Große Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus und dieser Schatten ist im Wortsinn verdammt groß. Im vollständig renovierten Prachtbau des ehemaligen Zoologischen Instituts an der Berliner Straße in Göttingen eröffnet am Wochenende 4./5. Juni das Forum Wissen der Universität Göttingen mit einem umfangreichen Programm für alle. Auf 1.400 Quadratmetern widmet sich Göttingens neues Museum der Frage wie Wissen entsteht. Die Szenografie des Museums mit Wow-Effekt ist ebenso unkonventionell wie eindrucksvoll, vom interaktiven Labor, über den Mini-Hörsaal, den begehbaren Schreibtisch bis hin zum Bücherturm und den Bubble Chairs.
Bereits vor der Eröffnung hat das Forum Wissen das Museumsgütesiegel 2022 bis 2028 des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen erhalten, ein absolutes Novum. Das Konzept des Wissensmuseums der Universität Göttingen sei „beispielhaft vorbereitet“, heißt es in der Begründung der Jury. Und nun das Beste: Der Eintritt ins Forum Wissen und der Besuch von Sonderausstellungen, Führungen und Rundgängen ist kostenfrei. Für aboutcities durfte ich mich in den “Räumen des Wissens” vorab schon einmal umsehen.
Wissen barrierefrei erleben
Auch wer nicht architektonisch bewandert ist, gerät beim Entree des 1877 fertiggestellten Gebäudes direkt neben dem Göttinger Bahnhof vermutlich ins Staunen. Was für ein Treppenhaus. Aber keine Sorge, dieser Hort der spannenden Wissensvermittlung ist barrierefrei zu erleben, denn alle Gebäudeteile des Forum Wissen sind schwellenfrei und über Fahrstühle zugänglich.
Foto: Christoph Mischke
Mehr noch: Nahezu alle Vitrinen und Tische sind unterfahrbar und verschiedene Stationen laden zum Tasten, Sehen, Hören und Riechen ein, ein gelungenes Mehr-Sinne-Prinzip. Eine inklusive Audio-Tour begleitet Menschen mit Sehbehinderung und Blinde mittels audiodeskriptiver Inhalte durch die Räume. Die Forum-Wissen-App enthält zudem Videos in Deutscher Gebärdensprache und Raumtexte sind in Leichter Sprache verfasst.
Räume des Wissens
Foto: Christoph Mischke
Das Prinzip des Museums ist leicht zu überschauen. Die Basisausstellung erstreckt sich über zwei Stockwerke und führt durch drei Prologräume und 12 „Räume des Wissens“. Wie und wo wird Wissen eigentlich geschaffen? Welche Akteure sind daran beteiligt – welche Menschen, Dinge oder Zusammenhänge? So theoretisch wie diese Fragen klingen, so anschaulich und praxisnah werden sie beantwortet. Perspektiven, Praktiken und Verknüpfungen, so sind die drei Prologräume benannt, spielen die essentielle Rolle im Prozess des Wissen-Schaffens.
Foto: Christoph Mischke
Hier erfahrt ihr anhand zahlreicher Exponate, eigens choreographierter Video-Sequenzen und Multimedia-Stationen wie und vor allem warum die einzelnen Rädchen ineinandergreifen oder eben manchmal auch nicht. Der Großteil der teils sehr seltenen und aufregenden Exponate stammt aus den über 70 akademischen Sammlungen der Universität Göttingen.
Forum Wissen: Menschen, Tiere, Dinge
Die meisten der “Räume des Wissens” befinden sich im Obergeschoss. Jeder der 12 Räume wird mit eigenen Fragen, Themen und Wissenspraktiken verbunden. Im Raum “Feld” seid ihr buchstäblich mittendrin. In der Feldforschung geht es darum, die Fülle von Eindrücken zu verarbeiten. Es geht um das Verstehen der Zusammenhänge, in denen Menschen, Tiere oder Dinge zueinander oder ihrer Umwelt stehen. Neutral und objektiv zu bleiben ist hier nicht nur für die Forschenden schwierig, sondern sicher auch für die Besucher*innen.
Im Raum “Museum” steht natürlich das Sammeln, Aufbewahren und Präsentieren im Fokus. Gesteine, Insekten, Schmuck aus vergangenen Epochen, Trocken- und Feuchtpräparate werden euch sicher zum Staunen und vielleicht auch ein bisschen zum Gruseln bringen. So oder so: extrem spannend.
Foto: Christoph Mischke
Foto: Christoph Mischke
Foto: Christoph Mischke
Im benachbarten “Atelier” geht es darum, genau solche Dinge zu visualisieren. Von der historischen Zeichnung, über die mikroskopische Fotografie bis hin zu computergenerierten Datenbildern. Ihr werdet Augen machen, was in der Wissenschaft bisher alles ging und vor allem heute möglich ist.
