Kaum jemand bewegt sich so wegekundig durch Osnabrücks Stadtgeschichte wie Carsten Niemeyer. Auch kaum jemandem gelingt es, sie so unterhaltsam zum Leben zu erwecken wie ihm. Bereits seit über 30 Jahren – genau genommen seit 1989 – ist er als Gästeführer tätig und fasziniert sowohl Gäste als auch Osnabrücker mit seinem nahezu unendlichen Repertoire an Geschichte(n), Anekdoten und Legenden. Seit 2021 leitet er sein eigenes Stadtführungsunternehmen OSNAtours und bildet selbst auch neue Gästeführer aus.
Möglichmacher vor und hinter den Kulissen
Ebenso breit gestreut wie sein Wissen über die Stadt sind auch Carstens übrige Tätigkeiten: Als (hauptberuflicher) Küster, Kirchturmwart und Stadtwache laufen so einige Fäden des städtischen Lebens bei ihm zusammen. Er selbst versteht sich daher vor allem als „Möglichmacher“. Mit viel Herzblut, Lust zum Anpacken und immer auch einem freundlichen Augenzwinkern setzt er sich tagtäglich für das kulturelle Leben, die Traditionen und Gemeinschaft seiner Heimatstadt ein. Als Küster von St. Marien – der großen Marktkirche direkt neben dem historischen Rathaus – sorgt er somit für den reibungslosen Ablauf des Kirchen- und Gemeindelebens. Durch ihre zentrale Lage verschmilzt dies regelmäßig mit weltlichem und städtischem Trubel.
Für Carsten bedeutet das Zusammenspiel all dieser Rollen, dass sein Handy selten länger als eine halbe Stunde lang mal nicht klingelt. Auch für private Interessen – dabei allen voran der Fußballverein VfL Osnabrück – bleibt ihm oft nur wenig Zeit. Nur in den ersten Wochen des neuen Jahres wird es für ihn etwas ruhiger. Wir haben die Gelegenheit genutzt und Carsten Ende Januar hoch oben über den Dächern der Innenstadt besucht. Auf dem Marienkirchturm – einem seiner Arbeitsplätze – haben wir über seinen Werdegang und seinen ganz persönlichen Blick auf Osnabrück gesprochen.
Im Gespräch mit Stadtführer Carsten Niemeyer
Carsten, du bist studierter Bauingenieur, hast nach deinem Studium aber einen ganz anderen beruflichen Weg eingeschlagen. Wie kam es dazu?
Carsten Niemeyer: Angefangen hat alles mit der Stadtkolumne „Till“ in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Dort wurde damals von dem Bedarf nach neuen Stadtführern berichtet und so habe ich als Schüler im Jahre 1989 meine erste Stadtführung übernommen. Nach dem Abitur absolvierte ich dann mein Studium und nur durch Zufall kam ich zur Stelle des Küsters. Bekannt war ich in der Gemeinde als Betreuer des Marienkirchturmes und als ehrenamtlicher Helfer meines Vorgängers im Küsteramt. Als dieser längerfristig erkrankte suchte man einen Ersatz für die Zeit seiner Erkrankung. Ich wurde spontan auf dem Parkplatz hinter der Kirche gefragt.
Kannst du dich noch an deine allererste Stadtführung erinnern?
Carsten Niemeyer: Ja, die werde ich nie vergessen. Es war eine öffentliche Rathausführung an einem Sonntag im August 1989 und es war nicht nur meine erste Führung, sondern letztendlich auch eine Prüfung. Ein Gast fragte mich im Laufe der Führung, wer denn das Stadtmodell [im ersten Obergeschoss des Osnabrücker Rathauses] geschaffen habe und ich stand richtig auf dem Schlauch. Mir fiel es in der Sekunde partout nicht ein. Der Gast zögerte nicht, seine Frage selbst zu beantworten: „Das war Heinrich Bohn – mein guter alter Freund“… Selbstverständlich wird mir der Name mein Leben lang im Gedächtnis bleiben.
Als Küster der Marienkirche kümmerst du dich um den Erhalt eines der bedeutendsten historischen Bauwerke Osnabrücks. Durch ihre zentrale Lage ist die Kirche auch stark in das öffentliche Leben eingebunden. Wie gestaltet sich deine Rolle in diesem Gefüge?
Carsten Niemeyer: Es ist eine Kombination aus verschiedenen Rollen: Die des Möglichmachers, die des Lösungsfinders, die des Koordinators und die des Bewahrers. Die große Chance ist, dass man verschiedene Dinge wie z.B. Veranstaltungen und Ausstellungen in der Kirche und der Stadt mitgestalten kann. Zuletzt war es beispielsweise die Ausstellung „Dem Frieden ein Gesicht geben“, die im Rahmen des 375. Jubiläums des Westfälischen Friedens im letzten Jahr stattgefunden hat.
Im Zuge von Forschungen anlässlich des Friedenjubiläums sind einige neue Erkenntnisse über Osnabrücks Geschichte zutage gekommen. Gibt es hier Ergebnisse, die dich besonders überrascht oder fasziniert haben?
Carsten Niemeyer: Weniger überrascht, aber fasziniert bin ich von den Erkenntnissen zur praktischen Verhandlungsführung. Wie und wo kamen die Delegierten eigentlich genau zusammen? Dazu gab es einige neue Hinweise. Auch besonders interessant finde ich, wie man trotz der zum Teil tiefen religiösen, politischen und kulturellen Gräben zwischen den Verhandelnden und angesichts des schon lange andauernden Krieges eine Verhandlungsebene gefunden hat. Dies war und ist insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen und Kriege für mich immer wieder faszinierend und zeigt, dass man durch Kommunikation Kompromisse und Lösungen finden konnte und kann!
