Wilhelmshaven ist die grüne Stadt am Meer. Wer hier herkommt, besucht vor allem den Südstrand und den Hafen. Doch gleich um die Ecke, in der Südstadt, gibt es noch viele Orte, die größtenteils unentdeckt bleiben. Diese wahren Geheimtipps galt es auch für mich erstmal zu entdecken, obwohl ich schon gut eineinhalb Jahre in der Südstadt wohne. Zeit also das Gefühl einer Zugezogenen hinter sich zu lassen und herauszufinden, was das Flair „meines“ Viertels, oder neudeutsch Kiez, eigentlich ausmacht.
Die Kaiserzeit prägt das Stadtbild
Ich beginne ganz vorne: In der Gründerzeit. Für Wilhelmshaven ist das die Kaiserzeit. Noch heute prägen die Bauten die Südstadt, die damals für die Marine errichtet wurden, für die auch die ganze Stadt entstand. Auf der Stadtführung “Gang durch die Kaiserzeit“ erfahre ich außerdem, dass im zweiten Weltkrieg gut 60% der Gebäude in der Südstadt zerstört wurden. Am Adalbert-Platz allerdings werde ich aufmerksam. Die Berliner Prachtstraße „Unter den Linden“ diente hier als Vorbild, die umliegenden weißen Gebäude wurden nach Potsdamer Vorbild erbaut. Zum Stadtbild tragen auch die breiten und geraden Straßen mit rechtwinkligen Nebenstraßen bei, für deren Bau man sich ebenfalls am großen Berlin orientierte. Hinzu kommt, dass die Grenzstraße damals als Reeperbahn der Nordseeküste galt. Mit Berlin und Hamburg also zwei starke Assoziationen, die wohl großen Einfluss hatten, als der liebevolle Spitzname der Einwohner für ihr Viertel entstand: Südkiez.
Die Menschen machen den Kiez
Besonders für Gäste sind es wohl die Gastgeber in Lokalen und Geschäften, die das Kiezgefühl repräsentieren. Eines der ersten Cafés, das mir hier empfohlen wurde, ist „Monty’s Deli“. Geschmackvoll eingerichtet wurde es mit Unterstützung der „Design Werft Wilhelmsaven“, im britischen Stil. Im Gegensatz zu anderen Cafés geht es hier, ebenfalls ganz in britischer Manier, deftig, anstatt süß zur Sache. Das merke ich besonders beim Frühstück mit Bohnen, Bacon und Würstchen.
Als ich meinen Streifzug fortsetzte und mich wenig später im „Café MORGAEN“ wiederfinde, weiß ich nicht mehr, ob ich noch in Wilhelmshaven oder doch in Berlin oder Hamburg gelandet bin: Einrichtung im Vintage-Stil, vegane Gerichte, selbst gemachtes Schokoladen-Popcorn. In den größeren Städten findet man solche Cafés zu Hauf, in Wilhelmshaven wird es zum echten Unikat. Die Inhaberin Heike Fürstenwerth schätzt an ihrem Kiez vor allem, dass so viel Potenzial drinsteckt: „Es entwickelt sich etwas… wie kleine Knospen, die aus dem Boden hervortreten“, erzählt sie mir.
Im Südkiez gehen gerade einige Veränderungen vor sich. Die vielen Leerstände, aber auch die wachsende Szene laden immer mehr kreative Köpfe ein, sich hier niederzulassen und Neues auszuprobieren. Auch das macht den Südkiez aus. Gefördert wird dieser Trend auch zusätzlich noch durch „Plug & Work“, einem Projekt des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Frau Dr. Monika Michaelsen und Juliane Heimann, die Koordinatoren des Projekts, haben seit 2015 bereits zehn Jungunternehmen durch Finanzierung und Coaching bei der Niederlassung in der Südstadt unterstützt. Das ist Zusammenhalt im Kiez!
Hier wohnen die Studenten…
Wie viele andere Südstadt-Bewohner, darunter auch viele Studenten, wohne ich in einer gerade modernisierten Wohnung in einem Mehrparteienhaus, Altbau. Im ersten Stock wird gerade sogar noch renoviert. Das geht hier alles nach und nach. Zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt ist der „Ansgari-Campus“. Das frühere Schulgebäude bietet seit 2018 etwa 75 Studenten ein zu Hause, das genau da gelegen ist, wo immer was los ist.
