In Celle ist die neue Spielzeit des Schlosstheaters mit Faust (I und II) eröffnet worden. Wir haben im Juli mit Andreas Döhring, dem neuen Intendanten, gesprochen.
Andreas Döring ist der neue Intendant im Schlosstheater Celle. Wir treffen ihn zwischen zwei Proben im Rathaus, wo er sein provisorisches Büro hat, der Umzug ins Schlosstheater steht erst noch an. Wir sprachen mit ihm darüber wie man Intendant wird, wie man Menschen ins Theater bekommt und was Kostüme bedeuten.
aboutcities: Herr Döring, wie wird man Intendant, bewirbt man sich darum?
Andreas Döring: Das ist bei jedem Intendanten verschieden. Ich bin zu meiner Zeit als freier Regisseur gefragt worden, ob ich mich für solch einen Posten interessieren würde. Ich war damals 34 Jahre alt und eigentlich stand so ein Schritt gar nicht auf meiner Agenda. Aber es reizte mich, denn Intendant: da steckt intendieren drin, etwas beabsichtigen. Ich bin es dann für neun Jahre in Göttingen geworden.
ac: Und wie war es mit Celle?
Döring: Die Stelle war ganz normal öffentlich ausgeschrieben und ich habe mich beworben. Das eigentliche Bewerbungsverfahren war dann sehr aufwendig, die schriftliche Bewerbung ist gefühlt wie fünf Abiturprüfungen auf einmal. Ich musste darlegen, was ich bisher gemacht habe und vor allem was ich in dem neuen Arbeitsfeld vorhabe, eben beabsichtige, intendiere. Danach Auswahlverfahren vor einer dreizehnköpfigen Kommission. Von der Ausschreibung bis zur Entscheidung hat der gesamte Prozess rund sechs Monate gedauert.
ac: Sie sagten der Intendant ist der Intendierende. Beabsichtigen Sie etwas zu ändern am Theater in Celle?
Döring: Es kommt ein Ensemble aus 16 verschiedenen Personen fest ans Celler Theater. Die Stücke werden im Spielplan länger laufen, bis zu einer ganzen Spielzeit. Bisher war es so, dass Sie von dem Stück „Faust“ hörten und dann mussten Sie innerhalb der nächsten vier Wochen hineingehen, künftig haben Sie mehr Zeit. Gleichzeitig gibt es ein größeres Repertoire. Wir werden gleich im ersten Monat sieben Premieren haben. Neu ist ebenfalls, dass viele dieser Stücke auch für Schulen buchbar sein werden und dass wir mit manchen Stücken in den Landkreis gehen wollen. Das Schlosstheater will sein Gesicht in der Region zeigen und sucht den Dialog.
Neu ist weiterhin, dass wir ein vollwertiges Kinder- und Jugendtheater haben werden. Außerdem wird es eine neue Spielstätte geben, die HALLE 19 auf dem Gelände der ehemaligen CD Kaserne, wo auch die Probebühnen und Werstätten liegen. Bis Ende Dezember 2014 bauen wir dort ein Raumtheater ein, der Zuschauerraum wird variabel genutzt werden können. Das bietet andere Theatererlebnisse gegenüber dem Schlosstheater, wo Sie immer fokussiert auf die Barockbühne schauen.
Und schließlich wird es einmal im Jahr Sommertheater im Innenhof geben. Mit dem Ziel, dass im Sommer, wenn viele Touristen in der Stadt sind, eben auch Theater stattfindet.
ac: Stichwort Touristen: Sie wollen bewusst mehr reinholen?
Döring: Unbedingt. Das Schloss ist so attraktiv. Ziel ist, dass Menschen, die nach Celle kommen schneller erkennen, dass in diesem Gebäude gelebte Kultur stattfindet. Der Tourist muss wissen, dass er seinen Besuch in Celle mit einem Besuch des Theaters kombinieren kann. Dazu müssen wir profilierter auftreten.
ac: Sie sind gebürtiger Rheinländer. Wie ist es da in die norddeutsche Tiefebene zu kommen?
