Phileas Fogg benötigte Ende des 19. Jahrhunderts 80 Tage, um einmal um die Welt zu reisen – und war damit damals noch ziemlich fix. In unseren modernen Tagen hat natürlich kaum noch jemand so viel Zeit zur Verfügung, um so lange zu reisen und andere Kulturen und Völker kennenzulernen. Deshalb versuche ich meine Weltreise heute auch in nur sechs Stunden zu schaffen. Helfen werden mir dabei die Sammlungen der Universität Göttingen, die jeden Sonntag zwischen 10 und 16 Uhr geöffnet sind. Die bringen uns ins musikalische Herz Afrikas, auf Entdeckungstour in die Südsee, zu dänischen Malern und chinesischen Models und zum König der Ozeane.
Wissenschaftler der Göttinger Universität auf Reisen
Die altehrwürdige Georgia Augusta, unsere Göttinger Universität, wurde bereits im Jahre 1737 gegründet. Im Laufe der vergangenen fast 280 Jahre sind ihre Wissenschaftler auf Forschungsreisen in aller Welt gewesen. Kein Land war zu weit entfernt, kein Berg zu hoch, kein Pol zu kalt, kein Meer zu stürmisch als dass nicht Göttinger Wissenschaftler sich auf den Weg gemacht hätten, um zu erforschen, zu vermessen und zu verstehen. Sehr oft wurden von diesen Reisen Forschungsobjekte in die Heimat mitgenommen. Hier wurden sie weiter untersucht und den daheimgebliebenen Wissenschaftlern und Studenten als Anschauungsmaterial zur Verfügung gestellt. Und so kommt es, dass die Institute der Göttinger Universität zahlreiche Schätze beherbergen, die auf diese Weise ihren Weg aus aller Welt nach Göttingen gefunden haben.
Die Musikinstrumentensammlung im Accouchierhaus
Auf meiner heutigen Weltreise verbinde ich vier Sammlungen, die sich mit einem schönen Rundgang über den Göttinger Stadtwall verbinden lassen. Mein erstes Ziel ist dabei die Musikinstrumentensammlung am Geismar Tor. Schon das Gebäude ist etwas Besonderes. Das sogenannte Accouchierhaus wurde Ende des 18. Jahrhunderts erbaut und war ab 1791 Heimat der ersten universitären Entbindungsklinik im deutschsprachigen Raum. Um zur Sammlung der Musikwissenschaftler zu gelangen, muss ich erst durch ein wunderschön gestaltetes, altes Treppenhaus bis in den zweiten Stock.
Am Eingang werde ich von zwei Studentinnen mit ersten Informationen und einer Eintrittskarte versorgt und schon stehe ich mittendrin im ersten Ausstellungsraum. Dicht an dicht stehen hier die Instrumente: alte Klaviere, Harmonien, Cembali. Im Nachbarraum stoße ich dann auf Gitarren, Lauten, Harfen und Mandolinen. So weit, so vertraut. In den folgenden Ausstellungsbereichen realisiere ich aber sehr schnell, dass es langsam unbekannter und exotischer für mich wird.
Eine Oboe kenne ich ja noch. Aber eine Kegeloboe? Noch nie gesehen. Ein französischer Serpent aus dem 19. Jahrhundert? Mir bis dato komplett durch die Lappen gerutscht. Besonders der Raum mit den afrikanischen Instrumenten hat es mir angetan. Hier finde ich ein Lamellophon aus Zimbabwe, eine Gmbri aus Marokko oder die Lukombe, eine afrikanische Stegharfe. Ich bin fast versucht eine der großen Trommeln mal auf ihre Akustik hin zu testen. Aber ich besinne mich dann doch meiner einigermaßen gelungenen Erziehung und beschließe die anderen Besucher nicht zu erschrecken. Ich entdecke noch viele weitere Instrumente, von deren Existenz ich bisher nichts wusste. Beeindruckend, was hier alles in der Ausstellung zusammengeführt wurde.
