In diesem Sommer leuchtet Braunschweig mehr als sonst. Zum fünften Mal findet der Braunschweiger Lichtparcours statt, ein Kunstevent im öffentlichen Raum. Seit dem Expo-Jahr 2000 haben internationale Künstler*innen in unregelmäßigen Abständen eigens für die Löwenstadt erstellte Lichtkunstwerke im Stadtraum gezeigt. 2020 steht wieder die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Wasserlauf der Oker im Fokus, die die Innenstadt wie ein Ring umrundet.
15 Arbeiten, skulpturale wie filmische, sind von renommierten Künstler*innen für die Löwenstadt entwickelt worden. Schon eineinhalb Jahre vor der Eröffnung sind die Künstler*innen auf Einladung einer Expertenkommission nach Braunschweig gekommen, damals haben sie die Stadt entdeckt und Orte für Ihre Kunstwerke gesucht. Herausgekommen sind kraftvolle, farbintensive, abstrakte Gebilde, die den von Werbung durchdrungenen öffentlichen Raum konterkarieren.
Die beste Zeit, den Lichtparcours zu entdecken, ist die Dämmerung. Auf einem Weg von rund sieben Kilometern reihen sich die Kunstwerke wie Perlen auf eine Schnur rund um die Innenstadt, alle Kunstwerke liegen direkt an der Oker. Den Weg könnt ihr so sowohl im als auch gegen den Uhrzeigersinn bestreiten. Am besten erkundet ihr den Lichtparcours mit dem Floß, zu Fuß oder mit dem Fahrrad – auf eigene Faust oder geführt von einem Gästeführer. Dafür könnt ihr aus dem vielfältigen Führungsprogramm wählen: Von einer Floßfahrt im Dämmerlicht über Radtouren oder Fußtouren zu ausgewählten Kunstwerken ist für jeden Geschmack etwas dabei. Alle Details zu den Führungen findet ihr unter www.braunschweig.de/angebote-lichtparcours.
Den Lichtparcours mit der App entdecken
Einen ganz besonderen Service bietet die App Entdecke Braunschweig. Für die Zeit des Lichtparcours gibt es einen Rundgang entlang der Kunstwerke. Mit kurzen Beschreibungstexten, Links zur vertiefenden Auseinandersetzung mit den Kunstwerken und einer interaktiven Karte, auf der die einzelnen Stationen des Lichtparcours verzeichnet sind und der eigene Standort angezeigt wird. So navigiert euch die App von Kunstwerk zu Kunstwerk, ohne dass ihr im Dunkeln auf die Wegweiser achten müsst.
Im Norden, direkt an der Technischen Universität Braunschweig beginnt der Lichtparcours mit dem ersten Kunstwerk. Das sogleich auch ein besonderes ist, denn Kieloben, so der Name, wurde von den Studierenden des Instituts für Architekturbezogene Kunst der TU entwickelt. Ein Boot, das kopfüber im Wasser liegt und mit einem Seil mit dem Ufer verbunden ist. Zieht ihr an dem Seil, beginnt das Boot zu leuchten. Spektakulär ist die zweite Arbeit des Lichtparcours: EKSTASE II von Lotte Lindner und Till Steinbrenner. Das Künstlerpaar projiziert auf das Okerhochhaus einen Film über die gesamte Länge des Gebäudes, immerhin knapp 60 Meter hoch. Unablässig rudert eine Ruderin das Hochhaus hinauf – und kommt dennoch nicht vom Fleck.
Der Lichtparcours im Uhrzeigersinn
Von der TU geht es in Richtung Südosten durch den Theaterpark und den Museumpark bis zur Steintorbrücke. In den Parks könnt ihr insgesamt vier Kunstwerke zu sehen, zwei davon sind Bestandskunstwerke, von früheren Lichtparcours erworben und nun dort fest installiert. Besonders das Werk von FORT und Anna Jandt bleibt im Gedächtnis: Drei Straßenlaternen sind halb in der Oker versenkt. Sind sie Relikte eines durch den Klimawandel überfluteten Weges? Oder leuchten sie den Freizeitkanuten, Stand-Up-Paddelerinnen und Tretbootfahrern in der Dämmerung den Weg?
