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Wurstarchipel Wolfenbüttel

Wolfenbüttel ist ein Ort, wo Fleischer ihre Spezialitäten noch selbst herstellen. Inmitten der industriellen Massenproduktionen sind sie wie kleine Genussarchipele. Zwei, bei denen es auch um die Wurst geht, möchte ich hier vorstellen.

Der Dorfrichter Adam war es, der in Heinrich von Kleists »Zerbrochenen Krug« eine »Braunschweiger Mettwurst« auffährt, um den angereisten Gerichtsrevisor milde zu stimmen. Der Erfolg dieses kulinarischen Bestechungsversuchs war, bekanntermaßen, nicht sehr durchschlagend. Solche Spezialitäten aus der Region im südlichen Niedersachsen erfreuen sich jedoch trotzdem großer Beliebtheit – und in Wolfenbüttel sowieso. Denn das Gemüt verwöhnen sie mit Sicherheit. Zwar gab die alte Residenzstadt der berühmten Mettwurst nicht den Namen. Aber der Wolfenbütteler weiß sich mit seiner längeren Tradition gegenüber der Nachbarstadt vornehm zurückzuhalten.

Die Wurstspezialitäten der Lessingstadt – etwa die Wolfenbütteler Stracke – sind kulinarische Botschafter der Stadt, und viele Reisende nehmen sich ein deftiges Stück Erinnerung von einem Besuch in der Stadt mit. Am Kornmarkt, dort wo der öffentliche Nahverkehr zusammenläuft und sich um die Morgen- und Mittagszeit unzählige Schülerinnen und Schüler schwatzend und kauend treffen, sind gleich zwei Betriebe, die in Sachen Wurst die Tradition der Fleischerzunft wachhalten.

Schwarzleberwurst – frisch zubereitet

Unscheinbar, fast geduckt fällt der Blick auf ein kleines Geschäft, direkt hinter einer der vielen Bushaltestellen. Ein kleines Schaufenster gibt Einblick in einen gemütlichen Verkaufsraum. Die Insignien der Zunft draußen an der Hauswand zeigen an: Bei der Fleischerei Frank Heine wird traditionell, handwerklich gearbeitet – und das bereits in der vierten Generation. Ich bin mit Frank Heine verabredet. 1968: Wir sind der gleiche Jahrgang. Da versteht man sich sofort und kommt locker ins Gespräch, während der Meister gerade noch ein paar Stücke Fleisch pökelt.

Man hat so seine Spezialitäten: Die Bregenwurst von Heine liebe ich in der Braunkohlzeit – in Wolfenbüttel sieht man den Grünkohl braun und nicht grün. Und Bregenwurst ist als Begleiter ein Muss. Sehr lecker ist die Knackwurst. Und zu deftigen Bratkartoffeln kann man das Sauerfleisch von Heine genießen. Für Abwechselung ist hier gesorgt. Schließlich gibt’s am Kornmarkt 15 eine besondere Leberwurst, so meine Erinnerung, die ich sonst nirgend gesehen oder probiert habe: die Schwarzleberwurst. Frank Heine und ich sind gegen zwölf Uhr verabredet. Eigentlich hätte er die Schwarzleberwurst normalerweise am Vormittag zubereitet. Aber für mich macht er netterweise eine Ausnahme.

Imbiss auch für zwischendurch

Als ich vorher noch etwas in dem kleinen Geschäftsraum gewartet hatte, lachten mich bereits Mettwürste, Schinken, Salate, aber auch Käsespezialitäten an. Die Räume, in denen Frank Heines Urgroßvater vor über 100 Jahre das erste Mal eine Fleischerei für die Familie gepachtet hatte, sind niedrig. Wahrscheinlich ist hier nichts gerade. Alles hat Geschichte und Charakter. Selbst wenn es zu den Stoßzeiten voll ist, wird keiner nervös. Dann hilft der Chef schon einmal persönlich, seine Frau und die Mitarbeiterinnen sowieso, die nicht nur Fleisch verkaufen, sondern beraten, Tipps geben und immer etwas Besonderes da haben. Wer keine Lust zum Kochen hat, kann sich auch kleine Fertiggerichte mitnehmen. Und hungrige Mäuler lassen sich gern ein Mett- oder Leberwurstbrötchen »auf die Faust« schmieren.

