Wir machen blau – An einem sonnigen, wenn auch kalten Morgen treffe ich mich mit meinen Freundinnen Kristina und Friederike vor einem farbenfrohen Fachwerkhaus am Möncheplatz in Einbeck. Hier, in der Hausnummer 4, befindet sich der Einbecker Blaudruck, der seit 1638 lebendige Kultur in unserer Stadt ist. Die alte Handwerkskunst des Blaudruckens wird in ganz Deutschland nur noch in 12, in Österreich in 2 und in Osteuropa in 9 Werkstätten ausgeübt und wurde 2018 von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Die Blaudruckerei in Einbeck ist zudem die älteste in Europas, die bis heute durchgängig betrieben wurde. Die Zukunft dieses gelebten Kunsthandwerks ist jedoch ungewiss.
Grund genug, dass das Jahr 2022 in Einbeck ganz unter dem Motto „Blaudruck“ steht. Mit blauen Modenschauen, Kunst, Kultur, Stadtführungen und vielem mehr macht Einbeck ein Jahr lang blau. Mehr Infos zum Programm gibt´s hier.
Willkommen zum Blaudruck-Workshop
Doch auch Blaudruck-Workshops stehen dieses Jahr (und darüber hinaus) auf dem Programm. Und an genau so einem wollen wir heute in Vorbereitung auf das Blaudruckjahr teilnehmen und ein wenig in dieses Handwerk schnuppern. Als wir eintreten, werden wir vom Klang der Türglocke und einem etwas fremdartigen, aber angenehmen Geruch im Flur begrüßt. In diesem historischen Fachwerkhaus befinden sich im Erdgeschoss die Färberei und das Ladengeschäft mit Blaudruck-Produkten aller Art in den buntesten Farben. Okay, also doch nicht alles blau?! Aus dem Raum zu unserer Rechten hören wir erste Stimmen und treten in den hellen Verkaufsraum.
Fotos: Vanessa Harries
Hier erwarten uns bereits weitere Teilnehmer:innen des Workshops zusammen mit Ulf Ahrens, Einbecks (aktuell) einzigem Blaudrucker, seine Kollegin Ursula Schwerin, die sich um Verwaltung und den Laden kümmert und Patricia Keil, die Projektleiterin des Blaudruck-Jahres 2022. Der eine oder die andere kennt Patricia bereits von ihrem Gastbeitrag zum Thema Street-Art. Wir werden herzlich in Empfang genommen und erfahren, dass wir heute vom Fotografen Florian Spieker begleitet und ein Video für das Blaudruckjahr gemacht wird. Während wir ein wenig im Laden stöbern, gibt Ulf uns allen eine kurze Einführung in das Thema Blaudruck.
Was ist Blaudruck?
Blaudruck, das ist ein spezielles Druck- bzw. Färbeverfahren, bei dem ein weißes Muster auf ursprünglich blauem bzw. inzwischen auch andersfarbigem Grund entsteht. Genutzt wird dazu der sog. Reservedruck mit Modeln. Model sind Druckstöcke aus Birnen- oder Lindenholz mit verschiedensten Mustern. Weit verbreitet sind Ornamente und Blumenmuster, aber auch biblische und weltliche Szenen. Beim Blaudruck wird auf den weißen Baumwoll- oder Leinenstoff mithilfe der Model der sog. „Druckpapp“ aufgedruckt, einer farbabweisenden Maße aus Gummi arabicum, Kupfersulfat, Acetat und weiteren Substanzen. Jede Blaudruckerei hat da ihr Geheimrezept.
Fotos: Vanessa Harries
Nach dem Bedrucken müssen die Muster auf den Stoffen trocknen und werden dann gefärbt. Früher nur in blau z.B. mit dem Pflanzenfarbstoff Indigo aus Übersee, heute mit Indanthren-Farben in bunter Pracht. Nach dem Färben werden die Stoffe ausgewaschen und das Papp in einem verdünnten Säurebad entfernt. Nach weiteren Waschschritten werden die Stoffe getrocknet und gemangelt. Die „reservierten“ Flächen mit dem Papp sind nun den weißen Druckmustern gewichen.