Von der Steintorbrücke und dem Licht-Sound-Kunstwerk Die Wärterin von Paul Schwer geht es weiter über den Löwenwall und dem Kunstwerk In The Trees von Tim Etchell zu einem wiederentdeckten Lieblingsort: Rimpaus Garten, ein kleiner, nur über Treppen erreichbarer Weg direkt an der Oker. Hier hängt das Kunstwerk von Nevin Aladağ: Zwei bunte Objekte, die an Küchenlampen erinnern. Zusammen mit dem lauschigen, abgeschiedenen Ort stellt sich hier gleich ein Gefühl von Privatheit ein: Fast so, als würde man bei Freunden in der Küche sitzen und über Gott und die Welt sprechen.
Immer dem Licht nach …
Der Bürgerpark ein zweiter Hotspot des Lichtparcours. Hier findet ihr vier Kunstwerke sowie das inoffizielle Festivalzentrum. Die Bar du Bois von Andreas Harrer, Florian Pfaffenberger und Julian Turner im Garten der Städtischen Musikschule ist Kunstwerk und Bar in einem – und liegt zum Glück in einem weitläufigen Garten. So können hier verschiedene Veranstaltungen stattfinden, von Lesungen über Konzerte bis zu Yogasessions – immer mit genügend Abstand. Wie wäre es, schon einmal Yoga neben einem echten Kunstwerk gemacht?
Im Bürgerpark selbst geht es vorbei an Benjamin Bergmanns Acqua Alta, dem wohl meistfotografierten Kunstwerk She will o the wind von Anselm Reyle, schlafenden Straßenlaternen (No sleep von Johannes Wohnseifer) und der Light Steps von Brigitte Kowanz zum Prinzenweg, wo ein Ufo gelandet so sein scheint.
Der Künstler des Ufos, Sven-Julien Kanclerski, hat an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig gerade sein Studium als Meisterschüler beendet und zeigt seine aus recyceltem Material entstandene Arbeit am Weg von der Innenstadt zur Kunsthochschule.
Zwei weitere Kunstwerke des Lichtparcours 2020 könnt ihr auf dem Weg nach Norden noch entdecken. Bevor der Lichtparcours mit Tired Eyes von Martin Groß an der Rosentalbrücke endet, begegnet euch noch ein halbversunkenes Auto in der Oker. Aus dem Golf II, den Künstler Bjørn Melhus dort platziert hat, wummern Technobässe und blinken Diskolichter. Und ihr könnt mir glauben, dieses Kunstwerk hat so manchen Notruf nach sich gezogen. Besorgte Anwohner*innen hatten kurz nach der Installation bei der Feuerwehr oder der Polizei angerufen und einen Unfall gemeldet. Zum Glück war es kein Unfall, vielmehr wollte der Künstler, der selbst der Generation Golf angehört, auf das Konsumverständnis seiner Generation anspielen. Für Aufmerksamkeit und Diskussionen hat er auf jeden Fall gesorgt.
Jetzt seid ihr dran …
Nach knapp sieben Kilometern ist mein kleiner Rundgang zum Lichtparcours beendet. Wenn ihr neugierig geworden seid und die Kunstwerke mit eigenen Augen sehen wollt, so habt ihr noch bis zum 9. Oktober Zeit, den Lichtparcours 2020 zu besuchen. Ich empfehle, eine Führung zu buchen, denn die Gästeführer*innen haben immer noch den ein oder anderen interessanten Fakt auf Lager. Wer zeitlich flexibel sein möchte, für den sollte die App die erste Wahl sein. Und wer das Rundum-sorglos-Paket buchen möchte, der kann Übernachtung und Floßfahrt gleich zusammen buchen.
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