AD: Tiefebene stimmt: Celle ist nochmal 40 Meter tiefer als Bonn. Wenn ich früher mit dem Zug nach Hamburg fuhr, dann begann ab Hannover die Strecke wo man nicht mehr aus dem Fenster schaut. Weil es nichts mehr zu sehen gibt außer Bäumen und Feldern: alles flach. Von daher hatte ich keine Vorstellung von diesem Landstrich und war umso überraschter, wie schön es hier ist.
Aboutcities: Und die Leute…
Döring: Ich bin dagegen eine Region und die Menschen zu kategorisieren. Ich bin jetzt auch ein Celler und von daher gehöre ich dazu. Aber so viel: Meine Vorstellung von hanseatisch fängt hier schon an. Man ist korrekt, sachlich, rechtschaffen, schnörkellos und macht nicht viel Aufhebens. Und ist trotzdem stolz auf die Heimat. Wie die Süddeutschen.
Aboutcities: Zurück zum Theater: Gibt es neue Themen, neue Stücke?
Döring: Mir war wichtig, dass die Stücke, die jetzt kommen einen Zeitbezug zur Gegenwart haben und unterhaltsam sind. Wir fangen an mit dem Klassiker schlechthin: Faust. Hat es seit 40 Jahren nicht in Celle gegeben. Mich interessiert die heutige Lesart des Stückes. Beschäftigung mit dem Leben im Zeitraffer, man ist nicht zufrieden, man will erfolgreich sein… Faust ist interpretierbar für eine Welt ohne Müßiggang, ohne Ideologien, für eine Welt der Leistungsgesellschaft.
ac: Das wird dann also kein Kostümtheater?
Döring: Das schließt sich doch nicht aus. Die Unterscheidung zwischen experimentell, traditionell und werktreu ist viel zu banal, viel zu oberflächlich, greift nie. Der Hinweis, dass man in einem Theaterstück alte Kostüme verwendet heißt noch lange nicht, dass man ein museales Stück gemacht hat. Für mich ist das Entscheidende was der Schauspieler tut. Ein Schauspieler, der sich Zeile für Zeile, Begegnung für Begegnung im Kontext der Proben damit beschäftigt hat was das Stück mit ihm und dem Zuschauer zu tun hat, dessen Spiel wird darüber entscheiden, ob es ein zeitgenössisches Theater ist. Wenn der dann den Hermelin von 1723 trägt ist das ein ästhetischer Verweis darauf, wie alt das Stück ist. Aber der Mantel definiert nicht den Erzählanlass des Stückes.
Ich will ein schauspielerorientiertes Theater. Ich will Konflikte auf der Bühne erleben. Konflikte können im Theater sehr unterhaltsam sein, wenn man nicht beteiligt ist. Theater muss unterhaltend sein, dazu gehört Humor, Schadenfreude oder auch Aufklärung und Wissen. Und Theater muss überraschen.
ac: Kommen wir zurück zu den Stücken?
Döring: Wir beenden die Saison mit einem weiteren Klassiker „Viel Lärm um nichts“ von Shakespeare. Dazwischen gibt es sechs Uraufführungen und vor allem neue, zeitgenössische Stücke, zwei verrate ich hier mal: „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad ist gerade mal acht Jahre alt und behandelt das Thema Migration und Bürgerkrieg. Soziale Fragestellungen interessieren mich besonders. Deshalb spielen wir auch eine bitterböse Komödie um eine Familienzusammenkunft: „Eine Familie“ von Tracy Litts. Wie gehen Menschen miteinander um in dieser kleinsten gesellschaftlichen Einheit?
ac: Sie waren vorher in Göttingen Intendant, da gibt es um die 25.000 Studenten. Wie sieht das Celler Publikum aus?
