffällig ist die Ähnlichkeit des Hauses zum Gifhorner Schloss mit dem Historischen Museum und der Schlosskapelle, was sicherlich ihrem Baumeister Michael Clare zu verdanken ist, der beide Bauwerke entworfen hat. Renaissance im Weserraum, was gut am Treppengiebel und dem über zwei Geschosse laufenden Standerker sichtbar ist. Die Rückseite des Hauses besticht durch seinen ziegelroten Anstrich und das mächtige anthrazitgraue Fachwerk. Ein ganz besonderes Kleinod eben, das hier seit 1546 verweilt. „Kavalier“haus wird es heute genannt, da es im Auftrag von Caspar von Leipzig, Hofmarschall von Herzog Franz, gebaut wurde. Hier soll also Emma Wrede gewohnt haben.
Die Wohnung der alten Dame – ein Museum für bürgerliche Wohnkultur
Wir gehen die Treppenstufen hoch und öffnen die hölzerne Eingangstür. Eine weitere Treppe führt nach oben in das Reich der alten Dame. Die Treppe knarrt. Erhöht auf einer Estrade bietet sich von der sogenannten Lästerecke ein wunderbarer Ausblick auf den Steinweg, der heutigen Fußgängerzone. Wenn wir uns vorstellen, wie Emma Wrede mit ihrer Freundin hier sitzt und Kaffee trinkt, wird deutlich, warum die alte Dame den Platz so mochte. Sie haben sich bestimmt viel zu erzählen und können dabei die Menge und den Trubel auf dem Marktplatz verfolgen.
Ein Haushalt verschiedener Generationen
Wenn wir uns in der Wohnung von Frau Wrede weiter umschauen, stellen wir fest, dass alles sehr ordentlich ist und jedes Ding seinen Platz hat. Ein Sammelsurium aus vielen verschiedenen Epochen und Generationen, von den Großeltern bis hin zu Emma Wrede selbst. Aus dem 19. Jahrhundert, den 30er und den 50er Jahren, es gibt viel zu entdecken. Hier wurde nichts weggeworfen, was noch brauchbar war, sondern ideenreich verwendet und verarbeitet. Funktional und praktisch, so wie die nostalgische Tischlampe neben dem Wohnzimmersessel, die aus einem ausgedienten Petroleumfuß und einem Lampenschirm gefertigt wurde.
Ein altes Grammophon steht neben der Lästerecke. Eine Schallplatte liegt noch obenauf. Die Nadeln, die zum Abspielen der Platten genutzt wurden, liegen in einem Fach daneben. Wenn wir so weiterschauen, überkommt einen das Gefühl, dass Emma Wrede noch hier ist, vielleicht ist sie nur kurz aus dem Haus gegangen. Wenn sie wiederkäme, dann würde sie sich jederzeit zu Recht finden. Denn alles wurde hier so belassen, wie sie es verließ.
Wie sich die Bewohner betteten
Wir gehen über die Diele in das alte Schlafzimmer der Eltern von Emma Wrede, das früher dort untergebracht war, wo heute das Badezimmer ist. Auch einen Blick ins Schlafzimmer von Wredes dürfen wir werfen, was zu Lebzeiten sicherlich unerhört gewesen wäre. Mobiliar aus den 30er Jahren, Daunenbetten und ein alter Waschtisch, auf dem noch ein goldverzierter Krug und eine Waschschüssel stehen, können wir entdecken. Lange Zeit war dies die einzige Waschmöglichkeit in den Räumlichkeiten. Toiletten gab es nur auf dem Hof. Sie befanden sich in einem extra Häuschen, das Franz Brandes für sein Hotel bauen ließ. Erst in den 50er Jahren kam ein Badezimmer in der Wohnung dazu.
