Er hat Extrabreit nach Wolfenbüttel geholt, stand mit Konstantin Wecker auf der Bühne und Udo Lindenberg bezeichnet seine Texte als „Hammer-Texte“. Heute ist er der Kopf hinter der Vita-Villa in Wolfenbüttel. Er ist Lyriker, Satiriker, Texter, Liedermacher, Galerist … und es gibt noch viele Worte, die Thorsten Stelzner beschreiben. Doch keines trifft es so ganz. Denn Thorsten Stelzner ist vor allem eines: Nicht festgelegt. Er macht, was ihm das Leben bietet und das mit Erfolg.
Die Vita-Villa ist in den Sommermonaten sein zweites oder besser drittes Zuhause. Die Vita-Villa, das ist das hellgelbe Fachwerkhaus, direkt bei Klein Venedig. Zahlreiche Touristen kommen hier vorbei, vor allem im Sommer, wenn die Blumenpracht an der Brücke diesen Ort zu einem beliebten Foto-Spot macht. Steht die Tür der Villa auf, ist dies das unverkennbare Zeichen, dass Thorsten Stelzner vor Ort ist. Eintreten unbedingt erwünscht. Drinnen trifft man möglicherweise auf eine aktuelle Kunstausstellung, in jedem Fall aber auf einen herzlichen Empfang.
Ich habe oft mit Menschen zu tun, die ich glücklich zurücklasse.
Thorsten Stelzner
Denn Thorsten Stelzner liebt die Begegnungen mit Menschen. Das merke ich in unserem Gespräch sofort. Und er weiß sie zu nutzen. Damit meine ich nicht, dass er sie ausnutzt oder immer seinen eigenen Vorteil sieht. Ganz im Gegenteil. Aber er ergreift Gelegenheiten beim Schopfe. Er trifft im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen, auch wenn er selbst noch gar nicht weiß, wohin ihn diese am Ende führen werden. So kam er auch zur Vita-Villa. Er hat im richtigen Moment ja gesagt.
Dabei gibt es auch beim ihm im Leben diese Menschen, die an seinen Entscheidungen zweifeln. Die fragen, wie er das schaffen will. Aber es gibt auch die, die ihn unterstützen, die anpacken. Und vor allem, so scheint mir, gibt es viele Menschen, die im richtigen Moment da sind.
Zu unserem Gespräch treffen wir uns in der Vita-Villa. Er ist mit Aufräum-Arbeiten nach dem letzten Hochwasser beschäftigt, doch er klagt nicht. Zur Zeit ist ohnehin Winterpause in der Vita-Villa. Das alte Gebäude aus dem 17. Jahrhundert auf eine angenehme Temperatur zu heizen ist eine Herausforderung. Daher ist im Winter Pause. Dafür wird im restlichen Jahr viel geboten: Ausstellungen, Lyrikabende, Konzerte. Auf der Bühne ist was los. Doch nicht nur in der Villa gibt es Veranstaltungen. Das Markenzeichen der Vita-Villa sind die Steg-Konzerte. Immer donnerstags um 17 Uhr. In diesem Jahr an zehn Terminen.
After Work Konzerte bei Klein Venedig
Die Steg-Konzerte sind ein Beispiel dafür, wie sich bei Thorsten Stelzner immer wieder neue Projekte ergeben. Eigentlich sollten nur Fotos für ein neues CD-Cover entstehen. Dafür posierte er mit Musiker Géza Gál auf dem kleinen Holzsteg, der zur Vita-Villa gehört. Er liegt in einem kleinen Oker-Arm, der ein paar Meter entfernt unter den Häusern hervorkommt und direkt an der Brücke, von der die Touristen im Sommer Wolfenbüttels „Klein Venedig“ bestaunen.
Während die Fotografin also versucht ein gutes Bild zu machen, fordert sie die Musiker auf, etwas zu machen. Spontan wird auf dem Akkordeon „Bella Ciao“ angestimmt und Thorsten Stelzner improvisiert einen Text dazu. Die Fenster der benachbarten Häuser gehen auf und es wird applaudiert. Die Geburtsstunde der Steg-Konzerte. In den letzten Jahren wurde das ganze professionalisiert. Der Steg wurde erneuert und eine Musikanlage sorgt dafür, dass auch in den hinteren Reihen noch ankommt, was auf dem kleinen Steg gesungen wird. Denn auf der kleinen Brücke bei Klein Venedig wird es seitdem donnerstags richtig voll. Das liegt neben der ganz besonderen Atmosphäre auch daran, dass immer wieder bekannte Künstler auf der Bühne stehen z.B. Extrabreit.
