Bänke und Parkbänke sind echte Errungenschaften. In Wolfenbüttel gibt es einige Exemplare und die laden zu genussvollem Verweilen ein.
Ich liebe Parkbänke. Sitzen im öffentlichen Raum ist eine besondere Form des Genusses. Das fängt für mich beim Einkaufsbummel an. Hast Du schon mal auf Deine Frau oder Tochter bei der Anprobe gewartet? Mit Tüten bewaffnet irren die Blicke zwischen Kleiderständern umher und suchen nach einer »Erhöhung«. Unsere Vorfahren, also tief in der Geschichte, nannten alle Erhöhungen »Banck« – die zum Sitzen oder die zum darauf Arbeiten oder die zum Essen. Eine kleine Bank oder ein Sesselchen schafft besonderen Genuss bei Pflastermüdigkeit. Das ist diese Mattigkeit, die mich auch bei Städtebesuchen überkommt. Ich erinnere mich noch, wie ich durch das sonnige Wien schlenderte vor vielen Jahren, um dann auf den Steinstufen vor der Oper ermattet niederzusinken. Da waren es noch nicht einmal die berühmten drei Bretter in der Horizontalen und die zwei in der Vertikalen, die zur Rast einluden. Das ist gleichsam das Urbild der Bank. Das Wort hat Geschichte.
Sprachliche Migrationsgeschichte
Mit den Langobarden wanderte es kriegerisch nach Italien aus und wurde dort zu Italienisch Banca. Geldwechsler verrichteten ihre Arbeit an Tischen (also auch eine Art von Erhöhung) und so wurde Banck zu Banca – Bank – zum Geldinstitut und kam mit anderer Bedeutung über die Alpen wieder zurück in den Norden. Hier, in unseren Breiten, war die Bank vor allem zum Sitzen da. Im schlecht geheizten Bauernhaus rückten die Familien zusammen und wärmten sich aneinander. Als die Menschen mehr Zeit bekamen, wenigstens einige, wanderte die Bank nach draußen ins Grüne. Vor allem erst mal in den Städten. Die Bourgeoisie flanierte in den Parks und ließ sich gelegentlich nieder, um sich das geschäftige Treiben anzuschauen. Dem gemeinen Volk blieb dieser Genuss allerdings erst mal versagt.
Die unerwartete Bank
Längst ist die Parkbank »demokratisiert«. Man kennt sie entweder in seinem allernächsten Umfeld als Ankerpunkt der Ruhe. Oder sie bietet sich als Anlaufstation im Urlaub oder in fremden Gefilden an. Als ich neulich von der Asse aus in Richtung Wolfenbüttel mit dem Fahrrad fuhr – eine Strecke, die sich für jeden Besucher und jede Besucherin empfiehlt – nahm ich am Sportplatz in Wendessen einen Feldweg, den ich ebenfalls jedem anraten kann. Es geht ein wenig bergauf und dann parallel zur B 79 durch die Felder. Gelegentlich wachsen Bäume links und rechts und strahlen Ruhe und Idylle pur aus. Und dann stand und steht da diese Bank. Ganz unvermittelt. Der Blick schweift in die Ferne bis zum Horizont. Der sagenumwobene Brocken zeichnet sich deutlich ab mit seinen Aufbauten. Dazwischen das Vorharzer Land mit den sanften Hügeln, kleinen Wäldern und Dörfern. Diese Bank, dachte ich, ist vermutlich auf keinem Ausflugspunkt verzeichnet. Warum sie dort steht, kann ich nur ahnen. Solange sie aber steht, wartet sie auf Rastsuchende. Was kann man alles auf Parkbänken machen, fragte ich mich? Und wo stehen sie eigentlich in meiner Stadt? Ich wartete auf einen freien Sommertag, schwang mich aufs Fahrrad und ging auf Erkundungstour.
Die Rastbank
Natürlich kann man auf jeder Bank alles machen. Händchen halten, knutschen, lesen, sinnen oder essen. Diese Bank zwischen Asse und Wolfenbüttel könnte die Picknick-Bank sein. Mr. Bean zeigt uns in einem seiner grandiosen Sketche, wie man auf einer Bank alle möglichen Zutaten mobil verarbeiten kann. Egal ob zu Fuß oder mit dem Rad. Wer lange unterwegs ist, hofft auf diesen Augenblick, wo der Ausflugstross um die nächste Ecke kommt und auf eine freie Bank stößt. Wenn es feucht ist, wird ein Tuch ausgebreitet, darauf wird eine Thermoskanne gestellt, Brote, Käse oder Mettwurst. Die Beine werden behaglich wie auf einem bequemen Sofa ausgestreckt und jeder Bissen schmeckt so gut wie in einem Gourmettempel. Die Sitzgelegenheit wird für einen Moment zum Aufenthaltsraum, zur Terrasse. Kinder suchen sich nach einem kurzen Augenblick der Rast schon wieder neue Spielmöglichkeiten und Bewegung. Eltern genießen die Ruhe und den Ausblick, bevor es weitergeht. Bänke sind Entschleuniger in einer rastlosen Welt. Slowfood für die Seele. Und diese Brockenblickbank ist eine echte Attraktion.