Welches historische Bauwerk hättest du denn gerne erhalten bzw. würdest es gerne heute noch besichtigen können?
Carsten Niemeyer: Das kann ich gar nicht auf ein Bauwerk beschränken, aber die Petersburg wäre schon ein echtes Highlight. Auch das Barfüßerkloster, das bis ins 17. Jahrhundert in der Nähe der Katharinenkirche existierte, wäre sehr spannend. Dessen Grundmauern hat man im letzten Jahr im Zuge von Bauarbeiten wieder zutage gebracht. Ganz persönlich würden mich aber auch die eher unspektakulären Gebäude des städtischen Weinhauses oder auch des Gruthauses interessieren, insbesondere, weil man bis heute nicht weiß, wo diese genau gestanden haben.
Du bist alleiniger Schlüsselherr des Marienkirchturms und bietest Turmbesteigungen an. Gibt es ein besonderes Detail oder ein historisches Überbleibsel, auf das man beim Turmaufstieg stoßen kann?
Carsten Niemeyer: Es gab zwei große Brände in der Geschichte der Kirche in den Jahren 1613 und 1944. Die Spuren dieser Brände sind, wenn man weiß, wie man diese erkennt, im Inneren des Turmes sehr gut zu identifizieren, auch bei den öffentlichen Besteigungen. Nur im Rahmen einer bestellten Führung kann man außerdem die historische Kirchturmuhr sehen!
Wann lohnt sich ein Aufstieg besonders?
Carsten Niemeyer: Es gibt weder eine beste Tages- noch Jahreszeit, jede Zeit hat etwas für sich. Egal, ob es der klare Blick an einem frostigen Januarsonntag, das bunte Treiben am Abend während der Maiwoche oder auch die beleuchtete Stadt am späteren Abend während des Weihnachtsmarktes ist, es gibt immer wieder Neues zu entdecken und erleben.
Zusätzlich zu all deinen Aufgaben bist du außerdem Mitglied der Stadtwache. Heißt das, man trifft dich des Nachts bewaffnet vor dem Heger Tor?
Carsten Niemeyer: Aber sicher! Am Ossensamstag [traditioneller Karnevalsumzug am Samstag vor Rosenmontag] verteidigen wir zunächst unsere Oberbürgermeisterin Katharina Pötter beim Sturm auf das Rathaus und nachts dann die gute Laune in der Altstadt. Nein, Spaß beiseite, die Stadtwache ist ein wunderschönes Ehrenamt, welches mit Verteidigung nichts zu tun hat. Mit der Uniform gibt man gewissen Veranstaltungen einen besonderen Rahmen. Die schönste Veranstaltung für die Stadtwachen ist das Steckenpferdreiten, bei dem wir die Schüler durch die Stadt zum Rathaus führen und dann behilflich sind beim traditionellen Verteilen der Zuckerbrezeln.
Osnabrück stellt sich für die Zukunft auf, z.B. mit Plänen für klimaneutrale Stadtteile oder durch die Entwicklung zum KI-Standort. Was sind deine Wünsche für das Osnabrück von morgen? Was würdest du gerne umgesetzt sehen oder bewahren?
Carsten Niemeyer: Manchmal denke ich, dass wir Osnabrücker alle etwas mutiger und offener sein sollten. Unsere Stadt und der Landkreis sind sehenswert und das dürfen wir alle viel deutlicher sagen. Eine Verbesserung, die ich mir wünschen würde, wäre die bessere Vernetzung von Stadt und Landkreis Osnabrück. Auch wünsche ich mir die Verbesserung der Stadionsituation des VfL Osnabrück. Eine größere Kapazität würde unserem Aushängeschild der Region bessere wirtschaftliche und damit sportliche Rahmenbedingungen ermöglichen. Eine Sache, die unbedingt bewahrt, besser noch ausgebaut, werden sollte, ist unser System der Städtepartnerschaften mit den Botschafterinnen und Botschaftern. Dieses einzigartige Austauschprogramm ist für mich ein essenzielles Beispiel für mein Verständnis der Friedensstadt Osnabrück!
Zum Abschluss noch eine Frage, die dir Gäste sicherlich häufig stellen: Was ist für dich „typisch Osnabrück“?
Carsten Niemeyer: Aus kulinarischer Sicht sind das die „Himmlischen“ von Leysieffer oder auch unsere Springbrötchen [Osnabrücker Brötchenspezialität mit besonders knackiger Kruste]. Aus Sicht eines Bewohners ist es die Kombination aus städtischem Flair und den sehr kurzen Wegen in die Natur, z.B. mit dem UNESCO-Geopark TERRA.vita direkt vor der Haustür!
Osnabrück und die Region gemeinsam mit Carsten entdecken
Hast du Lust bekommen, mit Carsten auf Entdeckungstour durch Osnabrück zu gehen?
Neben öffentlichen Rathaus- und Altstadtführung und der Marienkirchturmbesteigung, haben er das Team von OSNAtours natürlich auch abwechslungsreiche Themenführungen im Repertoire. Du möchtest es gemütlicher angehen lassen oder mal aus der Stadt rauskommen? Kein Problem! Zwischen Frühjahr und Herbst kannst du Osnabrück auf einer besonderen Stadtrundfahrt im historischen Traditionsbus erkunden oder das umliegende Osnabrücker Land „erfahren“.
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