Da sind sie wieder, die vielen kleinen Erinnerungen und Gefühle. Ein paar Jahre sind sie alt, doch verblasst sind sie noch lange nicht. Als wir mit der S-Bahn in den kleinen Hauptbahnhof einrollen, ist es, als wäre ich nie weg gewesen – Erinnerung für Erinnerung kehrt zurück. „Schau mal, da habe ich 2010 die WM beim Public Viewing gesehen!“, sage ich zu meinem heutigen Reisebegleiter Daniel und zeige auf den Volksfestplatz. Ein paar Meter weiter werde ich ein bisschen melancholisch, denn ich sehe mein altes Wohnhaus in der Nordstadt. Sechs Jahre habe ich dort während meines Studiums gewohnt, sechs Jahre unterm Dach, sechs Jahre voller Höhen und Tiefen.
Alles neu in Hildesheim
Auf dem Weg in die Innenstadt erscheint mir Hildesheim dann weniger vertraut: Der ZOB, der Bahnhofsvorplatz und die Eingangshalle sind fertig, neu und modern sind sie geworden. Ich erkenne nichts mehr wieder: Die Großbaustelle, die ich vor drei Jahren hinter mir ließ, ist verschwunden. Die Straße rund um die Deutsche Bank wird aktuell erneuert. Hildesheim macht sich schick!
Daniel und ich erreichen die tourist-info im Besucherzentrum Welterbe am Marktplatz. Obwohl mein Begleiter sein Leben in Hannover verbracht hat, kennt er Hildesheim nur von den Nummernschildern. Ich freue mich, mal wieder „so richtig“ hier zu sein. Wir werden sehr freundlich von Elizabeth empfangen, die uns direkt zu den Massage-Sesseln im ersten Stock führt. Erst mal von der anstrengenden Zugfahrt (ab Hannover) erholen, das klingt doch gut. Daniel ist skeptisch, aber das ist er immer. Wir wählen eines der vielen Programme aus (4 Euro für 20 Minuten) und lassen uns die verbogenen Rücken gut durchkneten. Aus Kopfhörern säuselt entspannende Musik und die Sessel verschlingen uns. Für zwanzig Minuten verschwinden wir in eine andere Welt.
Tiefenentspannt schweben wir zu unserem nächsten Programmpunkt: Mittagessen! Wir sind wirklich schlechte Touristen, auf jeden Fall ziemlich faule. Und wir schaffen es noch nicht mal wirklich vom Marktplatz hinunter, denn wir entdecken das Le Garcon, das noch relativ neu in der Stadt ist. Vom Konzept her ähnlich ist das Café Madmoiselle, welches ich jedoch noch ein bisschen charmanter finde. Le Garcon ist weniger weiblich – kein Wunder bei dem Namen. Gemütlich ist es aber auch hier. Daniel und ich bestellen jeweils einen veganen Bagel, dazu einen Tee und noch ein Stück Kuchen.
Los geht unser Touriprogramm in Hildesheim
Jetzt aber los! Gestärkt starten wir endlich unser Touriprogramm. Wir lernen Astrid Algermissen kennen, die uns die nächsten zwei Stunden durch die Stadt führen wird. Außer uns sind noch sechs, sieben Paare mit dabei; Paare, die seit Jahren verheiratet sind, die sich in- und auswendig kennen und nicht mehr viele Worte verlieren müssen. Wir beide sind die jüngsten.
Hildesheim und die Wahrheit des Marktplatzes
Der Marktplatz ist das Herzstück der Innenstadt und umgeben von malerischen Fassaden. Mein Lieblingshaus ist das Sparkassen-Gebäude mit seiner wundervollen Holzfassade. Doch nun erfahren wir von Astrid die schreckliche Wahrheit: Die Fassade ist eine Fake-Fassade! Hildesheim wurde nämlich im zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört und in den 1950ern machte sich niemand die Mühe, die schönen Häuser wieder aufzubauen. Stattdessen entstanden schmucklose Betonbauten ohne jeden Charme. In den 80ern erkannten die Hildesheimer dann, was sie angerichtet hatten; 1984/85 rekonstruierte die Sparkasse die Holzfassade, setzte sie einfach vor das hässliche Gebäude wie eine Art Maske. Komplett wiedererrichtet wurde hingegen das Knochenhaueramtshaus. Ein teures Unterfangen, das heute wohl niemand mehr bezahlen würde, sagt Astrid. Ist Hildesheim jetzt eine Art Disneyland für Historiker? Immerhin, das Rathaus ist weitgehend verschont geblieben.