Die Parkbank – eine Insel im Verkehr
In jeder Stadt gibt es Inseln. Am beeindruckendsten sind sie, wenn es drumherum turbulent zugeht. Auf dem Grünen Platz in Wolfenbüttel ist das so. Ich stehe mit dem Fahrrad an der Bushaltestelle und schaue auf die Autokorsos. Wie Schlangen ziehen sie sich stoßweise in Richtung Braunschweig oder die Stadt hinein. Grüner Platz – seinen Namen hat er verdient, weil es drum herum üppig grünt. Und hinter dem Verkehrsknotenpunkt laden zwei Säulen zum Entdecken und Verweilen ein. Sie stehen einfach nebeneinander. Kein Tor ist dazwischen, kein Zaun oder Mäuerchen daneben. Es ist, als seien sie dort vergessen worden. Ich überquere die Straße, schiebe das Fahrrad in den kleinen Park, um nach einer Bank Ausschau zu halten. Nach hinten begrenzt durch einen Okerarm, nach vorn durch die dicht befahrene Friedrich-Wilhelm-Straße liegt hier der »Alte Friedhof« und mittendrin eine Parkbank. Die steuere ich zuerst an, um diesen Raum zu sondieren. So verlassen wie die Pforten am Eingang stehen hier alte Grabsteine, die im Sonnenlicht schimmern. Abgebrochene dorische Säulen, verwaschene Grabplatten, eine Miniaturpyramide erinnern an unsere Endlichkeit. Memento mori – sei Dir der Sterblichkeit bewusst. Jeder Stein ist eine Botschaft aus der Vergangenheit.
Grabsteine erzählen ihre Geschichte
Ich stöbere durch diese verlassene Welt, notiere mir einige Namen. Mit einem Smartphone wird heute jeder x-beliebige Ort zum Lese- und Studienplatz. Die meisten Grabsteine stehen gute 100 bis 150 Jahre hier. Da ist ein Kommandant verewigt. Gustav Adolph von Ehrenbrook. Die Familie scheint das Militär im Blute zu haben. Noch 1986 gibt es, stelle ich nach einer kurzen Recherche fest, einen gleichnamigen Hauptmann bei der Bundeswehr. Da gibt es einen Urban Christian von Blum – ebenfalls Militär. Das Internet sagt mir, er käme aus Wien und irgendjemand aus Wolfenbüttel habe ein Haus für ihn verkauft. August Freiherr von Brandenstein wurde 1755 in der Lessingstadt geboren. Er wurde Hofjunker, Kammerherr und Geheimer Rat in Schwerin. Und nun ruhen er und seine Familie hier unter einer kleinen Pyramide. Neben Unbekannten gibt es die großen Söhne und Töchter der Stadt. Henriette Breymann etwa und Anna Vorwerk. Die mit der Schule… Anna Vorwerk setzte sich für die Bildung von Frauen ein, sie gründete einen Kindergarten im Schloss und eine Mädchenschule. Nun gehen Hundebesitzer oder Eilige, die den Park als Abkürzung nehmen achtlos an ihrem Grab vorbei. Ich sitze eine ganze Weile auf dieser Bank und mache nach dem Lesen – eine vorzügliche Tätigkeit für eine Bank – das, was sich ebenfalls dort gut verwirklichen lässt: Sitzen und träumen. Der Lärm der Autos ist kaum zu hören. Die Vögel singen unverdrossen ihre Lieder und die Oker fließt gemächlich ihren Weg. So kann ich es aushalten.
Fehlende Bänke
Bänke gab es schon im Mittelalter. Nebeneinander sitzen durfte jedoch nur, wer gleichen Ranges war. Deshalb sagen wir heute »durch die Bank« – also alles ist gleich. Während ich vom Alten Friedhof in Richtung Innenstadt fahre, gehen mir die Bänkelsänger durch den Sinn. Früher gab es kein Facebook, kein Radio oder Fernsehen – vielleicht ein paar Zeitungen. Die Bänkelsänger gingen mit ihren fliegenden Blättern von Stadt zu Stadt und sangen von Bänken, meist vor dem Rathaus, was so in der großen weiten Welt abging. Klatsch und Tratsch und vor allem Schauergeschichten sind seit jeher beliebt. Wenn sie nach Wolfenbüttel kamen, werden sie vermutlich, so wie ich heute, aus Richtung Braunschweig gekommen sein. Nachdem sie das Stadttor durchquert hatten, bauten sich vor ihnen, wie vor mir heute, die Wallanlagen auf. Der Rosenwall sieht zierlich aus, wenn man daran vorbei fährt. Wer ihn erklimmt – oder im Winter mit dem Schlitten runter saust –, merkt man erst, wie steil er ist. Hier müsste eine Bank sein. Denke ich jedenfalls. Die Inspektion ergibt: Fehlanzeige. Betonreste zeigen an: Hier war wohl mal ein Rastplatz. Nun kann man sich allenfalls auf die Wiese setzen. Wie direkt vor der Bibliothek etwas weiter. Dort ist ebenfalls keine Bank. Wer vor dem gelehrten Haus rasten und den Blick auf Zeughaus und Schloss genießen möchte, kann sich auf den Stufen davor niederlassen. Als Kinder spielten wir mit den Löwen, die die Heimstatt der Bücher links und rechts bewachen.
