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Phänomen Kohlfahrt

Eine Gruppe ist mit Bollerwagen auf Kohlfahrt in und um Oldenburg.

Phänomen Kohlfahrt in Oldenburg © OTM | Mario Dirks

Der Weg ist das Ziel! Dieser oft verwendete Spruch trifft für eine Kohlfahrt definitiv zu. Du musst unterwegs Aufgaben lösen, verbringst eine unvergessliche Zeit mit Freunden, Familie oder Kollegen und am Ziel wirst du mit leckerem Grünkohl belohnt. Mit der Teilnahme an mittlerweile mindestens zehn Kohlfahrten in unterschiedlichsten Konstellationen habe ich bereits ein bisschen Erfahrung! Mit diesem Beitrag will ich versuchen, jedem interessiertem Kohlfahrtlaien dieses gesellschaftliche Ereignis etwas näherbringen.

Das wichtigste Utensil für die Kohltour: der Bollerwagen © OTM | Mario Dirks

Dabei schieben wir keinesfalls eine ruhige Kugel. Wir boßeln und falls etwa die Witterung keinen Boßel-Wettkampf zulässt, werden andere Wettbewerbe ausgetragen, deren Regeln den meisten Teilnehmern durch Kindergeburtstage bekannt sein dürften. Und das absolut wichtigste Utensil ist definitiv der Bollerwagen. Hierin befindet sich das Spielezubehör und für den kilometerlangen Marsch durch die Kälte auch wärmende Getränke und etwas Nervenfutter.

Im Januar und Februar, wenn es draußen frostig-kalt ist und eisige Winde über die weite Ebene Norddeutschlands fegen, zieht es uns Oldenburger unwiderstehlich ins Freie. Die Erklärung dafür ist ganz einfach. Im Winter ist Kohlfahrtsaison! Das ist für uns das, was dem Rheinländer der Karneval ist: gesellschaftliches und geselliges Jahreshighlight. Eine närrische Auszeit vom Alltag und ein Wiedersehen mit neuen und alten Bekannten.

Unter dem Jubel des Teams spielen zwei Teilnehmende einer Kohlfahrt Erbsenlauf © OTM | Mario Dirks

Was ist eigentlich Boßeln?

In weiten Teilen Norddeutschlands hat das Boßeln eine größere Bedeutung als Fußball: Im Mittelpunkt steht immer eine Kugel aus Holz oder Kunststoff, knapp 60 Millimetern im Durchmesser und rund ein Pfund schwer. Die muss weg – und zwar möglichst weit. Bei der Kohltour treten zwei Mannschaften gegeneinander an. Gespielt wird auf asphaltierten Straßen. Entsprechend rollt man die Kugel eher als zu werfen. Wenig befahrene Landstraßen sind daher an Winterwochenenden regelmäßig Schauplatz unserer geliebten Kohlfahrt.

Boßeln gehört in Oldenburg zu jeder Kohlfahrt © OTM | Mario Dirks

Kohlfahrt Konventionen

Für Kohlfahrten gibt es zwar keine festen Regeln, allerdings gelten einige gesellschaftliche Traditionen, die es einzuhalten gilt. So wird bei jeder Tour im Verein, mit der Familie oder im Bekannten- und Kollegenkreis eine Kohlkönigin oder ein Kohlkönig ermittelt, der die Kohltour des kommenden Jahres organisieren muss. Für die Königskür haben sich über die Jahre individuelle Traditionen entwickelt: Bei einigen entscheidet der sportliche Wettkampf, bei anderen die Menge des verzehrten Grünkohls und wieder andere lassen den Zufall entscheiden.

So oder so: Was Hoheiten während der Kohlfahrt befehlen, muss befolgt werden – auch wenn Gäste von auswärts manche gemeinsame Aktion befremdlich oder gar peinlich finden könnten. Allen Kohlfahrten gemeinsam ist der krönende Abschluss in einem Landgasthaus, in denen an Wochenenden ab November und oft bis kurz vor Ostern Grünkohlessen angeboten werden oder im Rahmen von Gemeinschaftskohlfahrten Live-Bands auftreten. Für die Gemeinschaftskohlfahrten einen Tisch zu reservieren, darf kein Kohlkönig auf die lange Bank schieben, denn zur Kohlfahrt-Saison sind die Gasthäuser lange im Voraus ausgebucht.

Kleiner Tipp: Du solltest witterungsbedingte Kleidung tragen. Wir empfehlen den Zwiebellook. So kannst du je nach Bedarf Schichten ablegen oder anziehen.

Oldenburger Kohlkompetenz

Eins ist sicher: In Oldenburg schlägt das Grünkohlherz eindeutig am lautesten. Die Stadt trägt dem Kultgemüse des Nordens mit allerlei „Kohlinarischem“ Rechnung: Grünkohlpesto, Pinkelmostrich, Grünkohl-Pralinen, Grünkohl Tee, Grünkohl-Chutney und vor allem Grünkohl mit Pinkel.
Da ich schon alles probiert habe, kann ich voller Überzeugung mitteilen: Es ist alles richtig lecker!

Außerdem kann ich allen Fans des gesunden Gemüses, die Veranstaltung „Hallo Grünkohl“ empfehlen. Oldenburg zelebriert den Start in die Grünkohlsaison jedes Jahr im November mit einem feierlichen Auftakt im Zentrum der Innenstadt. Dann versammelt sich die gesamte Kohlkompetenz auf dem Marktplatz und shoppen kann man nebenbei auch noch, denn es ist verkaufsoffener Sonntag.

Grünkohl klassisch mit Pinkel © OTM | Mario Dirks

Und zum Schluss noch ein bisschen Hintergrundwissen zu den Oldenburger Kohlfahrten

Der Kult um den Kohl entstand in Oldenburg keineswegs zufällig: Oldenburg ist auch deswegen die Kohltourhauptstadt, weil hier das gesunde Wintergemüse in hoher Qualität gedeiht und es eine lange Tradition der Kohlfahrten oder auch Kohltouren, gibt: In älteren Oldenburger Urkunden, selbst in der Stadtrechtsurkunde von 1345, vor allem aber in Kaufkontrakten, gibt es immer wieder Hinweise auf den Kohlhof und Kohlgarten. Kohl war aber nicht nur ein Essen für Arme und Normalbürger.

Wenn im Winter der Frost länger anhielt, verabredeten sich die Honoratioren der Stadt zu einer Schlittenfahrt aufs Land. Anschließend kehrten sie bei einem wohlhabenden Landmann ein. Der Oldenburger Turnerbund, gegründet 1859, gilt als Erfinder der Kohlfahrt in ihrer heutigen Form, über 100 solcher Veranstaltungen sind in der Vereinschronik dokumentiert. Und seit 1956 wird die Bundeshauptstadt zur Oldenburger Kohlonie. Seitdem wählt man alljährlich beim „Defftig Ollnborger Gröönkohl Äten“ eine Persönlichkeit aus der Politik zur Kohlmajestät, also eine „Grünkohlkönigin“ oder ein „Grünkohlkönig“.

Selbst Altkanzler Helmut Kohl brachte es zum Kohlkönig von Oldenburg. Und mit diesem Nachnamen ist er wohl sowas wie der Oberkohlkopf einer ganzen politischen Gang. Kollegen wie Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und Angela Merkel amtierten ebenfalls bereits unter der Flagge der Oldenburger „Palme“.

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