Auf in die Werkstatt
So, nun wollen wir aber auch einmal selbst aktiv werden. Wir überqueren mit Ulf, Patricia und den anderen Teilnehmer:innen den Innenhof, gehen an der fast 300 Jahre alten, hölzernen Kaltmangel vorbei und erklimmen die Treppe im Nachbargebäude, hinauf zur Werkstatt. In dem hellen Raum riecht es nach dem leicht chemischen Duft vom Papp und ein Radio dudelt im Hintergrund. An einigen Stangen an der Decke hängen bereits bedruckte Stoffe. Zuerst heißt es jetzt: Schürzen anlegen! Danach gibt es für alle einen blauen Aperitif und Ulf präsentiert uns eine Auswahl an Modeln. Mit diesen macht er Probedrucke auf einer Tischdecke, um uns zu zeigen, wie man das Model händelt und worauf man achten muss.
Fotos: Vanessa Harries
Erste Blaudruck-Versuche
Und dann dürfen wir auch selbst drucken. In Kleingruppen stehen wir um drei Tische, auf denen jeweils schon eine große Tischdecke und ein Model vorbereitet liegen. Kristina, Friederike und ich bilden eine Gruppe und freuen uns, dass es nun losgeht. Ulf kommt zu jedem Tisch und zeigt uns noch einmal in Ruhe, wie wir anfangen und wie man die Übergänge zwischen den Drucken macht. Dabei muss man auf die kleinen Markierungen an den Modeln achten, die von kleinen, spitzen Ansatzstiften, den sog. „Pikos“ gemacht werden. Sie sind das Zeichen, bei dem man wieder ansetzt.
Foto: Kulturfreunde Einbeck e.V.
Nach ein paar Drucken von Ulf übernimmt Kristina und taucht das Model in das Chassi voll grünem Druckpapp. Nicht zuviel, aber auch nicht zu wenig ist die Devise. Nach einer Reihe von Drucken, übergibt sie das Model an Friederike. Nachdem auch sie eine Reihe gedruckt hat, bin ich dran.
Fotos: Vanessa Harries u. Freundinnen
Gar nicht so einfach, immer wieder die Markierungen zu finden, zumal man jetzt auch noch an die obere Reihe anschließen muss. Doch bei aller Konzentration macht es auch Spaß und man kann beim kräftigen Schlagen auf das Model, damit sich der Papp gründlich eindrückt, auch ein wenig Stress abbauen – wunderbar entspannend. Nach etwa einer Stunde sind wir mit unserer Tischdecke fertig und wir machen mit der gesamten Truppe einen weiteren Abstecher in den Laden, um uns ein wenig Inspiration für unsere eigenen Textilien zu holen.
Geschichte des Einbecker Blaudrucks
Im Laden und im Raum mit der historischen Kaltmangel erhalten wir noch einmal einen kleinen Exkurs zur Geschichte des Einbecker Blaudrucks: Die Werkstatt wurde mitten im Dreißigjährigen Krieg 1638 von Hans Wittram als (Schwarz-)Färberei in Einbeck gegründet. Als der Blaudruck im 17. Jahrhundert aus Übersee über die Niederlande nach Deutschland kam, wurde er zuerst von Druckereien in Süddeutschland aufgegriffen. Ab 1700 war es dann Hans Heinrich, der Sohn des Firmengründers, der sich als erster in Einbeck an dieser Technik versuchte.
Gefärbt wurde damals noch mit Pflanzenfarben, wie dem Indigo aus Indien sowie dem einheimischen Färberwaid. Diese verliehen dem Stoff das namensgebende „Blau“.
Fotos: Vanessa Harries
Der „Einbecker Blaudruck“ war von 1638 bis 2005 ununterbrochen im Besitz der Familie Wittram. Danach übernahm Ulf Ahrens das Handwerk und die Werkstatt. Aus dieser Zeit sind noch über 800 Model aus fast allen Stilepochen seit Erfindung des Blaudruckes vorhanden. Die ältesten erhaltenen Model von 1720/30 zeigen biblische Motive, wie z. B. der Sündenfall (Adam und Eva am Baum der Erkenntnis) oder Josua und Kaleb, wie sie mit einer riesigen Traube aus dem gelobten Land zu Moses und dem Volk Israel zurückkehren. Eines der „neuesten“ Motive ist der Einbecker Biertreck von 1995 / 96.