Liebevolle Ausstattung
Foto: Christoph Mischke
Am „Schreibtisch“ werden Wissenspraktiken behandelt, die eben auf und um diesen herum erledigt werden, wie Transkribieren, Korrigieren, Kommentieren oder Veröffentlichen. Hier hat mich die liebevolle Ausstattung besonders beeindruckt, denn der Schreibtisch im “Haus des Wissens” ist, nun ja, ein wenig anders, als ihr es gewohnt seid. Lasst euch überraschen.
Foto: Christoph Mischke
Für den “Salon” mit seinen acht schwingenden Bubble-Chairs solltet ihr ein wenig Zeit mitbringen. Hier ist Raum für Diskussion, Austausch und Meinungen. Über die installierten Lautsprecher könnt ihr jeweils eine bestimmte Perspektive auf einen von vier aktuellen wissenschaftlichen Themenkomplexen hören. Je nach räumlicher Position, könnt ihr andere Stimmen und Argumente hören, zum Beispiel aus Wissenschaft, Politik oder Aktivismus.
Originale Objekte aus Lehrsammlungen
Foto: Christoph Mischke
Foto: Christoph Mischke
Großartig gelungen ist auch der “Hörsaal”. Nehmt Platz, werdet (wieder) zum Studiosus und erlebt diesen Raum des Lehrens und Lernens. Hier haben die Lehrenden ihren großen Auftritt. Hier verkörpern sie mit Gestik, Mimik, Sprache und Stil ihre Rolle als Wissenschaftler*innen. Natürlich ist der Raum mit Medien und originalen Objekten aus Lehrsammlungen bestückt. Ihr werdet Dinge erblicken, die ihr vermutlich noch nie gesehen habt – versprochen.
Einblicke in die “Werkstatt” des Forum Wissen
Foto: Christoph Mischke
Foto: Christoph Mischke
Foto: Christoph Mischke
Besonders hat mich der Raum “Werkstatt” fasziniert. Hier bekommt ihr Einblicke, die üblicherweise der Öffentlichkeit verborgen und nur den unmittelbar Beteiligten vorbehalten sind. In die Restaurierung zum Beispiel, samt aufwendiger Reinigung und Konservierung meist wertvoller Exponate. Oder die feinmechanische Werkstatt. Für die kostspieligen astronomischen Messinstrumente braucht es versierte Handwerker vor Ort. Nicht umsonst haben Göttinger Universitätsmechaniker die Stadt im Lauf der Jahrhunderte zum Mekka der Messtechnik gemacht.
Auf dem “Holzweg”
Jedoch ist die Wissenschaft nicht immer vom Erfolg gekrönt. Umwege, Rückschläge und Sackgassen lassen auch so manchen Forschenden scheitern. Natürlich wird darüber nicht so gerne gesprochen und Misserfolge gelten häufig immer noch als Tabuthema. Nicht so im Forum Wissen. Begebt euch auf den “Holzweg” und erfahrt von Wissenschaftler*innen ihre ganz eigenen Geschichten vom Irren, Straucheln und Verlieren.
Spektakulärer Bücherturm
Foto: Christoph Mischke
Foto: Christoph Mischke
Natürlich fehlt auch der Knotenpunkt des wissenschaftlichen Arbeitens nicht, die “Bibliothek”. Allerdings ganz anders, als ihr euch das wahrscheinlich vorstellt. Das kuratorische Team hat einen spektakulären begehbaren Bücherturm aus über 2021 Einzelbänden errichtet. Während ihr von außen in fünf thematischen Vitrinen Objekte aus den Göttinger Sammlungen bestaunen könnt, seid ihr im Inneren des Turms dazu eingeladen, an der „Bibliothek des Forum Wissen“ mitzuwirken. Lasst euch überraschen.
Café mit Wal-Skelett
Foto: Christoph Mischke
Nach so viel geballtem Wissen über das Wissen braucht ihr sicher eine kleine Pause. Schlendert gemütlich durch den Museums-Shop und besucht auf jeden Fall auch das Museums-Café. Vielleicht könnt ihr dann schon einen Blick auf das 17 Meter lange Pottwal-Skelett werfen, dass über den Köpfen der Gäste schweben soll. Dessen professionelle Reinigung ist nahezu abgeschlossen. Dieses Original-Präparat des 1998 vor Nordstrand verendeten Meeressäugers war in diesem Gebäude schon viele Jahre lang das Highlight. Damals, als hier noch das Zoologische Institut war.
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