Wie passend, dass auch das Studentencafé „Freiblock“ sich hier niedergelassen hat. Nicht nur selbst gebackenen Kuchen und guten Kaffee bekommt man hier, sondern auch regelmäßige Spieleabende, Quizze und Dartturniere. Ein anderes Café eines ehemaligen Wilhelmshavener Studenten ist „Kush’s Café und Bar“. Mit Hilfe von Freunden und Verwandten hat sich der Besitzer Kushtrim Hajdini das Lokal samt Inneneinrichtung selbst aufgebaut. Dabei war sein oberstes Ziel immer: Einen Ort zum Reden zu schaffen.
Alle Fotos: Jade Hochschule, Medienprojekt SÜDKIEZ
Aber der Südkiez ist nicht nur von einzigartigen Cafés geprägt, sondern auch andere kulinarische Genüsse kommen nicht zu kurz. Gleich nebenan sind „Senfonie“ und „Weinprobe“ gelegen, wo noch handgesenft und individuell Wein empfohlen wird. Für mich sind das zwei perfekte kleine Lädchen, um ein schönes Mitbringsel für den nächsten Heimatbesuch zu finden. Wie es sich für einen Studenten gehört bin ich mit meinen Gedanken allerdings schon voll in meiner Freizeitplanung.
… dann muss hier ja was los sein!
Wenn man was erleben will, ist das Kulturzentrum „Pumpwerk“ die erste Anlaufstelle. Mein Weg zum „Pumpwerk“ ist recht kurz, eigentlich nur einmal quer über den Kanal. Gut, weil ich keine Möwe bin, muss ich den Umweg über die Deichbrücke nehmen, aber dann habe ich die große Auswahl zwischen Comedy, Lesungen, Musik. Im Sommer sind Open-Air-Veranstaltungen, z.B. das kostenlose „Mittwochs am Pumpwerk“, im Winter findet z.B. das „Festival der Kleinkunst“ statt, indoor natürlich.
Outdoor ist auch die „SUEDBAR“ unterwegs. Das nicht-kommerzielle Popup-Projekt veranstaltet jeden Sommer Konzerte und andere Veranstaltungen an den unterschiedlichsten Orten in der Südstadt. Vor allem hat das Team aus ehrenamtlichen Helfern dabei immer den Anspruch, für alle Alters- und Einkommensgruppen offen und einladend zu sein. Noch ein Südkiez-Merkmal!
Zum Kiez gehört auch die Kunst
Auch was Kreativität angeht, werde ich in der Südstadt fündig. Axel Biewer und Rabea Determann sind alt eingesessene Südstädter Künstler, der eine Fotograf, die andere Popart-Künstlerin. Beide veranstalten gerne Workshops, um ihre Passion für die Kunst und das Viertel mit anderen zu teilen. Mit anpacken kann ich auch in der „Soulshine Fabrik“. Warum vor allem die Siebdruck-Kurse so beliebt sind, wird mir schnell deutlich. Mit den eigenen Händen seine Garderobe zu individualisieren hat wirklich seinen Reiz. Top Adressen auf dem Kiez.
Foto von Axel Biewer Melvin Lamberty von Born Originals Soulshine Fabrik
Alle Fotos: Jade Hochschule, Medienprojekt SÜDKIEZ
Ein ähnliches Erfolgsrezept haben auch die Sneakers von „Born Originals“. Der Gründer Melvin Lamberty will durch seine Schuhe das „geborene Original“ in jedem zum Vorschein bringen, über den Weg der Kunst. Mein inneres Original habe ich zwischen Rosen und Farbkleksen auf den Schuhen noch nicht gefunden, aber vielleicht teste ich mal den neuen Konfigurator, der die Individualität nochmal erhöhen soll. Begonnen hat das Ganze übrigens über einen zufälligen Kontakt auf Instagram mit einem amerikanischen Künstler. Heute kommen bis zu 80 Prozent der Einnahmen aus dem Ausland, der Firmensitz bleibt trotzdem in Wilhelmshaven.
Fazit
Der Südkiez zeichnet sich aus durch sein Stadtbild, sein Potenzial, seine Kreativität und nicht zuletzt durch seine Menschen. Wer hierher kommt, kann viel Neues und vielleicht auch Unerwartetes entdecken und genießen. Mit den Großstädten kann Wilhelmshaven zwar noch nicht mithalten, aber wir befinden uns auf dem direkten Wege dahin.
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