Foto: Kulturfreunde Einbeck e.V.
… und der Formstecherei
Die Model mussten die Blaudrucker selbst entwerfen und herstellen. Ursprünglich waren die Model ganz aus Holz geschnitzt. Birnbaum eignete sich wegen seiner Härte, der dichten Oberfläche und seiner Unempfindlichkeit gegen Nässe besonders gut und machte die Model sehr haltbar. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts übernahmen diese filigranen Arbeiten Formstecher. Die Formstecher arbeiteten mit einheimischem Holz, sie schnitten oder stachen seitenverkehrte, also negativ aufgetragene Zeichnungen, mit ihren feinen Arbeitsgeräten sorgfältig aus. Seit dem 19. Jahrhundert benutzte man auch Model, bei denen das Muster aus feinen Messingstiften und -platten besteht, die in Birnbaumholz eingeschlagen werden. Einbeck entwickelte sich dadurch zu einer Hochburg der Formstecherei und war bis 1980 Zentrum dieses heute nahezu ausgestorbenen Handwerks.
Foto: Kulturfreunde Einbeck e.V.
Foto: Bernd Weber
Jetzt wird´s ernst…
Nachdem wir uns alle Anregungen für unsere eigenen Blaudruck-Kreationen in puncto Farbe und Muster geholt haben, kehren wir zurück in die Werkstatt, um unsere mitgebrachten Textilien zu bedrucken. Die einen haben Tischdecken dabei, andere Röcke, Jacken, Shirts oder sogar Stoffschuhe. Wer kein eigenes Textil dabei hat oder ein zusätzliches machen möchte, bekommt auch einen Tischläufer o.ä. vor Ort.
Fotos: Vanessa Harries
Ich habe mir ein weißes Langarmshirt mitgebracht. Nach längerem Überlegen und Vergleichen entscheide ich mich für zwei Model. Ein großes mit Kringeln für die Vorderseite und ein schmales mit Blumenranken für die Ärmel. Dann lege ich mein Shirt mit Zeitungspapier aus, damit nichts durchdruckt. Da ich befürchte, etwas falsch zu machen, setze ich das große Model mit den Kringeln erst mal trocken auf den Stoff und trage erst dann Druckpapp auf, als ich mich sicher fühle. Welch eine Erleichterung, als der erste Druck gelingt! Noch zwei weitere Drucke und die Vorderseite ist fertig. Nun heißt es abwarten und Tee trinken, bis der Papp angetrocknet ist, bevor ich auch die Ärmel bedrucken kann. In der Zwischenzeit kann man schon einmal das erste Model abwaschen.
Fotos: Vanessa Harries
Meine Freundinnen waren entscheidungsfreudiger und schneller beim Drucken, deshalb macht jede noch ein zweites Teil. Inzwischen ist der Papp angetrocknet und ich kann die Ärmel bedrucken. Nicht ganz einfach. Aber letztlich ist es geschafft und ich setze mit dem Logo-Stempel den Abschluss auf mein Shirt. Nun wird mein Shirt noch mit einem kleinen Zettel versehen, auf dem mein Name, meine Telefonnummer und meine Wunschfarbe vermerkt sind.
Die 3 Stunden des Workshops vergingen wie im Flug und 40€ pro Teilnehmer:in inkl. 1 Textil sind total gerechtfertigt.
Ein Blick in die Färberei
Zum Abschluss werfen wir noch einen Blick in die Färberei. Wir erfahren, dass in der Regel alle 3 Wochen gefärbt wird. Die Farbauswahl ist meist saisonabhängig oder hängt davon ab, ob ein bestimmter Auftrag wartet. Die Farbvielfalt in Einbeck besteht aus 10 Indanthren-Farben, davon 4 Blautönen. In 27 Arbeitsschritte verwandeln sich die bedruckten weißen Textilien mit dem grünlichen Papp zu bunten Stoffen mit weißen Mustern und Motiven.
