An einem wunderschönen Spätsommertag bin ich zum Thema Bühne frei! in der Südheide Gifhorn unterwegs. Mit dem Rundlingsdorf Lüben bei Wittingen habe ich mir ein besonderes Ziel ausgewählt. Im Innenhof der Lübener Tenne bin ich mit drei besonderen Menschen verabredet: Elke Bruns-Tober, Vorsitzende des Kulturvereins Wittingen e. V., Imke Wolter, Inhaberin der Lübener Tenne und Koordinator Friedo Stellfeldt. Der für mich persönlich nach dem Gespräch als Herz und Seele der Lübener Werkstattwoche gilt. An dieser Stelle möchte ich aber gleich hervorheben, dass diese drei Personen symbolisch für die vielen anderen im Organisations-Team stehen, die voller Leidenschaft für das gemeinsame Projekt brennen.
Kunstsymposium als großes Familientreffen?
Obwohl ich Kunst als mündliches Abitur-Prüfungsfach gewählt hatte, kann ich nicht von mir behaupten, dass mich die künstlerische Muse von sich überzeugen konnte. Ganz im Gegensatz zu den doch etwas klischeehaften Vorstellungen von Kunstschaffenden in meinem Kopf, bin ich erstaunt über die Bodenständigkeit und den familiären Gemeinsinn, die in den Anekdoten und Geschichten über vergangene Werkstattwochen zum Ausdruck kommen. Ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor liegt anscheinend in dem rund 100-Seelen Dorf selbst, aber dazu später mehr.
Vielen Dank, Frau Berger!
Nun erst einmal zu den Anfängen der Lübener Werkstattwoche. Als Prototyp, noch in ganz kleinem Rahmen in einer Lagerhalle von der Firma Neef + Stumme in Wittingen abgehalten, fand das Format in der damaligen Kulturvereinsvorsitzenden Barbara Berger eine große Unterstützerin. „Die Künstler und Künstlerinnen schliefen allesamt auf dem Oberboden der Tenne vom Gasthaus meiner Eltern, Luftmatratze an Luftmatratze“, erinnert sich Imke Wolter, die seit Kindheitstagen bei den Werkstattwochen dabei ist.
Die erste Künstlerwoche in Lüben fand dann im Jahr 1991 statt. Klaus Finger ist einer der Mitbegründer, der Barbara Berger von dem Konzept der Künstlerkolonie überzeugen konnte. Die Intention, kurz nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze, lag darin, Kunstschaffenden aus Ost und West eine Möglichkeit zum Austausch und zur Annäherung zu bieten. Wichtig war auch immer der Fokus, junge Künstler und Künstlerinnen zu unterstützen. Dass diese Vision in unserem globalen Zeitalter eine noch tiefere Bedeutung und Aktualität bekommen würde, war zu diesem Zeitpunkt keinem bewusst. Längst sind die Werkstattwochen, dank der Teilnahme von Kunstschaffenden aus mehreren Kontinenten, zu einer globalen Plattform geworden. So findet das Kunstevent vom 27. Juni bis zum 7. Juli 2025 bereits zum 17. Mal statt. Den Termin für das nächste Jahr also unbedingt schon in den Kalender eintragen.
Werkstattwoche – Was ist das?
Nach einer Juryauswahl treffen sich in einem Rhythmus von zwei Jahren 15 bis 20 internationale Kunstschaffende im Rundlingsdorf. Dort werden sie zum Teil der Dorfgemeinschaft, denn in den zehn Tagen leben die Teilnehmenden in privaten Haushalten. Gemeinsame Mahlzeiten im Gasthaus „Lübener Tenne“ und ein Begleitprogramm mit Workshops, Musik und Yoga-Angeboten haben einen großen Einfluss auf das Miteinander. Absolutes Highlight zum Abschluss der Woche ist eine Ausstellung im gesamten Dorf. Dank freier Kost und Logis können sich die ausgewählten Künstler und Künstlerinnen völlig auf ihr Schaffen konzentrieren.
Aber die notwendigen Arbeitsmaterialien sollten im Gepäck sein. Denn der ländlichen Lage von Lüben geschuldet, gibt es in einem Radius von etwa 50 Kilometern keine Möglichkeiten, adäquate Materialien zu bekommen. Daher sollte ein gewisser Grad an Kompromissbereitschaft und auch Improvisationstalent eingeplant werden. „Wir versuchen, um die Kunstschaffenden hier in Lüben eine Art Glocke zu errichten. Sie sollten von den weltlichen Dingen drumherum nicht abgelenkt werden“, beschreibt Imke Wolter eine ihrer Aufgaben während des Symposiums. „Dazu gehört es auch, jeden Wunsch mit einem Lächeln zu erfüllen und nicht weiter zu hinterfragen. Dann bekommt jeder auch die volle Dankbarkeit und Wertschätzung für sein Tun zurückgespiegelt“, so Wolter weiter.
Die Erfolgsgeschichte dahinter
Ein Künstlerworkshop mitten im ländlichen Lüben, wie kann das so erfolgreich werden, frage ich mich immer noch ein wenig. Es liegt eindeutig an Lüben und seinen Einwohnenden selbst. Hier existiert kein Schubladendenken, weder auf Seiten der Einwohner, noch auf Künstlerseite. Alle lassen sich auf alles ein. „Im Auswahlprozess wird schon darauf geachtet, dass die Teilnehmenden zur DNA der Künstlerwoche passen und in den meisten Fällen lagen wir da auch richtig“, erläutert Friedo Stellfeldt.
