Ein hungriges Einhorn wird in einer Kiste geliefert. Schwein Benny muss seinen kleinen Bruder Oink überall mit hinnehmen. Und Cowboy Klaus beschließt, dass der Kaktuswald vor seinem Haus verschwinden muss… In der Wolfsburger Figurentheater Compagnie in der Bollmohr-Scheune werden Kindern liebevoll und leichtherzig Geschichten rund um wichtige Themen des Lebens wie Freundschaft, Mut und Geschwisterliebe erzählt. Da lohnt sicher der Besuch auch für die Erwachsenen.
Herein spaziert!
Bereits seit 1990 lassen die beiden leidenschaftlichen Puppenspielerinnen und Gründerinnen der Compagnie, Brigitte van Lindt und Andrea Haupt, in Wolfsburg die Puppen tanzen. Seit 2000 haben sie dafür unweit der Innenstadt, umgeben von den charmanten Fachwerkhäusern des Stadtteils Alt-Heißlingen, ein eigenes Gebäude – die Bollmohr-Scheune, benannt nach einer abgebauten Scheune, die damals ihre Balken für das neue Theaterhaus spendete. Bereits von Weitem strahlen mir die blauen Fensterrahmen freundlich entgegen, bevor mich an der Tür Schwein, Maus und Hahn begrüßen.
Dass da eine Schweine-Figur vor dem Fachwerkhaus steht, ist kein Zufall, wie Haupt mir erklärt. „Ich habe schon Lieblingsfiguren“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Ich stehe auf Schweine.“ In vielen der rund 90 Stücke, die im Jahr für Kinder zwischen 3 und 10 Jahren im Figurentheater gespielt werden, kommen Tiere vor, da sie sich sehr gut eignen würden, um bestimmte Charaktereigenschaften zu verkörpern. Wie passend für eine Scheune. Die Kinder sollen so etwas aus den Stücken mitnehmen, aus dem sie etwas lernen und worüber sie im Anschluss mit ihren Eltern sprechen könnten. Aber immer mit viel Spaß und niemals mit dem Zeigefinger, wie Haupt betont, als wir den Vorführungsraum betreten, in dem 99 Menschen Platz haben. Hier funkeln schon Lichterketten über den Köpfen der Kinder und ihrer Eltern, die gespannt vor der kleinen Bühne auf Stühlen und Bänken warten.
„Die Kinder sollen sich hier entspannen und eine gute Zeit haben können mit einem guten Inhalt und viel Spaß.“
Es geht los!
Noch herrscht freudige Aufregung und Gerede. Einige Kinder flitzen noch schnell zur Toilette. Man kennt es. Doch als Haupt die Bühne betritt und das Stück beginnt, wird es still. Sie steht hinter einem hüfthohen Podest, auf dem schon das Bühnenbild steht, und wir lernen die ersten Figuren des rund 45-minütigen Stücks kennen. Haupt ahmt die verschiedenen Stimmen nach, lässt die Figuren über die Bühne hüpfen und wechselt nach einer Weile das Bühnenbild. Haupt und van Lindt spielen offen. Sie sind also während des gesamten Stücks zu sehen und sind ein aktiver Teil der Inszenierung. Zwischendurch ertönen Soundeffekte und Musik. Auch diese mache Haupt während der Vorstellung selber, erklärt sie mir später, als ich neugierig nachfrage: über Fußtaster am Boden.
“Für mich ist das ganz besondere am Figurentheater die Vielfalt des Genres. Du kannst mit Objekten spielen, du kannst mit Figuren spielen, du kannst tanzen, singen, schauspielern … Es gibt wenig Grenzen.“
Mitten drin
Die anfängliche Stille wird zwischendurch immer wieder von geschäftiger Aufregung im Publikum abgelöst, wenn es besonders spannend ist, ein Kind begeistert dazwischenruft oder die Charaktere direkt Fragen an die Kinder stellen.
Genau diese Reaktionen gefallen Haupt an ihrem Beruf:
„Ich bin eine ganz große Liebhaberin des Kindertheaters, weil man mit Kindern ein sehr direktes und unverblümtes Publikum hat. Die Kommunikation mit den Kindern, die dabei entsteht, schätze ich sehr.“
Auch die älteren Grundschulkinder würden es trotz oder vielleicht gerade wegen der Vielzahl an digitalen Medienangeboten schätzen, dass sie mit den Figuren und Menschen auf der Bühne kommunizieren könnten und sähen, dass das dortige Geschehen lebendig und echt sei und sie mit einbeziehe. Haupt gibt den Kindern gerne das Gefühl, sie würden den Figuren mit ihren Zwischenrufen helfen und die Entwicklung der Geschickte beeinflussen.
