Verden trägt nicht umsonst den Beinamen „Reiterstadt“, denn hier findet (neben vielen anderen Reitsport-Events) jährlich auch die Hubertusjagd durch die Allerwiesen statt. Sie ist absolut sehenswert, auch für Zuschauer, die sonst nicht viel mit der Reiterei zu tun haben, denn das „Schauspiel“ findet vor der Kulisse der wunderschönen Aller- und Reiterstadt mit dem imposanten Dom statt. Ausgerichtet wird diese Jagd vom Verdener Schleppjagd-Reitverein e.V.
Wollt ihr wissen, was eine Schleppjagd ist?
Für alle, die mit Schleppjagden noch keinerlei Berührung hatten, darf zunächst gesagt sein, dass im Gegensatz zu den früher stattfindenden und tatsächlich recht blutrünstigen Hetzjagden auf Wild, die noch bis in die 1930er Jahre stattfanden, heute kein Tier mehr leiden oder sterben muss.
Bei den heutigen Schleppjagden reitet ein Reiter, der „Schleppenleger“, mit einem Köder an seinem Sattel voraus, der einen bestimmten Duftstoff enthält und tröpfchenweise die Fährte für die später folgende Hundemeute legt. Dieser Duftstoff wird abhängig von den Gerüchen der Umgebung ausgewählt und auch vom Duftstoff, auf den die Hundemeute geprägt ist. Sie kann von verdünnter Fuchslosung über Anis oder Fenchel bis hin zu Heringslake variieren. Am Ende angekommen, wartet auf die Hundemeute heutzutage das sogenannte „Curée“, also frischer Rinderpansen vom Schlachthof. Früher erhielt die Meute zur Belohnung nach erfolgter Jagd die Innereien des gejagten Wildes.
Hunderunde… oder Hundemeute?
Zurzeit gibt es deutschlandweit etwa 25 Hundemeuten, davon bestehen 12 aus „Foxhounds“, sieben aus „Beagles“ und drei weitere knüpfen an die Jagdtradition an und führen die typischen „Francois Tricolore“. Es gibt auch noch eine weitere Meute, die aus „Bloodhounds“ besteht, das ist eine englische Hunderasse mit Schlappohren, Sorgenfalten und einem besonders guten Näschen. Spannend finde ich, dass auch bei den Hunden der Jüngere vom Älteren lernt, zum Beispiel in puncto Straßensicherheit, aber auch viele weitere, wichtige Details für das Jagdhund-Leben. Dazu wird eine „Koppel“ gebildet, was aus dem englischen „couple“ abgeleitet wurde. Daraus ergibt sich die kleinste Mengeneinheit der Meutehunde, also zwei Hunde bilden eine „Ein-Koppel-Meute“.
Stelldichein vor dem Pferdemuseum
Ganz zu Beginn der Schleppjagd, gegen 12 Uhr, versammelt sich die gesamte Jagdreiterschaft mit ihren Hunden zum sogenannten „Stelldichein“ am Holzmarkt vor dem Pferdemuseum – es ist ein ziemlich imposantes Bild, das immer viele Zuschauer:innen anlockt!
Ein besonderes Bild, das man nur zu Jagdzeiten sehen kann, wenn sich alle Reiter, Pferde, die Hundemeute und viele Zuschauer am Holzmarkt zusammenfinden © Bildarchiv der Stadt Verden
Anschließend geht es durch die Innenstadt in Richtung der Südbrücke und bis in die Allerwiesen weiter. Ich bringe mich am Aussichtspunkt „Panoramablick“ in Position, um mit der Kamera einige Aufnahmen vor der wunderschönen Kulisse des Domes zu machen. Auf dem großen Feld zwischen den beiden Allerarmen entscheidet jede:r Reiter:in zunächst für sich, in welcher der drei Gruppen (im Fachjargon“Jagdfeld“) sie oder er reiten möchte oder auch kann. Nach einer Begrüßung durch den Jagdherrn legt der Schleppenleger die „Schleppe“, also die Duftmarke für die Hundemeute. Seine reitende Begleitung weist ihm den Weg. Nachdem die Strecke gelegt ist, darf die Spur nicht mehr gekreuzt werden, denn sonst könnten die Hunde in die Irre geleitet werden.
Equipage bei der Schleppjagd
Im Anschluss präsentiert die Equipage ihre Hundemeute. Eine Equipage besteht aus einem Master of Hounds, einem Huntsman und den Pikören, die allesamt dafür zuständig sind, die Meute während der Schleppjagd korrekt und sicher zu führen. Die Piköre sorgen dafür, dass die Meute zusammenbleibt und sich nicht von anderen Einflüssen, wie z.B. einem herumhoppelnden Hasen, ablenken lässt.
