Ich bin aufgeregt, es ist 16:25 Uhr und ich warte auf Maik Lorchheim, Turmbläser in Celle und einer der letzten seiner Zunft in Deutschland.
Es regnet in Strömen, als ich vor dem Eingang des Celler Kirchturms warte. Der 74,5 Meter hohe Turm, lässt die Stechbahn und die umliegenden Fachwerkhäuser, mehr als klein aussehen. „Na toll“, denke ich mir, „da hast Du Dir ja einen tollen Zeitpunkt für eine Erkundung der Stadtkirche ausgesucht…“
Anstrengung pur – mit dem Turmbläser auf die höchste Spitze der Celler Stadtkirche
Ich hänge meinen Gedanken noch nach und schon kommt meine „Verabredung“ um die Ecke. Maik Lorchheim, 28 Jahre, von Beruf gelernter Abwassertechniker. Maik begrüßt mich herzlich und schließt uns schnell die Tür zum trockenen Kirchturm auf. Er erzählt mir, dass er seit Oktober 2014 jeden Tag nach der Arbeit vom Celler Klärwerk zum Kirchturm fährt, um dort mit seiner Trompete Choräle in alle Himmelsrichtungen zu spielen. „Wie jeden Tag?!“ Ja genau! Jeden Tag um 16:45 Uhr ertönen, immer der Jahreszeit oder kirchlichen Festtagen entsprechend, die wunderbaren Trompetenklänge über den Dächern von Celle.
220 schmale Stufen
Doch bevor es überhaupt dazu kommt, müssen wir erstmal die 220 schmalen Stufen* auf die etwa 50 Meter hohe Empore des Turmes der Stadtkirche hinaufsteigen. Vorbei geht es am alten Uhrwerk der Turmuhr und an den Glocken der Stadtkirche, von denen eine sogar stolze 8000 Kilogramm auf die Waage bringt. Sie ist die drittgrößte Kirchenglocke in Niedersachsen und wir müssen uns schnell die Ohren zuhalten, damit es nicht allzu laut wird. Denn unsere Celler Kirchturmuhr schlägt zusätzlich zu jeder vollen auch zu jeder Viertelstunde.
Mein Herz schlägt vor Aufregung und Schwindel
Meine Güte ist das anstrengend. Oben angekommen schaue ich mir Maik an und sehe einen völlig gelassen aussehenden Mann. „Kommst Du denn eigentlich gar nicht aus der Puste oder wenigstens ein bisschen ins Schwitzen?“ „Nein, ich bin gut im Training. Ich habe meinen Vater, der vor mir über 30 Jahre der Celler Turmbläser war, seit meinem dritten Lebensjahr begleitet.
Das ist reine Gewöhnungssache. Dafür kann ich mir das Fitnessstudio sparen!“
Schnell schaut er auf die Uhr und gibt an, dass wir noch ein paar Minuten Zeit haben. Maik erzählt, dass er jeden Montag bis Freitag hier oben raufsteigt, um pünktlich um 16.45 Uhr – kurz nach dem Glockenschlag – mit seiner Trompete einen Choral in jede Himmelsrichtung zu blasen. Was für eine Ehre es sein muss, die Tradition des Turmbläsers fortzuführen, frage ich: „Als Kind fand ich es toll, meinem Vater zuzuhören. Seit meinem 7. Lebensjahr spiele ich dieses wunderbare Instrument, unter anderem auch im Posaunenchor Groß Hehlen. Das Trompete spielen und die Arbeit als Turmbläser hat mich immer fasziniert und jetzt mache ich es seit knapp zwei Jahren selbst, das ist einfach klasse.“
Jetzt müssen wir uns beeilen und wieder raus in den Regen. Es sind noch knapp zwei Minuten, dann schlägt die Glocke dreimal zur Dreiviertelstunde. Das ist Maiks Einsatz für den ersten Choral. Er sperrt die Tür auf und führt uns auf die glitschige, für Besucher nicht zu betretene Empore des über 700 Jahre alten Kirchturms. Doch wo ist der Regen?! Es ist windig und kalt, aber Frau Holle hat wohl Erbarmen mit uns und den Regen für einen kurzen Moment ausgeschaltet. 1000 Dank dafür, denn dieser Ausblick wäre jetzt nur mit ein wenig Sonne noch schöner.
Die Klänge des Turmbläsers
In Richtung Osten ausgerichtet, klemmt Maik das Gesangbuch in seine linke Hand und setzt die Trompete an. Zum Klang von „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ genieße ich MeinCelle von Oben. Ein tolles und gleichzeitig auch etwas emotionales Gefühl, wie ich finde.
Es schließen sich die restlichen drei Himmelsrichtungen an. Bei klarem Wetter sind die Choräle fast fünf Kilometer weit zu hören. Doch an einem diesigen Tag wie heute, sind sie leider schon unten auf dem Marktplatz kaum zu verstehen. Das dies heute nicht zutrifft, wird nach Verstummen des letzten Chorals klar. Nach Oben schallt Beifall und auch ich bin ergriffen und applaudiere feierlich.
Freudestrahlend gehen Maik und ich zurück in den Turm mit der Gewissheit, dass „wir“ die Celler Tradition auch heute wieder ein Stückchen weiter getragen haben.
Hier könnt Ihr dem Turmbläser lauschen, entschuldigt das Rauschen, es war halt sehr windig da oben..
Fazit gefällig?!
Das Wetter wollte heute nicht ganz so mitspielen, aber so ist es halt – einfach authentisch dieser Turmbläser. Übrigens: Maik ist kurz nach unserem Ausflug auf den Kirchturm Vater geworden. Die nächste Generation der Turmbläser ist somit gesichert. Wir sagen „Herzlichen Glückwunsch“ und „Danke“ für eine Führung der besonderen Art.
*Kleine Zusatzinfo: Seit Oktober 2014 überwindet Maik jeden Tag, samstags und sonntags sogar jeweils zweimal die 50 Höhenmeter und ist somit bereits 876 mal auf dem Kirchturm gewesen und hat dabei über 35.850 Höhenmeter überwunden. Eine tolle Leistung!
Weitere Informationen findet Ihr unter:
http://www.celle-tourismus.de/celle-reisetipps/sehenswuerdigkeiten-in-celle/stadtkirche-st-marien.html
Aktuelle Spielzeiten (Stand: 2019)
Montag – Sonntag: 16.30 Uhr und zusätzlich
Samstag + Sonntag: 09.30 Uhr
An Feiertagen sucht Maik sich aus, ob er morgens oder abends spielt.
Christina meint
Maik muss seine Stadt schon sehr lieben. Er hat meinen vollen Respekt für die Fortführungen dieser Tradition! Ich ziehe den Hut und werden immer wenn ich die Trompetenklänge vom Kirchturm höre, auf jeden Fall einen winkenden Gruß nach oben richten. Danke Maik!
Thorsten Windus-Dörr meint
Schöne Geschichte. Ich habe aber mal eine simple Frage: Bekommt er Geld dafür?
Sarah meint
Hallo Herr Windus-Dörr, Herr Lorchheim erhält dafür eine minimale Aufwandsentschädigung. So ein Engagement ist aber sicherlich nicht mit Geld zu bezahlen – das ist Passion.