Was kommt auf die Bühne
Wenn es darum geht, welche neuen Stücke das Figurentheater in ihr Repertoire aufnimmt, überlegen Haupt und van Lindt zunächst, welche Themen sie auf die Bühne bringen wollen. Das sollen immer Themen aus der unmittelbaren Lebenswelt der Kinder sein, so dass sie sehen: Das geht nicht nur mir so, wenn es beispielsweise mal Probleme unter Geschwistern oder Freunden gibt. Anschließend geht es daran, das Stück zu entwickeln. Dafür suchen sie sich Literaturvorlagen oder werden selbst kreativ. Doch das müssen sie nicht alleine machen. Denn für jedes Stück suchen sie sich tatkräftige Unterstützung von Regisseuren, Musikern und Bühnenbildnern, die ihnen im Vorfeld bei der Entwicklung der Vorführungen helfen.
Ob ich wohl die Einzige bin, die bei Figurentheater direkt an Handpuppen oder Marionetten denkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall lerne ich bei meinem Besuch in der Wolfsburger Figurentheater Compagnie etwas zu den vielfältigen Spielweisen des Puppentheaters. Denn die Figuren von Haupt und van Lindt haben weder Schnüre an den Gliedmaßen, noch greift man in sie hinein. Bei der heutigen Vorstellung hält Haupt die Puppen, die von professionellen Figurenbildnern aus ganz Deutschland gebaut werde, an einem Griff an der Figurenrückseite und bewegt Arme und Kopf, indem sie diese von hinten umfasst. Wie viel Kunstfertigkeit und technisches Verständnis in diesen Puppen stecken, die nichts mit den Handpuppen oder Marionetten zu tun haben, die man im Kinderzimmer findet, wird mir spätestens dann bewusst, als Haupt die Figur von Hündin Bella loslässt, um eine andere Figur zu bewegen, und diese brav aufrecht sitzenbleibt. Ob ich wohl erwartet hatte, dass sie einfach in sich zusammenfällt? Anschließend werden noch Schwein, Hund, Kater und Gans à la Bremer Stadtmusikanten auf einander gesetzt. Ich bin natürlich nicht die Einzige im Publikum, bei der das Begeisterung auslöst.
“Wir können mit dem, was wir auf der Bühne kreieren, die Fantasie der Menschen anregen und sie mit hinein in die Geschichten nehmen. Und Kinder sind dafür ein sehr gutes Publikum.“
Eine Puppe für Zuhause
Als das Stück endet bricht begeisterter Applaus aus. Und es wird Zeit, das kleine Theater, deren Ambiente mich an die Gemütlichkeit meines eigenen Wohnzimmers erinnert, zu verlassen. Haupt bestätigt, die Gäste würden wie ich die persönliche Atmosphäre des Theaters schätzen.
Bevor es nach Hause geht, schauen einige der kleinen und großen Besucherinnen und Besucher noch beim sogenannten Puppenflohmarkt des Theaters vorbei.
Van Lindt sammle leidenschaftlich Kasperpuppen aus Plastik. Bei ihren Käufen erhält sie gelegentlich „Beifang“, wie sie es nennt. Diese Figuren und Handpuppen, die nicht professionellen Puppenspielerfiguren, sondern Kinderspielzeug entsprechen, können die Theaterbesucherinnen und -besucher für kleines Geld erwerben. Und auch, wenn es nicht die Figuren von der Bühne sind, nutzen einige der Kinder die Chance, ein Erinnerungsstück für ihre eigenes Figurentheater im heimischen Wohnzimmer mitzunehmen.
Puppen zu Weihnachten
Passend zur bevorstehenden Weihnachtszeit startet in der Wolfsburger Figurentheater Compagnie das Weihnachtsprogramm mit amüsanten Stücken rund um verschwundene Weihnachtspakete und fehlende Weihnachtsbäume.
Auch rund um Ostern können sich die kleinen und großen Theaterbesucherinnen und -besucher auf spannende Inszenierungen mit Hasen und Ostereiern freuen.
Für meinen nächsten Besuch in der Wolfsburger Figurentheater Compagnie nehme ich mir vor, zu einem der Stücke für Erwachsene zu kommen.
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