Mir fällt auf, dass die Jagdreiter:innen allesamt adrett gekleidet sind. Ausschlaggebend sind wohl neben der vorgeschriebenen Reitkappe hauptsächlich das Plastron, ein über zwei Meter langes Halstuch, und der Jagdrock. Wenn dieser rot ist, zeichnet er erfahrene Reiter aus, die eine Vorbildfunktion ausüben. Man munkelt, dass er auch dazu diene, gestürzte Reiter im Unterholz leichter zu finden. Allerdings dürfen Frauen immer noch nicht in rot reiten, was ich angesichts der fortschreitenden Emanzipierung recht verwunderlich finde. Sie dürfen schwarz, blau oder grün tragen. Viele Jagdreiter sollen sehr abergläubisch sein, was angeblich dazu führt, dass so manche ihre Jagdröcke erst nach Ende der Jagdsaison reinigen lassen, wie ich erfahren habe.
Die Jagdbläser „Bien Aller“ blasen zur Schleppjagd
Ehe es losgeht, ertönen die Parforce-Hörner der Jagdbläsergruppe „Bien Aller“, die für den Start, während der Jagd und zum Ende die jeweils passenden Signale blasen. Diese Geräuschkulisse stimmt mich als Zuschauerin tatsächlich etwas mehr auf die Jagd ein, als ich erwartet hatte.
Nun startet die Meute mit der Equipage in das erste von drei Jagdfeldern. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass die zu Beginn der Jagd eingenommene Position aller Reiter:innen bis zum Ende der Jagd kameradschaftlich beibehalten werden. Dies erfordert natürlich eine maximale Beherrschung des eigenen Pferdes. Oft werden auch Zwischenstopps zur Erholung für Hunde, Pferde und Reiter eingelegt und dann geht es mit einer neuen Schleppe weiter.
„Revierwechsel“ zum nächsten Aussichtsposten
Als die Reiter für mich außer Sichtweite geraten, wechsele ich den Standort und begebe mich auf die Wiesen nahe des Rastplatzes an der K14 „Auf dem Wiehe“. Dort wartet bereits eine weitere, interessierte und gespannte Zuschauermenge auf die bald ankommenden Jagdreiter und ihre Hundemeute. Ich erblicke einige Hindernisse und da kommen sie auch schon: die Hunde vorne weg und dann springen nach und nach immer mehr Pferde samt ihrer Jagdreiter:innen über die Hindernisse. Ein tolles und sehr kraftvolles Bild!
Hallo „Halali“
Die letzte Schleppe führt die Jagdgesellschaft in einem Bogen zurück in die Allerwiesen zur Mühle am Deich. Die Parforcehornbläser spielen zum „Halali“, dem Ende der Jagd, gegen 15.30 Uhr„Jagd vorbei“ und alle Reiter:innen gratulieren sich gegenseitig zur gelungenen Jagd. Auch die Pferde und Hunde bekommen eine Belohnung. Als Dank und Anerkennung ziehen die Reiter:innen ihre Kappen und rufen dabei „Halali“. Anschließend erhalten die Teilnehmer:innen den „Bruch“, der an das Revers gesteckt wird. Vor dem 03. November ist es ein Anstecker aus Eichenzweigen, nach dem 03. November besteht er aus Fichtenzweigen.
Mein Fazit
Auch, wenn man wirklich nichts mit Pferden zu tun hat, ist die Schleppjagd eine schöne Gelegenheit, eine kleine Städtereise nach Verden zu machen. Um mal wieder etwas völlig Anderes zu sehen, an die frische Herbstluft zu gehen und auch das eine oder andere schöne Motiv „vor die Linse“ zu bekommen. Nach der Jagd könnt ihr in gemütlichen Verdener Cafés den Besuch mit einem leckeren Stück Kuchen und einer Tasse Kaffee ausklingen lassen. Und wie wäre es mit einer Stippvisite im Deutschen Pferdemuseum am Holzmarkt? Dort könnt ihr noch bis zum 31. Oktober 2022, neben Exponaten wie zum Beispiel dem Urzeitpferdchen, die Sonderausstellung „Großstadtpferde – Tierischer Motor der Städte um 1900“ sehen und euch ordentlich was vom Pferd erzählen lassen. Seid ihr schon mal im Damensattel geritten, die Leinen auf einem Kutschbock gehalten oder habt die Welt durch Pferdeaugen betrachtet? Probiert es unbedingt mal aus – es lohnt sich wirklich!
Kommt doch am 28. Oktober 2023 einfach mal vorbei… zur Hubertusjagd in die Reiterstadt Verden an der Aller!
Schreibe einen Kommentar