Kunst im öffentlichen Raum
Ein ganzes Dorf als Atelier und Ausstellungsfläche zugleich, da bieten sich Gelegenheiten, die im Künstleralltag nicht einfach so zugänglich sind. Meine Gesprächspartner sind sich sicher, dass durch die Möglichkeit, den Ort als Ausstellungsfläche zu nutzen, die Hemmschwelle für kunstferne Menschen sinkt. „Mir ist es eine Freude zu sehen, wenn junge Familien aus den Nachbarorten durch die Ausstellung wandern, lange über den Kaufpreis diskutieren und dann letztendlich mit einem Bild in den Händen nach Hause gehen“, beschreibt Elke Bruns-Tober ihre persönlichen Glücksmomente einer Werkstattwoche.
Ein Fest der Kreativität und Inspiration
Ein toller Gedanke, dass durch den Austausch alle voneinander lernen können: künstlerisch, kulturell und vor allem gesellschaftlich. In einem von Landwirtschaft geprägten kleinen Dorf erwarte ich eigentlich etwas mehr Unverständnis. Die Einwohner Lübens von Anfang an bei jedem Entwicklungsschritt der Werkstattwochen zu beteiligen, führte zum Erfolg. „Sicherlich gibt es immer mal einen schiefen Blick, wenn es beispielsweise um Yoga auf dem Dorfplatz im Morgengrauen geht“, erzählt Imke Wolter. „Da hilft es nur miteinander zu reden, um Akzeptanz und Unterstützung zu erreichen“, ergänzt sie. Das scheint mir aber sehr erfolgreich zu gelingen, denn die Begriffe Heimat, familiär und friedvoll fallen in unserem Gespräch sehr häufig.
Leider machen die geopolitischen Ereignisse auch vor der Werkstattwoche in Lüben nicht halt. Die aktuellen Entwicklungen um Israel beunruhigen doch sehr. „In den Gedanken sind wir oft bei der israelischen Künstlerin Yael. Wir fragen uns, wie es ihr und ihrer Familie geht. Und auch, ob es ihr erneut möglich sein wird, an den Werkstattwochen teilzunehmen“, hält Friedo Stellfeldt fest. Ein wichtiger Einwand, der hier die Aktualität der Vision wieder einmal deutlich macht.
Kunstvermittlung für den Nachwuchs
Ein weiteres Ziel der Werkstattwochen ist es, jüngeren Kunstschaffenden und insbesondere Kindern einen Zugang zur Kunst geben. Die Schülerworkshops leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Elke Bruns-Tober ordnet diesen Bestandteil für das Organisations-Team als sehr wichtig ein: „Denn Kunstunterricht wird leider oftmals als erstes gestrichen, wenn Lehrermangel herrscht.“ Daher ist sie dankbar, dass sich im Orgateam gerade ein Generationenwechsel vollzieht. „So haben wir genügend Energie, die Dynamik in der Entwicklung der Werkstattwoche aufrecht zu halten und magische Momente zu schaffen“, beschreibt Tober die Organisationsarbeit.
Ein Blick in die Zukunft
Durch neue digitale Möglichkeiten in der Kunst ergeben sich auch in der Planung und Organisation neue Seiten, die beachtet werden müssen. Für mich ist auch dies ein Hinweis darauf, wie dieses Format aktuelle Entwicklungen annimmt und verarbeitet. Für die kommenden Werkstattwochen ist durch die Zusammenarbeit mit der Young Generation Kunstmuseum Wolfsburg in jedem Fall geplant, die Schülerworkshops auszubauen.
Bevor ich langsam zum Abschluss komme, möchte ich gerne auf die Online-Bildergalerien auf der Homepage der werkstattwoche.art hinweisen. Dort sind einige Werke der teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen sowie Impressionen von den Werkstattwochen zu finden. Diese durchzuschauen ist allein schon ein Erlebnis.
Werkstattwoche – mehr als nur Kunst
Beim Schreiben des Blog-Artikels wird mir bewusst, dass sich von der Künstlerwoche Lüben viel für die Gesellschaft ableiten lässt. Obwohl Kunst aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet und kontrovers diskutiert werden kann, gilt es immer zu akzeptieren, was man sieht oder eben nicht sehen kann. Daher lege ich jedem ans Herz, im nächsten Jahr die Abschlussvernissage der Werkstattwoche zu besuchen oder einen Workshop zu buchen. Jeder hat die Möglichkeit, ein Bestandteil dieser inspirierenden Werkstattwoche zu sein und ein friedvolles Gefühl mit nach Hause zu nehmen. So wie ich es nach meinem Gesprächstermin mitgenommen habe.
Gerne möchte ich mit einem Zitat von Friedo Stellfeldt schließen. Zu Beginn unseres Treffens beschrieb er: „Die Werkstattwochen sind Geschichte und Zukunft an einem Ort, alle sind dankbar, ein Teil davon sein zu können.“ Wow, die Bedeutung dieses Satzes ist wahnsinnig groß. Ersetzen wir in dem Zitat doch einfach Werkstattwochen durch den Begriff Menschen. Wäre es vielleicht eine Chance, allen Menschen ein Gefühl von Heimat und Frieden zu geben?
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