Inspiriert von Lena Großmüllers Projekt Reiseführer des Zufalls starten die aboutcities-Blogger in dieser Woche ein besonderes Experiment. Unsere Mission: die niedersächsischen Städte einmal abseits der herkömmlichen touristischen Pfade zu entdecken. Als wir die Idee das erste Mal diskutieren, ist für mich sofort klar: ich möchte einen Tag in Göttingen verbringen! Denn in diese altehrwürdige Universitätsstadt am südlichsten Zipfel unseres Bundeslandes haben mich meine Reisen noch nie geführt.
Zufall versus Plan
Trotz aller Vorfreude auf meinen Tag in Göttingen muss ich gestehen, dass ich der Herangehensweise des Reiseführer des Zufalls ziemlich kritisch gegenüberstehe. Die Idee, sich ohne eigene Planung allein dem Zufall zu überlassen, widerspricht so ganz und gar meiner sonstigen Neigung, Reisen so gut wie möglich vorzubereiten, um auch ja keine wichtige Sehenswürdigkeit zu verpassen. Aber gut – ganz nach dem Motto „Die besten Dinge verdanken wir dem Zufall“ setze ich mich an diesem Morgen erwartungsvoll in den Zug nach Göttingen.
Folge einem Local!
Am Bahnhof in Göttingen angekommen macht sich sofort eine gewisse Ratlosigkeit in mir breit. Wohin nun? Der Bahnhofsvorplatz gibt mir in seiner erstaunlichen Weite keinen Anhaltspunkt. Etwas verloren nähere ich mich dem einzigen optischen Anker, an dem mein Blick hängen bleibt. Der große, rätselhaft leere Sockel mit der Aufschrift „Dem Landesvater seine Göttinger Sieben“ verschafft meiner Orientierungslosigkeit aber auch keine Abhilfe. Ich widerstehe dem dringlichen Impuls, das Smartphone zu Rate zu ziehen. In diesem Augenblick geht mit schnellem Schritt ein Pärchen an mir vorbei. Sehr sympathisch sehen die Beiden aus, so um die 50, schick angezogen, gut gelaunt – und sie haben offensichtlich ein Ziel! „Folge einem Local“ lautet eines der Stadtexperimente im DSCVR. Glücklich ergreife ich diesen Wink des Zufalls und setze mich möglichst unauffällig auf ihre Fährte.
Göttingen die Shopping-Stadt
Der Weg des Paares führt über die Goethe Allee in die Fußgängerzone. Die zahlreichen Geschäfte rund um die Weender Straße lassen die Shopping-Queen in mir jubeln. Mein Tag in Göttingen nimmt für meinen Geschmack schon mal einen sehr guten Anfang! Die großen Modelabel, kleine Boutiquen und einladende Straßencafés – wer einen ausgedehnten Einkaufsbummel unternehmen möchte, ist in Göttingen genau richtig. Da ich keine Expertin im Beschatten bin und den Beiden nicht zu sehr auf die Pelle rücken möchte, verabschiede ich mich nach einer Weile mit stummem Dank und setze den Streifzug alleine fort. Vorbei an der Jacobi-Kirche und zurück zum Marktplatz mit Gänseliesel und Altem Rathaus lasse ich mich treiben und erfreue mich an der historischen Bausubstanz.
Besonders angetan haben es mir die vielen entzückenden, teils reich geschmückten, teils bunten Fachwerkhäuser. Leicht vorzustellen, dass es Häuschen wie diese sind, in denen die Figuren aus „Grimms Märchen“ wohnen.
Göttingen die Universitätsstadt
Diese Überlegung kommt mir tatsächlich nicht ganz zufällig, denn inzwischen habe ich die „Göttinger Sieben“ gegoogelt und gelernt, dass Jacob und Wilhelm Grimm beide Professoren an der Göttinger Universität waren. Und das führt mich zu dem Gedanken, dass zu einem Tag in Göttingen auf jeden Fall ein Abstecher zur Georg-August-Universität gehört. Mit etwas schlechtem Gewissen frage ich den nächsten Passanten nach dem Weg und helfe so dem Zufall auf die Sprünge. Neben dem beeindruckenden Universitätsgebäude stoße ich bald auf den Eingang zum Alten Botanischen Garten des Albrecht-von-Haller-Instituts für Pflanzenwissenschaften.
Hier, in nur kurzer Entfernung von den schicken Einkaufsstraßen, liegt eine wahre Oase verborgen. Ich folge einem Pfad durch einen grünen Bambusdschungel und freue mich über die unerwartete Wendung, die mein Städtetrip genommen hat. Gepflegte Beete, interessante Sichtachsen, schmucke Uni-Gebäude, abwechslungsreiche Pflanzenwelten – auf relativ kleinem Raum bietet der Alte Botanische Garten viel Platz für Erholung im Grünen. Absolut empfehlenswert ist außerdem das Café Botanik. Inmitten des Gartens könnt ihr euch hier auf ein schattiges Plätzchen freuen und eine große Auswahl an orientalischen Gerichten genießen.
Göttingen alternativ
Gut gestärkt bin ich schon bald wieder zum Aufbruch bereit. Genauso wie die Gruppe Mädels an einem Nachbartisch. Wo mögen sie hinwollen? Nach der guten Erfahrung von heute Mittag, beschließe ich, mich noch einmal dem Zufall zu überlassen und ihnen zu folgen. Und wieder habe ich Glück, denn auf ihrer Spur lerne ich nun ein drittes Gesicht von Göttingen kennen. Die Gegend rund um den Waageplatz möchte ich mal als „alternativ“ bezeichnen. Graffiti an den Mauern und historische Gebäude, die ihrer Renovierung harren, bilden quasi das Alternativprogramm zur Atmosphäre am Weender Tor. Nicht schick, aber authentisch und ich bin garantiert die einzige Touristin hier.
Ich suche mir eine Bank und lasse die Gedanken schweifen: Die romantischen Uferstraßen rund um den Waageplatz lassen viel Spielraum für Phantasie.
Kleine und große Reise-Abenteuer
Mein Tag in Göttingen neigt sich nun dem Ende zu. Viel zu früh für meinen Geschmack. Ganz sicher werde ich bald einmal wieder kommen. In nur wenigen Stunden habe ich drei verschiedene Gesichter dieser schönen Stadt kennengelernt und ich bin mir sicher, dass Göttingen noch viel mehr zu bieten hat. Mit dem Reiseführer des Zufalls habe ich einige Facetten dieser Stadt kennengelernt, die mir sonst wohl verborgen geblieben wären. Aber genauso wie man sich nicht durch einen herkömmlichen Reiseführer zu sehr beeinflussen lassen sollte, darf man es auch mit dem Reiseführer des Zufalls nicht allzu streng nehmen. Mit offenen Augen und offenem Herzen auf Reisen zu gehen ist meines Erachtens die beste Voraussetzung, um überall ein kleines oder großes Abenteuer zu erleben.
[…] Mit dem Reiseführer des Zufalls unterwegs in einer fremden Stadt – ich bin skeptisch! Normalerweise hätte ich den Besuch sehr gut geplant und wahrscheinlich sogar eine Stadtführung mitgemacht. Nun stehe ich in Göttingen am Hauptbahnhof und bin erstmal etwas ratlos. Wohin nun? Ich lasse mich also in die Hände des Zufalls fallen und wage Lena Großmüllers Stadtexperiment „Folge einem Local“. Wie ich auf diese Weise Märchenhäuser, einen Dschungel und alternative Großstadt-Romantik entdeckte, lest ihr in meinem Blogartikel „Ein Tag in Göttingen„. […]