Bremerhaven ist jung, erst 1827 gegründet, und wurde vom zweiten Weltkrieg arg gebeutelt. So sehen die Besucher der Stadt leider nur selten Häuser mit Geschichte(n) und altmodischen architektonischen Finessen. Doch auch die gibt es! Im Stadtteil Lehe ist mit dem „Klushof“-Viertel ein fast beschauliches Viertel zu entdecken, das auch Romantiker erfreut. Und dort bin ich jüngst mit der Leiterin des Kulturamtes, Dorothee Starke, herumgelaufen. Folgt uns einfach, um einen Eindruck vom schönen Lehe zu bekommen. Ich verspreche euch einen Pferdekopf, einen außergewöhnlichen Keller, überraschend viel Grün und originelle „Kunst (a)im Bau“.
Pferdekopf mit Geschichte
Fangen wir mit dem steinernen Pferdekopf an. Der ragt unübersehbar in der Krumme Straße aus einer Hauswand und ist letztes Indiz dafür, dass in Bremerhaven noch bis 1950 zahlreiche Pferdedroschken und -gespanne die Straßen befuhren. Pferde wurden in Lehe gehandelt, es gab Ställe und Hufschmiede. Und eben ein solcher hat wohl in dem Gebäude mit dem Pferdekopf gearbeitet. Ihr seht schon auf dem Foto, das das Gebäude die beste Zeit hinter sich hat, auch der Pferdekopf würde eine Sanierung, zumindest aber eine Säuberung vertragen. Doch die ehemalige Gaststätte „Deutsches Haus“ wird mittlerweile als Flohmarktscheune genutzt – naja und das sieht man von außen eben auch…
Ganz anders steht es um das Haus gleich gegenüber in Krumme Straße 18. Die sogenannte „Villa Hanssen“, ein Kleinod des Historismus, ist bewohnt und wurde auch liebevoll saniert. Gebaut wurde das Schmuckstück im Stil der Neorenaissance 1898 vom Architekten Carl Pogge. Pogge hat seine Spuren in ganz Lehe hinterlassen. So erneuerte er die Fassade am Leher Rathaus (Brookstraße 1) und baute die Wohn- und Geschäftshäuser in der Hafenstraße 115-121.
Die Villa schmeichelt dem Auge, weil sie so wohlproportioniert ist und trotz der vielen Details nicht überladen wirkt. Die Fassade strahlt eben jene Bürgerlichkeit aus, auf die eine Stadt wie Bremerhaven – als Arbeiterstadt bekannt – stolz sein kann.
Charmanter Gewölbekeller
Gleich um die Ecke in der Lange Straße findet ihr das Bettenhaus Aissen, das schon von außen absolut sehenswert ist. Doch ganz besonders ist es der Keller des Hauses: ein Gewölbekeller. Vier Meter hoch und etwa 80 Quadratmeter groß bietet er Platz für rund 50 Menschen. Bei so manchem Jazzkonzert sollen es aber auch schon 80 Musikfreunde gewesen sein.
Denn das, was üblicherweise eine außergewöhnliche Ausstellungs- und Präsentationsfläche für gesunden Schlaf ist, wird seit den 1990er Jahren als Kulturraum genutzt. Lesungen fanden hier statt, Erzählabende und eben immer wieder Jazzkonzerte. Unter dem Titel „Grandioses im Gewölbe“ wird alljährlich im November Kunst und Musik vom Feinsten geboten. Klaro, dass in der Regel schon kurz nach dem Erstverkaufstag der Tickets diese ausverkauft sind. Ich werde mein Glück dennoch in diesem Jahr mal versuchen, drückt mir die Daumen.
Öffentlich zugängliche Gewölbekeller gibt es in Bremerhaven nur diesen. Genutzt wurde der Keller übrigens ab 1850 als Bierlager von der ebendann gegründeten Tivoli-Brauerei. Die hatte ihren Sitz in der Poststraße, nur wenige Straßen weiter. Heute arbeitet in dem einstigen Firmengebäude des Bierunternehmens ein Segelmacher – Ebenfalls über einem Gewölbekeller, der aber nicht geöffnet wurde.
