Sansibar? Wollte ich in unserem Blog nicht eigentlich aus Göttingen berichten? Doch, na klar. Aber der Weg von Göttingen nach Sansibar ist gar nicht so weit. Zumindest wenn man das Göttinger Spieleautorentreffen besucht, das einmal im Jahr Göttingen zum Mekka aller Brett- und Kartenspielfans werden lässt. Seit nunmehr 35 Jahren treffen sich in der Göttinger Stadthalle Spieleerfinder, Spieleverlage und Menschen, die große Lust haben neue Spielideen auszutesten.
Brett- und Kartenspiele – ein echter Klassiker
Meine ersten Erinnerungen ans Brett- und Kartenspielen verbinde ich natürlich mit meiner Kinder- und Jugendzeit: Mühle, Halma, Mensch ärgere dich nicht. Bei uns zu Hause wurde immer viel gespielt und so stapelten sich zahlreiche Spiele für jede Altersgruppe, jede Gruppengröße und jeden Schwierigkeitsgrad. Es kamen Spiele wie Monopoly, Cluedo, Das verrückte Labyrinth und Hase und Igel, später die Siedler von Catan dazu. In unterschiedlichen Lebensphasen haben mich unterschiedliche Spiele begleitet und begeistert Wie sieht der Weg aus, den ein Spiel von der ersten Idee über die gestalterische Umsetzung bis zu den ersten großen Tests geht? Das kann man auf dem Göttinger Spieleautoren-Treffen erfahren und erspielen. Und deshalb habe ich in diesem Jahr beschlossen einmal dabei zu sein.
Das Göttinger Spieleautoren-Treffen findet immer am ersten Wochenende im Juni statt. Der Samstag ist eher für die Spieleerfinder gedacht, die hier untereinander Kontakte knüpfen und sich austauschen können. Wie ich erfahre, sagt man übrigens inzwischen ganz offiziell Spieleautor, um den Erfinder einer Spieleidee auf die gleiche rechtliche Ebene wie einen Buchautor zu setzen. Der Sonntag, ist dann der große Tag des Spielens für alle. Und so gehe ich am Sonntagvormittag in die Göttinger Stadthalle und bin gespannt was mich erwartet.
Eine Stadthalle voller Spielideen
Ich treffe pünktlich um 10 Uhr zur Eröffnung ein und kann noch einigen der Spieleautoren dabei zusehen, wie sie ihre Brett- und Kartenspiele auslegen und alles vorbereiten, um in den nächsten Stunden zu erfahren wie ihre Spieleideen ankommen. Sicherlich ein spannender Moment, wenn man nach all den investierten Gedanken, der gestalterischen Umsetzung und den ersten Probeversuchen mit Freunden und Familien auf die Urteile von völlig fremden Menschen stößt. Ich bin überrascht wie viele Spieltische aufgebaut sind. Nicht nur der große Saal steht voll mit Spieleständen, sondern auch das Foyer und die Nebenräume der Stadthalle. Keine Ecke in der ich nicht die Möglichkeit habe, mich an neuen Spielen zu probieren.
Auf die Plätze, fertig, …
Aber bevor ich mich so richtig ins zunehmende Gewühl stürze, treffe ich kurz Dr. Reinhold Wittig, seines Zeichens Göttinger Spieleautor und Initiator dieser Veranstaltung. Vor 35 Jahren kam er als erster auf die Idee, dass es doch sinnvoll sein muss, Spieleautoren, Spieleverlage und Spielefans zusammenzubringen. Und kaum war die Idee geboren, war sie auch schon erfolgreich umgesetzt. Bereits beim allerersten Treffen waren alle wichtigen Akteure dabei und so wurde das Göttinger Spieleautoren-Treffen schnell zu einem unverzichtbaren Treff der Branche. Reinhold Wittig ist bis heute die gute Seele der Veranstaltung geblieben und zentralen Dreh- und Angelpunkt. Inzwischen kommen immer mehr Spielwillige in die Stadthalle und so verabrede ich mich für den nächsten Tag noch einmal mit Dr. Wittig, damit auch er seine neuen Ideen vorstellen und testen kann.
Von der ersten Idee
Ich versuche mir einen Überblick zu verschaffen, was aber aufgrund der schier endlosen Vielfalt kaum möglich ist. Und so lasse ich einfach das Zufallsprinzip entscheiden. Ich stehe gerade vor den Tischen von Markus von der Heyde und Matthias Goebel. Drei Spiele stellen die beiden vor, für unterschiedliche Altersgruppen und für unterschiedliche Ansprüche. Während Matthias Goebel einen neugierig gewordenen Briten (ja, es gibt hier auch internationales Publikum bei Spieleautoren und Spieletestern) in die Spielregeln eines der Spiele einführt, komme ich mit Markus von der Heyde ins Gespräch. Er erzählt mir, dass die beiden Männer bereits Freunde aus Schulzeiten sind.
Seit einiger Zeit basteln beide, obwohl inzwischen in unterschiedlichen Bundesländern lebend, immer wieder an gemeinsamen Spielideen. Wie er mir berichtet, entstehen diese übrigens nicht aus dem Willen heraus „Ich entwickele jetzt ein Spiel“, sondern meistens aus alltäglichen Begebenheiten und Situationen. Und die Ideen werden dann auf gemeinsamen Spaziergängen weiterentwickelt. Dabei sei es vor allem bei komplexeren Spielen wichtig, dass man die Spielidee und die damit verbundenen Regeln so weit reduziert, dass sie leicht verständlich sind und die Spielanleitung auf eine Seite einer Karteikarte passt. Eine große Herausforderung, die manchmal Monate oder sogar Jahre braucht.