Gut gekleidet
Im Schrank des Schlafzimmers hängen noch ein schwarzes Spitzenkleid von Emma Wrede und der Sonntagsanzug ihres Mannes. Ausgehfertig und für jeden Anlass gut gekleidet, waren wohl ein wichtiges Statement zu dieser Zeit. So ist der Aussteuerschrank mit Leinentüchern, Tischdecken, Servietten und vielen weiteren Accessoires auch gut gefüllt. An einem Kleiderständer daneben hängen Alltagskittel und ein mit Rosen verzierter Sonntagskittel von Frau Wrede.
Küche und Speisekammer
Die Küche und die Speisekammer waren eine der viel genutzten Räume der alten Dame. Ein alter Holz-Kohle-Herd der Firma Senking befindet sich gleich neben der Tür, rechts daneben ein moderner Gasherd. Auf den gusseisernen Platten stehen noch Kessel und Töpfe. Die Speisekammer ist gut befüllt mit haltbaren Lebensmitteln, Töpfen, Pfannen, nostalgischen Dosen und mit einer Reihe von altbewährten Putzmitteln. Emma Wrede putzte täglich und hielt alles in Stand, so dass sie, obwohl sie allein lebte, lange Zeit selbständig blieb.
Der Dachboden und das Lastenrad
Nach der Besichtigung der Wohnräume geht es auf den Dachboden des Hauses. Hier waren die Bediensteten untergebracht, eine Räucherkammer eingerichtet, deren Wände und Balken schwarz vom Rauch gefärbt sind, und Waren gelagert. Ein Lastenrad aus der Zeit um 1700, das von einer Person angetrieben wurde, wurde für das Heraufziehen von Gerste genutzt. Denn damals war das Haus im Besitz der Familie Nolbeck, die das Braurecht innehatte und davon gebraucht machte. Dort, wo die Gerste gelagert war, spannte Emma Wrede ihre Wäscheleine von Balken zu Balken, an denen heute noch die Nägel herausragen.
Ein ackerbürgerlicher Garten, einer der letzten seiner Art in der Stadt Gifhorn
Hinter dem Haus erwartet uns ein typischer Garten, wie er im Ackerbürgertum angelegt wurde. Schmal und lang, jetzt viel kleiner, als er früher war, denn heute verläuft hier die Konrad-Adenauer-Straße entlang. Einer der letzten seiner Art in der Stadt Gifhorn. In der Scheune befanden sich Werkstatt, Schweine- und Hühnerstall sowie Holzlager. Ein paar Obstbäume und auch ein Celler Dickstiel, eine alte Apfelbaumsorte, wachsen im Garten und spenden Schatten. Viele Stunden hat Emma Wrede im Garten und ihrem Gemüsebeet oder in der kleinen gemütlichen Sitzecke verbracht.
Der Gewölbe-Keller
Bevor wir für heute Abschied nehmen und die Wohnung der alten Dame und ihr Haus verlassen, geht es in den Keller, ein Stichkappengewölbe und der Vorratsspeicher des Hauses. Auch dort scheint die Zeit still zu stehen, eine Reihe von Gläsern mit eingelegten Birnen, Tomaten und Kirschen stehen in einem Regal. Die alten Kartoffelkisten sind unbefüllt.
Fazit
Ein spannender Besuch und eine aufschlussreiche Führung gehen jetzt zu Ende. Aber ein Wiederkommen lohnt sich in jeden Fall, da wir so viele Eindrücke gewonnen haben, aber mit Sicherheit noch nicht alles gesehen haben. Und Emma Wrede, die würde sich bestimmt darüber freuen, dass ihre Wohnung im Kavalierhaus weiterhin gut besucht ist.
EMMA – Museumswohnung im Kavalierhaus ist samstags von 11 bis 13 Uhr und sonntags von 14 bis 16 Uhr (Stand 2024) oder im Rahmen einer Führung zu besichtigen.
Alle Infos zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen und Führungen:
https://www.museen-gifhorn.de/emma-museumswohnung-im-kavalierhaus-gifhorn
Jörn meint
Toller Beitrag zu einem tollen Museum, sehr schön beschrieben und eindrucksvoll geschildert. Das macht richtig Lust, mal wieder ins Kavalierhaus zu gehen!