Döring: Älter, das Durchschnittsalter unserer Abonnenten liegt bei 66… Und statistisch gesehen gibt es die Gruppe zwischen 20 und 30 in Celle kaum. Deshalb konzentrieren wir uns mit dem Kinder- und Jugendtheater auf die Zielgruppe bis 20 und mit dem Schlosstheater auf die Zielgruppe jenseits der 30. Es gibt einen großen Anteil von Abonnenten, die lieben ihr Theater. Dazu wollen wir mehr Familienansprechen. Wenn Sie sonntags um drei ins Theater gehen, bieten wir beispielsweise in Zukunft eine Kinderbetreuung an. Da gibt es ein Parallelprogramm und auf dem Heimweg können sich dann Eltern und Kind über das Erlebte austauschen.
Alle Aufgaben münden immer in der Frage, wie bekomme ich die Menschen überhaupt ins Theater.
ac: Im Zeitalter von Internet, Smartphone und Social Media.
Döring: Ich glaube nicht, dass diese Dinge wirklich mit dem Theater konkurrieren. Viel eher ist der Erstkontakt wichtig. Wenn ich als Jugendlicher nicht mit dem Theater in Berührung gekommen bin, dann gehe ich auch später nicht hin. Da setzen wir mit unserem Kinder- und Jugendtheater an. Theater müssen sich eben immer wieder etwas einfallen lassen.
ac: Herr Döring, vielen Dank für das Gespräch und wir wünschen einen guten Start. Was liegt bei Ihnen heute noch an?
Döring: Gleich Kostüm- und Bauprobenbesprechung, da bin ich schon überfällig. Dann muss ich die Stückfassung von Jim Knopf fertig schreiben, einen Lehrerbrief korrigieren und die Faust-Strichfassung für den Komponisten nachbereiten. Den Rest sagt mir wahrscheinlich mein E-Mail-Account.
Der Internetauftritt des Schlosstheaters
Hier kann man einen Blick auf die Aufführungen der kommenden Saison werfen:
Auf ein Wort mit Andreas Döring. Ein Beitrag von CelleHeute TV
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Sie wollen noch mehr über Celle wissen? Hier geht es zur aboutcities-Website. Mit noch mehr Lustmachern und Angeboten.
Das Interview führte Thorsten Windus-Dörr, Journalist und PR-Berater aus Hannover. Unser Kopfbild zeigt einen Teil des neuen Ensembles bei Proben.
Dr. Noth Weinstus meint
Interessanter Typ. Bei dem Kostümtheater hat er den Interviewer gut ausgehebelt. Durchschnittsalter der Abonnenten liegt also bei 66! Achtung Vorurteil: Das ist die 68-Generation! Wir reden hier nicht mehr über die Leute, die den Musikantenstadel goutieren.
Sheik Bier meint
Aber es gab doch auch einige Entlassungen, las ich. War nicht alles Ponyhof.
Thorsten Windus-Dörr meint
Lieber Sheik, darauf will ich mal persönlich antworten, weil ich das Interview mit Döring geführt habe. Ich habe keine Fragen nach den Entlassungen gestellt, weil ich fand, dass dieses Thema in den Celler Medien weitestgehend ausgeschlachtet wurde und auch eigentlich nur Celle selbst interessiert. Tatsächlich blieben vom festen Schauspielerstamm von sieben nur zwei übrig. Es ist aber ein ganz normaler Vorgang, dass ein neuer Intendant sein Ensemble nach eigenen Vorstellungen zusammenstellt. Sogar der Betriebsrat sagte gegenüber der Celler Zeitung: „Es gab in Celle schon andere Intendantenwechsel. Dieser Übergang ist vergleichsweise normal.“
LR meint
Ich wünsche dem neuen Intendanten gutes Gelingen! Vor allem mit der stärkeren Ausrichtung auf Kinder und Jugendliche und einer aktiven Ansprache der Schulen gelingt es ihm hoffentlich, den Altersdurchschnitt zu senken und das Schloßtheater dauerhaft zu füllen.