Kirchenstadt Hildesheim
Unsere Gruppe läuft weiter, wir klappern die wichtigsten Kirchen in Hildesheim ab. Mit über 40 Kirchen ist Hildesheim ein, ähm, Mekka für Christen. Daniel und ich sind nicht allzu sehr für Kirchen zu begeistern, folgen aber brav und hören gut zu. Hübsch ist der Hildesheimer Dom, der vor Kurzem komplett saniert wurde und innen schlicht und modern ist. In seinem Innenhof befindet sich der 1000-jährige Rosenstock, an dem heute aber nur Hagebutten hängen. Der Herbst kündigt sich an, Winter is coming. Im Hof des Doms endet unsere Stadtführung.
Hildesheim von oben: Ein Aufstieg, der sich lohnt
Nach der Stadtführung steht unser Sportprogramm an – wir wollen hoch hinaus und Hildesheim von oben betrachten! Im St.-Andreas-Kirchturm warten 364 Stufen darauf, von uns erklommen zu werden. Wohlbemerkt handelt es sich dabei um den höchsten Turm Niedersachsens. Daniel stoppt die Zeit, nach elf Minuten sind wir in der Spitze angekommen, behauptet Daniel. Ich schwanke irgendwo zwischen Asthmaanfall und Fieber, während Daniel über die Aussichtsplattform hüpft und fleißg Fotos macht. Doch die Anstrengung war es wert, denn wir werden mit einem tollen Ausblick belohnt. Bei gutem Wetter kann man sogar bis nach Hannover gucken, hatte Astrid behauptet. Heute sehen wir aber nur unendliches Weiß, das bis zum Horizont reicht. Als wir unten von der literaturstudierenden Ticketverkäuferin erfahren, dass der Rekord beim Aufstieg angeblich acht Minuten beträgt, verzeihe ich mir meinen Schwächeanfall.
Das kleine röstwerk: Handgerösteter Kaffee
Wir haben uns eine Belohnung verdient, finden wir, und finden direkt neben der St.-Andreas-Kirche das kleine röstwerk. Es befindet sich in einem niedlichen Fachwerkhaus, das in Hildesheim als „umgestülpter Zuckerhut“ bekannt ist. Hier ist es wirklich gemütlich und der Kaffee schmeckt so fantastisch, dass wir eine Packung für zu Hause erwerben.
Geheimtipp: Hildesheimer Braumanufaktur
Fürs Abendessen folgen wir einer Empfehlung und machen uns auf den Weg in die Hildesheimer Braumanufaktur, die wir nach einem 20-minütigen Fußweg erreichen. Vor uns eröffnet sich ein großflächiges Gelände mit einem roten Backsteinhaus, das früher ein Wasserwerk war. „Heute wird hier Wasser veredelt“, erklärt uns Jan, der sich mit seiner eigenen Brauerei einen Traum erfüllt hat. Wir probieren uns durch das Bier-Portfolio, das hier mit viel Liebe handgebraut wird. Das Bier schmeckt sogar mir – und ich bin eigentlich eher Typ Weißweinschorle. Daniel ist äußerst angetan und erwirbt ein paar Flaschen von „Brunhilde“. Mit zwei hausgemachten Limos und zwei Pizzen machen wir es uns dann im Biergarten gemütlich und lassen den Abend ausklingen.
Die Sonne steht tief, scheint uns ins Gesicht. Wir sind uns sicher: Der nächste Hildesheim-Besuch soll nicht so lang auf sich warten lassen. Spätestens im Dezember kommen wir wieder, um uns auf dem Hildesheimer Weihnachtsmarkt einen Glühwein zu gönnen.
Autorin: Alexa Domachowski, Fotos: Daniel Berger, Hey Hannover