Dazu gibt es stets einen frischen Kaffee – den kann man mitnehmen oder vor Ort trinken. Frank Heine, der die Zutaten für die Schwarzleberwurst sorgfältig abwiegt, ist ein ruhiger Vertreter mit einer freundlichen Stimme. Er erzählt von seiner Familie, seinem Großvater und Vater, die das Geschäft aufgebaut haben. Sein Großvater zum Beispiel sei ein Pferdenarr gewesen. Sein Vater wiederum habe viele Rezepte neu in das Geschäft eingebracht. So hat jede Generation der Familie Heine dem Betrieb ihren Stempel aufgedrückt. Nur vom Geschäftsgründer, dem Urgroßvater sei wenig überliefert, erzählt er.

Wurst: handwerklich hergestellt

Alle Bewegungsabläufe sind sicher und geübt. Im Hintergrund steht eine Aushilfe, die dem Meister Handreichungen macht. »Wenn alles gut geht, fängt er im Sommer eine Lehre an«, freut sich Frank Heine, der selbst im nahe gelegenen Königslutter gelernt, in den verschiedenen Fleischereien der Region gearbeitet und schließlich im fernen Heidelberg seine Meisterprüfung abgelegt hat. »Für mich war es nie eine Frage etwas anderes zu machen als die Fleischerei meines Vaters zu übernehmen«, erinnert sich Frank Heine, während er gerade die Zutaten für seine Schwarzleberwurst in einer großen Wanne vermengt. »Das ist ein Rezept meines Großvaters.

Ein Zwischending aus Leberwurst und Blutwurst«, erklärt er. Während der Produktionsraum im Hinterhof des Geschäftes eine höhere Decke hat, sind die Bereiche zum Laden hin so niedrig wie der Verkaufsraum. Hier hängen verführerische Mettwürste an der Decke. Auf einer großen Waage hatte Frank Heine gerade die Zutaten abgewogen: gekochtes Schweinefleisch, Leber, Zwiebeln, Gewürze, und Blut. Man merkt, er ist mit Leidenschaft bei der Sache. Aber gleichzeitig spürt man auch sehr schnell, dass Fleischereien wie die Frank Heines mit einigen Problemen zu kämpfen haben.

Die Probleme der Handwerksbetriebe

»Ein großes Problem waren die Änderungen der Öffnungszeiten«, erklärt er. Während sich die Kunden früher vorausschauend eingedeckt hätten mit Lebensmitteln, könne man eben heute fast zu jeder Zeit noch etwas kaufen. Natürlich gibt es auch einen Preiskampf. Aber hier sieht Frank Heine, dass die Kunden ein neues Bewusstsein haben: »Ich verzichte seit fast zehn Jahren auf Geschmacksverstärker, verwende gute Rohstoffe und arbeite nur handwerklich. Das honorieren die Leute«, freut er sich. Kämpfen tut der Fleischer mit zahlreichen Verordnungen und Standards, die meist für die großen zugeschnitten seien und kleinen Betrieben wie ihm vor allem Scherereien brächten. Unterkriegen lässt sich Frank Heine trotzdem nicht. Die meisten Sachen, die bei ihm im Tresen liegen, sind selbst gemacht. Nicht nur die Schwarzleberwurst, die er jetzt in Därme und Dosen füllt, um sie dann bei 80 Grad zu brühen. Ein hiesiges Heidebrot, ein Gewürzgürkchen und ein Wolfenbütteler Bier – und man hat eine echt Wolfenbütteler Brotzeit zusammen, die Herz und Gaumen erfreut.

190 Jahre Röber Gourmetmarkt

Schräg gegenüber leuchtet von weithin sichtbar ein riesiges, grünes Transparent: »190 Jahre Röber in Wolfenbüttel« steht da in großen Lettern. Susanne Röder empfängt mich gleich am Eingang. Röder – mit d – ist tatsächlich richtig. Trotzdem ist die gut gelaunte gelernte Köchin ein Spross jener Wolfenbüttler Traditionsfamilie, deren Stammvater Heinrich Röber – einst Viktualienhändler – hier an dieser Stelle vor 190 Jahren seine Fleischerei gegründet hatte. Das Geschäft hat drei Kriege überstanden – den von 1870/71 und zwei Weltkriege und behauptet sich heute als Gourmetmarkt in einem Wettbewerb, wo jeder Discounter ein schnelles »Gourmet« auf seine Produkte labeln kann – ganz egal, wie das produziert wurde und was in den Lebensmitteln enthalten ist.

Susanne Röders früh verstorbener Vater Eckhard war ein Spross der Familie Röber. Nach seinem frühen dem Tod heiratete die Witwe den Fleischermeister und Viehhändler Hans-Peter Röder. Bei der annähernden Namensgleichheit kommt es nicht selten zu Verwirrungen. In diesem Jahr wird das Jubiläum jedenfalls ausgiebig mit vielen Aktionen gefeiert. Im Nebengebäude gibt es in einem Schaufenster sogar eine kleine Ausstellung mit Bildern und Dokumenten aus der bewegten Zeit des Betriebes zu bestaunen. Im Februar war es mit einem Tag der offenen Tür losgegangen und über das Jahr gibt es immer wieder Angebote, die an das große Firmenjubiläum erinnern.