Auf den Spuren von James Cook und Georg Forster
Über den Stadtwall, entlang des Cheltenhamparks, steuere ich als nächstes die Ethnologische Sammlung an. Zu Fuß benötige ich kaum 10 Minuten und schon stehe ich vor einer der ältesten universitären Sammlungen Deutschlands. Deren Vorläufer war das Academische Museum, das bereits im Jahre 1773 in Göttingen entstand. Aus diesem Grund umfasst die Ausstellung auch besonders viele und außerordentlich wertvolle Kulturgegenstände des 18. Jahrhunderts. Highlight ist sicherlich die Cook/Forster-Sammlung. Der berühmte englische Kapitän James Cook unternahm ab 1768 drei große Expeditionen und erforschte dabei den fast unbekannten pazifischen Raum.
Von diesen Reisen brachten er und seine Begleiter, u. a. der Naturforscher Reinhold Forster und sein Sohn Georg, zahlreiche ethnographische Objekte mit. Göttinger Wissenschaftler erkannten den Wert bereits früh und erwarben auf unterschiedlichen Wegen ca. 500 Artefakte dieser Reisen. Und so kommt es, dass ich jetzt vor beeindruckenden Masken von Kriegsgöttern, Federhelmen und reich verziertem Brustschmuck der Südsee-Insulaner stehe. Unglaublich wie gut alles erhalten ist.
Schon als Kind habe ich mich für die Entdeckungstouren der großen Weltumsegler begeistert und lasse mich jetzt erneut anstecken. Nach Verlassen der Cook/Forster-Sammlung nehme ich mir noch Zeit mir die Kulturzeugnisse südamerikanischer Indianer und der Bewohner der arktischen Polarregion anzusehen. Mit einem leichten Frösteln verlasse ich die Ethnologische Sammlung, denn obwohl auf den Erklärungstafeln versichert wird, dass die Bekleidung der Einheimischen vor großer Kälte schützt, stelle ich mir nicht gern vor bei -30 Grad Celsius durch den nordsibirischen Winter laufen zu müssen (aktueller Hinweis: ab Mai 2018 ist die Ethnologische Sammlung für voraussichtlich zwei Jahre aufgrund von Renovierungsarbeiten geschlossen).
Die Kunstsammlung im Auditorium
Umso mehr freue ich mich, dass es draußen immer noch schön ist und dass mir die Sonne den Nacken wärmt als ich mich auf den Weg zur Kunstsammlung begebe. Ich muss auch diesmal nur dem Verlauf des Stadtwalls folgen. Auf meinem Weg passiere ich den Alten Botanischen Garten, der thematisch gut in meine kleine Weltreise passen würde. Aber ich lasse die Anlage und die Gewächshäuser der Universität mit Pflanzen aus aller Welt rechts und links liegen, da ich am Ende des Gartens bereits das Gebäude entdecke in dem sich die Kunstsammlung befindet. Untergebracht ist diese im Auditorium der Universität, in dem ich als Student noch mit englischer Grammatik oder wie es Loriot vielleicht eher sagen würde mit dem zweiten Futur bei Sonnenaufgang gekämpft habe.
Heute befindet sich in der zweiten Etage die Kunstsammlung der Göttinger Universität. Neben der Dauerausstellung gibt es zahlreiche Sonderausstellungen, die dafür sorgen, dass die umfangreichen Schätze, u. a. von Dürer, Botticelli, Rembrandt und Goya, immer wieder das Tageslicht erblicken und den Besuchern präsentiert werden können. Ich tauche erst einmal ein in die Dauerausstellung und betrachte Portraits königlicher Herrscher, üppige Landschaftsmalereien und Stillleben. An einem Gemälde bleibe ich hängen, denn das Motiv erscheint mir recht ungewöhnlich zu sein. Es handelt sich dabei um ein Werk des dänischen Malers Jens Juel und wurde um 1782 gemalt. Das Gemälde zeigt einen Chinesen in der Tracht eines hohen Beamten, der auf einem Stuhl sitzt und sich vom Betrachter abwendet.
Wie mir Verena Suchy von der Kunstsammlung später berichtet, handelt es bei dem Porträtierten um einen einfachen Matrosen. Das Rätsel konnte nie gelöst werden, warum er sich in Kopenhagen dieses Gewand hat anfertigen lassen. Aber es war im 18. Jahrhundert auf jeden Fall eine europäische Modeerscheinung sich in besonderem Maße für China zu interessieren, chinesische Porzellanvasen und andere Güter zu erwerben. In diesem Zusammenhang ist wahrscheinlich auch das Interesse des Malers Jens Juel am chinesischen Matrosen zu sehen, denn sonst widmete er sich eher den Darstellungen der gehobenen dänischen Gesellschaftsschichten.