Die Spannung für Spieleautoren und Spielefreunde steigt
Irgendwann sind die beiden dann aber so weit, dass sie schon mal Familie und Freunde testen lassen. Auf dem Göttinger Spieleautoren-Treffen sind sie nun zum zweiten Mal und natürlich sehr gespannt wie ihre Spiele ankommen. Ich lasse mir kurz die „Wortverdreher“ erklären, ein Spiel für die gesamte Familie von Klein bis Groß. Der Aufbau sieht aus wie bei ausgelegten Memory-Karten auf denen kein Bild zu sehen dafür aber ein Wort zu lesen ist. Durch das Verschieben und Drehen der Kartenreihen soll aus nebeneinanderliegenden Karten mit den jeweiligen Wörtern ein neues, zusammengesetztes Wort entstehen, das Sinn macht, z. B. Karten + Spiel = Kartenspiel. Ich bin schnell drin und das Suchen nach neuen Wortkombinationen macht wirklich Spaß. Mit meinen kleinen Nichten, meinem Bruder und seiner Frau könnte ich das Spiel sicherlich sehr gut spielen.
Ich verabschiede mich und lerne wenige Minuten später den nächsten Spieleautor und seine Spielidee kennen. Und so geht es weiter bis ich mich am Ende in dem Labyrinth aus Spielen freudig verloren habe und gar nicht merke, wie schnell die Zeit verstreicht.
Ein Initiator mit viel Engagement und Kreativität
Einen Tag später besuche ich wie vereinbart Dr. Reinhold Wittig in seinem Verlag „Edition Perlhuhn“, nur einen Steinwurf von der Göttinger Stadthalle entfernt. Dem Initiator des Spieleautoren-Treffens merkt man sofort sein Herzblut fürs Entwickeln von Spielen an. Und seine enorme Kreativität. Während des Studiums hat er sich u. a. für Physik, Astronomie, Ethnologie und Geowissenschaften interessiert. Außerdem hat der ehemalige Geowissenschaftler der Göttinger Universität früh angefangen auch künstlerisch tätig zu sein, Skulpturen zu gestalten und mit selbstgebauten Marionetten Figurentheater zu spielen. Das Büro und seine Wohnung erscheinen mir beim Betreten wohl auch deshalb wie eine riesige Schatztruhe aus Ideen und Projekten. Jeder Tisch ein Kunstwerk, jedes Regal und jeder Koffer gefüllt mit Marionetten und Büchern.
Wie ich bei einer Tasse Tee im Wintergarten erfahre, hat Reinhold Wittig auch das Spiel Sansibar entwickelt, dass ich in meiner Jugend gerne gespielt habe. Aber auch in der Gegenwart werden seine alten und neuen Ideen gerne aufgenommen, z. B. beim Sender Pro 7, der Ideen für Spieleeinlagen in den großen Samstagabend-Shows mit Stefan Raab übernommen hat.
Großer Einsatz für die Rechte von Spieleautoren
Neben dem Spaß am Entwickeln von Spielen war es meinem Gesprächspartner immer ein besonderes Anliegen sich auch gezielt, um die rechtliche Lage der Spieleautoren zu kümmern. Mit der Gründung der Spieleautorenzunft, einem Verein zur gemeinsamen Interessenvertretung, ist ihm dies zusammen mit anderen Beteiligten schon vor Jahren gelungen. Vielleicht auch deshalb will er sich in Zukunft etwas aus dem Spieleautoren-Treffen zurückziehen und sich wieder mehr dem Puppenspielen und anderen Projekten widmen.
Ich werde mich im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder dem Spielautoren-Treffen widmen und mich einen Tag lang mit Lust und Spaß ins Spiele testen stürzen Ich bin mir sicher: Auch im digitalen Zeitalter werden Brett- und Kartenspiele weiterleben und viele Anhänger haben.
Stephanie meint
Bei dem Titel wusste ich sofort: Der Artikel ist was für mich 😉
Danke für den tollen Tipp. Da werden wir doch im nächsten Jahr aus der Lessingstadt mal vorbei schauen. Kostet die Veranstaltung Eintritt und wie lange kann man am Sonntag die Spiele testen? Tatsächlich nur von 10-14 Uhr? Ich habe schon mal kurz Google befragt aber hatte Schwierigkeiten eine offizielle Seite zu finden!?
Jedenfalls super, dass ihr über das Thema schreibt. In unserer Region gibt es so viele Spielebegeisterte. Ich empfehle auf jeden Fall auch einen Besuch in unserer Nachbarstadt zu „Braunschweig spielt!“.
Keno meint
Hallo Stephanie,
vielen Dank für deinen netten Kommentar. Das große Spieletesten am Sonntag findet tatsächlich in der Zeit von 10:00 bis 14:00 Uhr statt. Aber in der Zeit kann man schon einige Spiele ausführlich und gut testen. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos für Spieletester. Auf der Internetseite http://www.spiel-und-autor.de findest du ein paar Wochen vor Veranstaltungsbeginn umfangreiche Informationen.
Viele Grüße aus Göttingen Keno