Foto: Vanessa Harries
Zuerst wird der Stoff auf Metallreifen gewickelt, mit kleinen Gewichten beschwert und in die Farb-Wasser-Mischung hinabgelassen. Nach einigen Minuten wird der Reifen mithilfe einer Kette aus dem Färbebad gezogen und kurz durchgespült. Für das Färben wird hauptsächlich Regenwasser verwendet. Danach wird der Stoff vom Reifen abgewickelt und und mit schnellen Schritten in eine Art großen Waschzuber, eine „Küpe“ befördert. Hier werden die Gewichte entfernt, die zusammengenähten Stoffe voneinander getrennt und durchgespült. Der Druckpapp leuchtet nun leicht goldig. Danach wird der Papp mithilfe eines verdünnten Säurebades entfernt. Dann wird in der nächsten Küpe noch einmal alles mit Schmierseife ausgepült und zum Schluss in großen Kupferkesseln ausgekocht.
Nach dem Auskochen wird alles ein letztes Mal mit klarem Wasser ausgepült und zum Trocknen auf einen der drei Trockenböden gebracht. Nach ein paar Tagen des Trocknens nehmen die Stoffe ihre finale Farbe an, zum Schluss werden die Stoffe noch gemangelt. Heutzutage mit einer Heißmangel, früher mit einer historischen Kaltmangel von 1739. An einem Färbetag werden bis zu 100 Reifen mit mehreren Metern Stoff gefärbt.
Aus weiß wird blau (oder bunt)
Das klingt so spannend, dass ich in Begleitung meiner Kollegin Katharina an einem Färbetag noch einmal wiederkomme, um mir das anzusehen. Hier für euch ein kleiner Einblick in die Färberei:
Helfende Hände werden übrigens gerne gesehen. Wer Lust hat, mal mit zu färben, kann sich gerne beim Einbecker Blaudruck melden.
Macht blau in Einbeck
Falls ihr nun auch Lust auf Blaudruck(en) habt, dann kommt doch einfach in Einbeck vorbei und macht blau. Das ganze Jahr über wird euch etwas geboten. Die Chance auf einen Afterwork-Workshop bietet sich jeden 3. Dienstag im Monat. Anmeldung beim Blaudruck unter info@einbecker-blaudruck.de.
Und von April bis Oktober bietet die Tourist-Information immer samstags Öffentliche Führungen mit spontanem Direktdruck an. Wer Lust auf ein ganzes Wochenende in Einbeck hat, für den wäre die „Macht blau in Einbeck„-Pauschale ideal.
Alles neu
Ein paar Wochen später ist es soweit, ich kann mein gefärbtes Shirt abholen. Ich hatte Glück, da meine Wunschfarbe Grün bereits einige Zeit nach dem Drucken dran war. Ich habe mich nur gefragt, wie Ulf mein Shirt von allen anderen Stoffen unterscheiden konnte. Er verrät mir einen schon 200 Jahre alten Trick: Den bestellten Artikeln wird auf dem Zettel eine Kundennummer zugewiesen und ein passendes Metallplättchen mit dieser Nummer wird an das Kleidungsstück gehängt. Einfach, aber effektiv.
Fotos: Vanessa Harries
Na, wie findet ihr mein Werk? Ich finde es toll, vor allem kommen die Muster der Model toll heraus. Es hat zwar noch einen leichten Färbegeruch, doch nach dem Waschen bei 30° C in der Waschmaschine ist es perfekt. Und bin nun ganz begeistert von dieser Handwerkskunst und seiner Vielfältigkeit. Außerdem habe ich viel gelernt. Zum Beispiel, dass Blaudruck nicht immer blau sein muss.
Foto: Katharina Meyer
Einen kleinen Wehmutstropfen gibt es jedoch. Dieser Ausflug in die Welt des Blaudrucks ist fürs Erste mein letzter Beitrag, den ich mit euch teilen darf. Denn wie man unschwer erkennen kann, erwarten mich nun neue Abenteuer und ich verabschiede mich für einige Zeit in die Elternzeit. Ich übergebe Kamera und „flotte Schreibefeder“ an meine lieben Kolleg:innen Erik und Katharina. Bleibt neugierig und kommt doch einmal nach Einbeck. Zum Blaumachen natürlich, aber auch zum Oldtimer, Bier und Fachwerk entdecken.
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