Jetzt singt er auch noch
Das Thorsten Stelzner singt, ist übrigens noch eine ziemliche Neuheit. Denn viele Jahre war das für ihn gar kein Thema. Seine „Karriere“ startet mit ungefähr 13 Jahren in der Braunschweiger Weststadt. Dorthin zog er mit seiner Familie im Grundschulalter. Geboren wurde er in Wolfenbüttel. Mit 13 Jahren bekam er eine Lindenberg-Platte geschenkt und fing an zu schreiben: Gedichte. Zu hören bekamen das nur wenige – zumeist Freundinnen. Und dann, 1989 im Alter von 26 Jahren ging es los.
An einem Kopierer scheint sich sein Künstler-Schicksal zu entscheiden. Ein Kumpel sieht seine Texte und erpresst ihn: Liest er nicht auf seiner Bühne, plakatiert dieser die Stadt mit „Stelzner ist ein Feigling“. Er sagt zu. Und während er Texte für diesen Auftritt an eben diesem Kopierer vervielfältigt, trifft er einen weiteren Kumpel. Der kennt jemanden mit einer Druckerei. Und im Nu steht Thorsten Stelzner da und hält sein erstes Lyrik-Buch in Händen, verkauft es beim ersten Auftritt, bezahlt damit den Drucker und kann den Rest auf eigene Rechnung verkaufen.
Bei unserem Gespräch höre ich viele solcher Geschichten. Sie könnten einen ganzen Abend füllen. Er erzählt sie gern. Einen Lebensplan, eine Strategie – die gab es nicht im Leben von Thorsten Stelzner.
Ich habe das alles nicht geplant. Ohne Plan hat man auch keine Verpflichtung, Erwartungen zu erfüllen. Sonst stirbt die Kreativität.
Thorsten Stelzner
So richtig in Schwung kommt Thorsten Stelzners Karriere, als er in Braunschweig einen Laden eröffnet – er ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann – der sich in der Nähe des Gewerkschaftshauses befindet. Beim Obsteinkauf entdeckt der DGB Vorsitzende sein aktuelles Buch und so kommt es, dass er auf Kundgebungen spricht, Slogans gegen Fremdenfeindlichkeit textet und an einer großen Veranstaltung im Städtischen Museum mitwirkt, bei der viele Multiplikatoren im Publikum sitzen.
Und immer wieder gibt es Menschen, die ihn aufs Singen ansprechen. Darunter Konstantin Wecker und Udo Lindenberg. Er traut sich, nachdem das musikalische Multitalent Géza Gál , der unter anderem Musiklehrer ist, ihm attestiert, dass er Singen könne. Das ist, nachdem Thorsten Stelzner beim Krimi Festival in Braunschweig eingeladen ist. Er soll einspringen und fremde Texte lesen. Das liegt ihm nicht. Kurzer Hand liest er seine eigenen morbiden Geschichten und die Musiker des Abends untermalen diese passend. Das bereitet ihm sogar selbst Gänsehaut.
Diese Symbiose seiner Texte und der Musik führen schlussendlich dazu, dass er zusammen mit Géza Gál Musik macht. Die Geschichte dahinter ist natürlich viel länger. Genauso wie die Geschichte, wie er Udo Lindenberg kennengelernt hat und warum er sogar seine Handynummer hat. Doch die Geschichte erzählt euch Thorsten Stelzner besser selbst. Denn er kann den Panikrocker wunderbar imitieren.
Einfach mal machen
Wie aber kam er nun zurück in seine Geburtsstadt Wolfenbüttel und zur Vita-Villa? Auch das ist eine dieser Geschichten, auf die seine Tochter nur noch fragt „Wem passiert denn sowas?“. Die Eigentümerin Ursula Freytag wird auf ihn aufmerksam, als er in seinem Braunschweiger Laden „Vita-Mine“ eine Ausstellung der Geliebten von Andreas Baader zeigt. Sie sagt „So einen wie dich suche ich. Ich habe ein Haus in Wolfenbüttel.“ Er besichtigt kurz darauf die Villa und führt wenige Tage später seine verdutzte Familie durch sein neues Reich. „Einfach mal machen“ ist sein Motto und ich muss sagen: Toll, dass es solche Menschen gibt.
Wolfenbüttel ist ein tolles Publikum
In Wolfenbüttel fühlt er sich ziemlich schnell, richtig wohl. Die intime Atmosphäre der Villa liegt ihm. Die Menschen seien unfassbar aufgeschlossen. Sie kommen, ohne genau zu wissen, was sie erwartet und es sind unglaublich viele nette und herzliche Menschen darunter. Darum freut er sich auch sehr auf die neue Saison, wenn er wieder regelmäßig in der Vita-Villa ist. Zwei Ausstellungen sind geplant und zehn Stegkonzerte. Diese starten am 9. Mai und direkt danach, am Muttertag gibt es ein Extrakonzert, denn das erste Steg-Konzert fand am Vatertag statt und nun sind mal die Mütter dran. Der Eintritt ist übrigens frei – ein Dank an die Sponsoren!
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