Bei Röber stehen die Frauen am Steuer

Die Frauen, erzählt Susanne über ihre Familiengeschichte, seien in der Familie stets stark gewesen. »Im Krieg haben Sie das Zepter im Geschäft in die Hand genommen und für Kontinuität gesorgt. Schließlich war es meine Mutter, die das Geschäft nach dem tragischen Tod meines Vaters am längsten in der Familiengeschichte geführt hat. Darauf bin ich sehr stolz.«, erzählt sie. Nun führt Susanne Röder seit einigen Jahren selbst den Betrieb. Von der klassischen Fleischerei entwickelte sie das Geschäft zu einem Gourmetmarkt. Während wir nach hinten gehen schweift mein Blick über die Regale: leckere Konfitüren, italienische Pasta, Olivenöle, Fertiggerichte, Weine, Schokolade usw. Auf der anderen Seite das klassische Wurst- und Fleischangebot, aber genauso Käse, Salate und besondere Fischspezialitäten.

»Viele Menschen haben heute kaum noch Zeit zu kochen, möchten jedoch trotzdem Qualität essen«,

erklärt Susanne Röder. Und diesem Trend trägt der Gourmetmarkt Rechnung. Mit ihrem Team bereitet sie Köstlichkeiten vor, die nur erwärmt oder nach Anleitung zubereitet werden müssen. Auch wenn Röber nicht mehr die klassische Fleischerei ist, legt Susanne Röder Wert auf handwerkliche Produktion der Wurstwaren. In der Wurstküche treffe ich Thomas Borchers. Er hat hier als junger Mann schon im Betrieb gelernt. Und nach einem beruflichen Ausflug nach Braunschweig bereitet er hier jetzt wieder die Wurstspezialitäten zu. Fleischer sei kein leichter Beruf, erzählt er, während er eine zwanzig Kilo Wanne Fleisch in den Fleischwolf kippt.

Braunschweiger Mettwurst aus Wolfenbüttel

Aber einer, der ihm Spaß macht. Die Braunschweiger Mettwurst, die Thomas Borchers heute produziert, isst er selbst auch gern »Es gibt die Leberwurst und die Mettwursttypen. Ich bin eher für Mettwurst«, meint er augenzwinkernd. Während sich die Wurstmasse aus der Öffnung schiebt erklärt er, dass zu einer guten Braunschweiger Mettwurst schon Fett gehört. Das gebe den Geschmack und die richtige Konsistenz. »Wir verwenden Schweinefleisch von der Schulter und vom Bauch. Das ist weiches, geschmeidiges Fett, das eine gute Bindung schafft und am Ende auf der Zunge zergeht«, schwärmt Borchers.

Bevor er das Fleisch in den Fleischwolf getan hatte, wurden die großen Stücke erst einmal mit einem Teil der Gewürze vermengt. Der Rest der Gewürze kommt dazu, wenn die Wurst bereits zerkleinert ist. Nach einer ganzen Weile in der »riesigen Rührschüssel« ist die Masse kompakter geworden und ist jetzt fast fertig. Jede »Echte Braunschweiger Mettwurst« wird einzeln in den Darm gefüllt und muss schließlich noch in den Räucherofen, bevor sie in den Verkauf geht und auf den Abendbrottischen der Wolfenbüttlerinnen und Wolfenbüttler kommt.

Wolfenbütteler Wurst – ein kulinarisches Mitbringsel

Als kulinarisches Mitbringsel aus der Lessingstadt schweißt das Team des Gourmetmarktes die Spezialität gern in Folie ein. »So ist unsere Braunschweiger schon eine Weile haltbar«, erklärt Susanne Röder bei der Verabschiedung. Neben den traditionellen Rezepten entwickelt sie immer gern Neues. Zum Beispiel die Lessingbratwurst, die es in einer neuen Rezeptur seit letztem Jahr gibt und die sich ganz zurecht zum Dauergast auf den Grillrosten der Region entwickelt hat. Wer sich mittags stärken möchte, der kann sich auf leckere Eintöpfe oder Gerichte freuen, die im Sommer auch draußen rustikal am Stehtisch serviert werden. Dann kann man von hier aus auf das geschäftige Treiben des Kornmarkts schauen. Und vom Kornmarkt über den Stadtmarkt kann der Besucher schon einmal frisch und gestärkt seine Unternehmungstour durch die geschichtsträchtige Stadt beginnen.

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