Fensterblicke
Wenn ihr nun wegen des Bullauges in der Hauswand glaubt, dass in diesem Haus früher ein Kapitän gewohnt hat, dann muss ich euch enttäuschen: es ist noch spannender! Diese Guckfenster dienen nämlich einzig und allein dem neugierigen Blick auf die Straße. Wer kommt? Wer geht? Und vor allem: Wer mit wem? All das erlaubt das runde Fenster zu beantworten, das ich auf dem Rundgang durch das Viertel „Am Klushof“ zwei Mal entdeckt habe.
Kunst im Bau
Eine echte Entdeckung waren auch diese ungewöhnlichen Briefkästen:
Spannend, nicht? Die Zahl auf den Kuverts entspricht wohl dem Baujahr des Hauses, das auch noch wunderschöne Kacheln im Treppenhaus aufweist:
Folgt eurer Neugier
Leider habe ich nicht mehr im Kopf, in welchem Haus ich beide Kleinode fand. Doch ich kann euch nur dazu raten, auch mal in die Häuser hinein zu gehen, wenn diese denn offen stehen. Natürlich leise und vorsichtig, wir verstehen uns. Es sind bestimmt noch viel mehr historische „Schätze“ zu entdecken.
Ländliches Ambiente
Ganz öffentlich dagegen ist dieser Anblick, denn er befindet sich gleich neben dem Kinderspielplatz in der Krüselstraße.
Mich hat besonders die Länge des Hauses fasziniert, die wohl historisch so vorgegeben ist. Kein Wunder, denn die Flurstücke waren schmal und es galt sowohl die Tiere – ihr erinnert euch: Pferde – als auch die Menschen des Hauses unterzubringen. Manchmal sogar noch zusätzlich eine Werkstatt.
Grünes Schmuckstück
Euch gefällt das Grün inmitten der Stadt, der fast ländliche Anblick? Dann habe ich hier noch ein Bild:
Malerisch, nicht wahr? Dieses Haus findet ihr ebenso wie das Guckloch-Haus (oben) in der Dionysiusstraße. Mich beeindruckt ja immer, wenn die Besitzer solch prachtvoller und aus stadthistorischer Sicht wertvoller Häuser den kulturellen Wert Ihres Hauses schätzen, diesen bewahren und durch solch Grün-Ausstellung noch fördern. Das Anzukurbeln hat sich übrigens ein privater Verein zum Ziel gesetzt, dem ich die Daumen für gutes Gelingen fest drücke.
Ob das folgende Schmuckstück schon das Ergebnis der Bemühungen ist, kann ich nicht sagen, aber auffällig ist der Jugendstil-Frauenkopf auf alle Fälle.
Typischer Jugendstil-Frauenkopf
An vielen Häusern in Lehe findet sich dieses für den Jugendstil typische Stilelement, aber so sorgsam hergerichtet sind nur wenige. Ihr seht, es lohnt sich also auch der Blick nach oben.
Nahezu automatisch ins Blickfeld werden euch diese Fassaden fallen, denn sie sind so typisch für das Klushof-Viertel:
Klare Bürgerarchitektur von 1850
Harmonisch und klar im Stil prägt diese Form eines Bürgerhauses von 1850 den Bereich Lehes nördlich der Hafenstraße. Wir haben auf unserem Spaziergang viele liebevoll sanierte Häuser gesehen, aber auch welche, denen eine Sanierung gut zu Gesicht stünde. Aber das kennt ihr aus euren Städten ja sicher auch.
Thorsten Windus-Dörr meint
Ich habe Lehe vor zwei Jahren bei einem Kundentermin kennengelernt. Mir gefällt deshalb dieser Stadtteilspaziergang, weil er zeigt, dass Bremerhaven auch jenseits der großen Sensationen am Hafen interessant ist.