Das Zoologische Museum
Die vierte und letzte Station auf meiner Tour soll das Zoologische Museum sein (aktueller Hinweis: das Zoologische Museum ist gegenwärtig geschlossen. Die Neueröffnung ist für Ende 2019 geplant). Dort interessiere ich mich vor allem für das 17 m lange Pottwalskelett, das sich in der zweiten Etage befindet. Ich verlasse also die Kunstsammlung und begebe mich wieder auf den Stadtwall, um in Richtung Süden zu laufen. Nach wenigen Minuten taucht rechter Hand der Bahnhof auf. Hier überquere ich die Straße und halte mich links. Von der Ampel aus konnte ich bereits den Blick zum Zoologischen Museum richten, das gleich hinter dem Busbahnhof liegt. Der Eingang befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes, ist aber gut ausgeschildert und somit leicht zu finden.
Anstatt, wie ursprünglich geplant, gleich zum Wal in die zweite Etage durchzumarschieren, werde ich im Erdgeschoss von der Ausstellung über die einheimische Tierwelt abgelenkt. So stehe ich nun also nicht vorm König der Ozeane, sondern vor Finken, Meisen und Spatzen. Ich fühle mich unmittelbar in meine Kindheit zurückversetzt, in der ich mit einem Vogelbestimmungsbuch, einer Tasse Kakao und einem kleinen Fernglas am Fenster meines Zimmers saß und versuchte, möglichst viele Vogelarten im Garten zu entdecken und zu bestimmen. Für jeden Vogel, der mir vors Fernglas lief, gab es einen Strich hinter dem dazugehörigen Bild. Ich erinnere mich daran, dass hinter den Amseln und Meisen eine Menge Striche zu finden waren, bei den Rotkehlchen wurde es schon übersichtlicher und ein Dompfaff traute sich anscheinend nur einmal in mein Blickfeld.
Hier könnte ich nun meinen Stift nur so durch das Vogelbestimmungsbuch sausen lassen, denn jede Art scheint mindestens einmal vertreten zu sein. Nach einer Weile eise ich mich los und nehme nun die zweite Etage in Angriff. Schon aus dem Treppenhaus erblicke ich das riesige Skelett des Pottwals.
Ein Pottwal, der in Göttingen strandet
Einmal quer durch den Raum erstrecken sich die Knochen und geben ein beeindruckendes Gefühl für die Größe eines Pottwals. Wie ich den Info-Tafeln entnehmen kann, endete sein Leben zusammen mit dem zweier Artgenossen 1998 an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Damals musste natürlich alles sehr schnell gehen und so fuhren die Wissenschaftler an die Küste, um das Skelett von dem 50 Tonnen schwerer Pottwal zu trennen. Nach getaner Arbeit blieben trotzdem noch drei Tonnen Knochen übrig, die nach Göttingen transportiert wurden. Hier wurden sie bei 50 Grad noch einmal einem Schönheitsbad unterzogen für das 400 kg Waschmittel und 10 l Spüli verwendet wurden.
Die richtigen Probleme begannen allerdings erst jetzt. Denn die deutsche Standard-Eingangstür scheint sich überraschenderweise nicht an den Ausmaßen eines Wal-Schädels zu orientieren. Und so musste die Außenwand im zweiten Stock des Zoologischen Museums aufgestemmt werden, um den Wal einfliegen zu lassen. Aber die Arbeit hat sich gelohnt, denn dieses Ausstellungsstück ist wirklich sehr sehenswert.
Meine Aufnahmekapazität ist langsam erschöpft und so beschließe ich den Nachmittag in einem Café mit einer Tasse Chai-Tee ausklingen zu lassen. Die universitären Sammlungen, zu denen im Rahmen der Sonntagsspaziergänge auch noch das Geowissenschaftliche Museum und die Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen gehören, haben immer sonntags von 10 bis 16 Uhr geöffnet.
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