Verweilen im Seeligerpark
Dafür gibt es eine Bank direkt vor dem Lessinghaus – mit Blick aufs Schloss. Ich setze mich einen Augenblick und sinniere, wie es wohl gewesen sein mag, als der kreuzunglückliche Gotthold Ephraim Lessing, dessen Frau gerade verstorben war, im geisterhaft leeren Gemäuer arbeitete – wie ein Schlossgespenst. Zugig und feucht muss es gewesen sein – fernab jeder Schlossromantik. Von hier aus geht es von der Dr.-Heinrich-Jasper-Straße durch eine Hauseinfahrt auf den Spinnereiparkplatz, direkt in den Seeliger-Park. Auf der zum Schloss gewandten Seite findet sich keine Bank. Erst am Eingang vom Schulwall geht es los. Eine Bank mit Schlagseite und politischer Botschaft ist zur Begrüßung eher ein Schauobjekt als ein Sitzmöbel. Sie beschwört den »Feminismus«. Auf dem äußeren Bogen finden sich dann zahlreiche Bänke. Hier kann man sitzen, lesen, dösen oder nur den Aktiven zusehen, die sich am Disc-Golf-Parkur im Park vergnügen. Ich suche mir ein Plätzchen in Sichtweite zur Landesmusikakademie und genieße die Atmosphäre. Im Probenraum spielt gerade volltönend ein Orchester auf und die Klangkaskaden ergießen sich auf Wiesen und Park, weil die Fenster weit geöffnet sind. »Verweile Augenblick…«. Mit einer Decke lässt es sich auch auf der Wiese aushalten. Hier könnte ich einen ganzen Nachmittag verbringen. Am liebsten mit den Proben der Nachwuchsmusiker, die eifrig arbeiten, während ich in den blauen Himmel blinzele und meinen Gedanken nachhänge…
Wasser, Spiel und Spaß
Aber die »Pflicht« ruft. Es geht zurück in die Innenstadt zu den Krambuden. Ein Geschäftsmann in der Gegend hatte mir gerade erst erzählt, dass diese Holzbänke »Unter den Krambuden« der Renner seien. »Hier ist immer was los. Für Kinder ist das hier das Paradies, wenn sie zwischen den Wasserfontänen spielen«, erzählte mir der Augenoptiker Ingo Lutz. Und in der Tat: Während darum herum in den Cafés getrunken und gegessen wird, jauchzen die Kleinen fröhlich und springen durch die Wasserfontänen. »Schade, dass ich erwachsen bin«, denke ich. Und an das Wort: Wenn man eine Pfütze nicht mehr als Spaß, sondern als Risiko begreift, ist man alt geworden. Ich halte also wenigstens mutig einen Arm ins Wasser und fühle die kühle Frische. Mehr getraue ich mich aber nicht, schiebe das Rad in den Großen Zimmerhof bis zur Linkskurve und setze mich noch auf die neuen Stufen zum Wasser hin. Der glatte Stein bildet ein Kontrast zur alten Ufermauer und hebt sich positiv ab. Mein Blick schweift bis zum Wehr und über den Himmelsspiegel, auf dem Enten gemütlich ihre Bahn ziehen.
Die Genussbank
Es muss nicht immer eine Bank sein. Aber es kann. Meine letzte Station ist tatsächlich eine Lieblingsbank in der Stadt für mich. Vor der Trinitatiskirche gibt es gleich vier davon. Ich hole mir ein Eis vom Eiscafé Martini und setze mich gemütlich auf eine der vier Sitzgelegenheiten. Die Kirche wird von der Abendsonne angestrahlt. Da sind die gebeugten Gärtner, die einmal das Bild der Stadt geprägt haben und das Gemüsebeet. Auf der Wiese spielt ein Vater mit seinem Kind Fußball, der Blick zur Hauptkirche geht in der gleißenden Sonne unter wie ein überbelichtetes Bild. Geschichte interessiert mich jetzt nicht, obwohl sie hier in Hülle und Fülle präsent ist und an die guten wie schlechten Tage der Stadt mahnt. Die Gedanken verfliegen in diesem Augenblick. Stattdessen blättere ich noch im Kinoprogramm vom Filmpalast um die Ecke und freue mich auf die nächsten Filmkunst-Aufführungen jeden Montag. Hierher komme ich wieder. Einige andere Bänke werde ich ebenfalls erneut ansteuern und neue suchen. Denn das zweckfreie Sitzen im Freien ist doch etwas ganz besonders Schönes.