Der kleine Ort Vollbüttel liegt rund zehn Kilometer südwestlich von Gifhorn und zählt ein paar Hundert Einwohner. Idyllisch und ruhig ist es hier. Viel roter Backstein ist zu sehen und die Vorgärten sind gepflegt. Mitten im Ort befindet sich das, wofür Vollbüttel bekannt ist: das Museum für Kinematographie, oder kurz Kinomuseum.
Über 100 Jahre Kinematographie
Im Duden heißt es: „Die Kinematographie ist das Gebiet, das die Gesamtheit der Grundlagen und Verfahren bei Aufnahme und Wiedergabe von Filmen umfasst; Filmtechnik, -wissenschaft, -kunst“. Das klingt ziemlich theoretisch. Aber das Kinomuseum schafft es, die Kinematographie erlebbar zu machen und unterhaltsam zu präsentieren. Das Museum beschäftigt sich mit der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Kinos und zeigt all das, was man als Kinobesucher nicht zu sehen bekommt. Nämlich die Technik, die die Illusion schafft, dass wir durch ein Fenster in eine andere Welt blicken können. Und die dafür sorgt, dass uns eine schnelle Abfolge von Einzelbildern so faszinieren kann. In Vollbüttel kann man Dutzende Film- und Videokameras, Kinoprojektoren, historische Mikrofone, Fernsehprojektoren und sogar eine Schallplattenschneidemaschine sehen. Es gibt einen Schneideraum und – natürlich – ein Kino.
Hinter dem Kinomuseum steht ein Verein
Das Kinomuseum existiert seit 1997 und wird vom „Verein der Freunde und Förderer des Museums für Kinematographie e. V.“ getragen und betrieben. Der Verein hat rund 90 Mitglieder. Wolfgang Graewert ist seit rund 15 Jahren dabei und führt mich durch das Museum. Der 84-jährige ist mit Fernsehtechnik aufgewachsen, denn sein Vater hatte ein Radio- und Fernsehgeschäft im Nachbarort. Als Ingenieur hat ihn das Thema ein Leben lang begleitet. Und das merkt man sofort, denn er kann unglaublich viel zu den Ausstellungsstücken erzählen. Und das tut er nicht trocken und sachlich, sondern in einer Art und Weise, die seine Leidenschaft für Kino- und Fernsehtechnik spüren lassen. Aber Graewert erzählt nicht nur, er zeigt auch viel, er öffnet Klappen, drückt Schalter, setzt Geräte in Gang und erklärt, was passiert.
Vom Winde verweht und Ben Hur auf 70 Millimetern
Ein Herzstück der Sammlung ist der DP70 von Philips, ein 70-mm-Filmprojektor aus dem Jahr 1964. Davon gibt es nur noch sehr wenige betriebsbereite Exemplare in Deutschland, dieses stammt aus dem Imperial Kino in Wolfsburg. 70 Millimeter entsprachen der doppelten Breite eines damaligen Standardfilms. So wurden mit diesem Projektor insbesondere bildgewaltige Monumentalfilme wie „Vom Winde verweht“ oder „Ben Hur“ vorgeführt.
Kino- und Fototechnik aus 100 Jahren
Insgesamt sind etwa 20 Kinoprojektoren in der Ausstellung zu finden, sie stammen alle aus der Zeit vor der Digitalisierung. Der Ernemann Imperator wurde von 1909 bis 1933 gebaut und war mit 15000 Stück der meistverkaufte 35mm-Projektor in Europa.
In einer Vitrine sind 16mm- und 35mm-Kameras ausgestellt. Highlights sind die Actionmaster von Photosonics, die bis zu 500 Bilder in der Sekunde aufnehmen kann und die Ernemann Kinette, eine 35mm-Kamera mit Handkurbel aus dem Jahr 1925.
Die 60 Kilogramm-Filmrolle im Kinomuseum
Ein ganz besonderes Exponat des Museums ist seit Beginn der Saison 2019 eine IMAX-Filmrolle. Die Rolle stammt aus dem Technikmuseum in Speyer, in dem sich das einzige bespielte IMAX-Dome-Kino in Deutschland befindet. Die Filme werden dort auf eine 800 Quadratmeter große Kuppel projiziert. Diese gewaltigen Ausmaße spiegeln sich auch in den Maßen der Technik wieder. Die Filmrolle, die den 42-Minuten-Film „The Magic of Flight“ zeigt, hat einen Durchmesser von über einem Meter. Sie wiegt rund 60 Kilogramm und hat eine Länge von über 1500 Metern. Über der Filmrolle wird die Magnettonrolle gezeigt, darüber die Xenonlampe mit beeindruckenden 15000 Watt.
Fernsehtechnik zum Staunen
In einem separaten Raum werden Fernseher und Fernsehtechnik präsentiert. Hier fühlt sich Wolfgang Graewert besonders wohl. Mich beeindruckt vor allem die Technik, die nötig war, damit eine Kamera funktioniert. Dutzende Schaltungen und Kabel und Lötstellen sind zu sehen, hier scheint keine technische Ordnung zu herrschen, sondern ein unübersichtliches Wirrwarr. Und das war noch nicht alles, denn zu der Kamera gehört noch ein mannshohes Gestell, das zur Ansteuerung benötigt wird. Unglaublich, wenn man bedenkt, was für Videoaufnahmen man heute mit einem kleinen Smartphone machen kann.
Links daneben stehen zwei Fernsehgeräte aus den 50er-Jahren, und zwar ein Loewe Opta von 1957 und ein Rembrandt der Firma Sachsenwerk aus der DDR von 1952. Wolfgang Graewert stellt den Loewe-Fernseher ein und nach etwas Wartezeit erscheint tatsächlich ein ziemlich klares Schwarzweiß-Bild.
Das Kino
Natürlich gibt es im Kinomuseum auch ein Kino. Und zwar stilecht, mit Kino-Bestuhlung, großer Leinwand und sogar einer Orgel. Und jedes Jahr im Sommer präsentiert das Museum Spielfilmklassiker beim Freiluftkino, das auf dem Hof stattfindet. Hier wurden schon „Manche mögen´s heiß“, die Gaunerkomödie „Der Clou“, Polanskis „Tanz der Vampire“ und Detlev Bucks „Wir können auch anders“ gezeigt.
Besuch des Kinomuseums
Das Kinomuseum hat im unregelmäßigen zweiwöchigen Rhythmus geöffnet. Eine Liste der Öffnungstage gibt es hier. Neben den regulären Öffnungsterminen sind dort auch die geplanten Termine von Sonderveranstaltungen für jedes Jahr aufgeführt.
Gruppenbesuche können auch außerhalb der regulären Zeiten angemeldet werden: Telefon 05373 1238.
Kinomuseum Vollbüttel
Raiffeisenstraße 11
38551 Vollbüttel
E-Mail: info@kinomuseum.de
www.kinomuseum.de
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