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Der Holzschnitzer vom Glocken-Palast

Holzschnitzer Yuri Kulbabenko an seinem Arbeitsplatz im Gifhorner Glocken-Palast

Yuri Kulbabenko an seinem Arbeitsplatz

Redaktioneller Hinweis: Der Glocken-Palast ist zurzeit leider nicht besuchbar (Stand Anfang 2022).
Was ist das für ein außergewöhnliches Gebäude, ein Kloster? Eine Riesenkirche? Oder ein aufsehenerregendes Hotel? Diese Vermutungen bekomme ich als Einheimischer immer wieder zu hören, wenn ich auf Menschen treffe, die zum ersten Mal nach Gifhorn kommen. Die Auflösung lautet: Bei dem imposanten Gebäude an der östlichen Einfahrt in die Stadt handelt es sich um den Glocken-Palast, ein Bauwerk, das Kunsthandwerk, Geschichte und Visionen verbindet. Die Vermutung mit dem Kloster ist übrigens nicht schlecht, denn das Gebäude ist mit seinen typischen goldenen Kuppeln einem Kloster im altrussischen Baustil nachempfunden. Großen Anteil an der künstlerischen und stilvollen Gestaltung hat Yuri Kulbabenko, der Holzschnitzer vom Glocken-Palast.

Der Glocken-Palast in Gifhorn

Treffpunkt am Portal

Ich bin mit Yuri Kulbabenko am großen Portal verabredet, durch das man zum Glocken-Palast gelangt. Das Tor ist verschlossen, da noch Winterpause ist und die Saison erst Mitte März beginnt. Gemeinsam folgen wir dem Sandweg, der links und rechts an der Europäischen Freiheitsglocke vorbei zum Glocken-Palast führt. Zu  meiner Überraschung stößt Horst Wrobel, Ideengeber und Erbauer des Gebäudes, zu uns.

Die Europäische Freiheitsglocke mit dem Glocken-Palast im Hintergrund Foto: Christoph Mischke

Der Kunsthandwerker aus der Ukraine

Yuri Kulbabenko stammt aus Korsun-Schewtschenkiwskyj, der ukrainischen Partnerstadt Gifhorns. Er ist ausgebildeter Holzschnitzer und hat lange Zeit als selbständiger Schreiner in seiner Heimatstadt gearbeitet. Bereits 2003 war Kulbabenko zum ersten Mal in Gifhorn, seit 2013 ist er fest bei Horst Wrobel angestellt. In erster Linie ist er für die Holzschnitzereien am und im Glocken-Palast zuständig, erledigt aber auch viele andere handwerkliche und künstlerische Aufgaben. Außerdem führt er Besucher durch das Gebäude.

Yuri Kulbabenko zeigt eine seiner Arbeiten

Acht Schachfiguren

Sein „Gesellenstück“ für den Glocken-Palast waren acht Schachfiguren, die auf dem Podest unter dem großen Glockenturm stehen. König, Dame, zwei Läufer, zwei Springer, zwei Türme. „Wieso nur acht Figuren, es müssten doch 16 sein?“, frage ich. „Was ist mit den Bauern?“, will ich wissen. „Die Bauern stehen hier unten und betrachten die Figuren dort oben. Wir sind die Bauern!“, antwortet Kulbabenko mit einem breiten Grinsen. So steckt, wie ich im Laufe unseres Gesprächs immer wieder feststellen werde, hinter jedem Kunstwerk, jeder Schnitzerei, jeder Malerei, jeder Figur eine Geschichte. Mal witzig, mal charmant, mal bissig, aber immer hintergründig.   

Die Schachfiguren unter dem Glockenturm

Der Arbeitsplatz des Holzschnitzers

Kulbabenkos Arbeitsplatz befindet sich in einem Raum im ersten Stockwerk des Glocken-Palasts. Alles ist sehr aufgeräumt, es liegt nichts Überflüssiges herum, alles hat seinen Platz. Die Türen und Fensterrahmen sind blau gestrichen und wurden – natürlich – von Kulbabenko selbst künstlerisch gestaltet. Am hinteren Ende des Raumes steht der Protagonist des Holzschnitzers, der Schreinertisch. Darauf befinden sich die typischen Werkzeuge: Ein großer Holzhammer, auch Schreinerklüpfel genannt, eine große Auswahl an Stechbeiteln in verschiedenen Größen, Schraubzwingen.

Der Holzschnitzer bei der Arbeit

Yuri Kulbabenko nimmt Hammer und Beitel zur Hand und beginnt, an seinem aktuellen Projekt zu arbeiten, eine Verzierung für einen Türrahmen oder ein Fenster. Das Holz ist sehr hart und schwer zu bearbeiten. Kulbabenko erzählt mir, dass er rund einen Tag für dieses Werkstück benötigen wird. Es handelt sich um Lärchenholz. Das Holz dieses Baumes sei – genau wie beispielsweise Douglasienholz – ideal für Werkstücke geeignet, die draußen verwendet werden, da es sehr robust und haltbar sei. Für drinnen eignet sich auch weicheres Holz wie das der Zeder.

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Der Holzschnitzer bei der Arbeit

Der Glocken-Palast als Europäisches Kunsthandwerkerinstitut

Der Glocken-Palast soll ein Ort des kulturellen Austauschs werden – internationale Künstler, insbesondere Kunsthandwerker aus Osteuropa, finden hier Räume zum Arbeiten und Ausstellen. Neben dem Zimmer des Holzschnitzers befinden sich weitere Räume, die als Kunsthandwerk-Ateliers vorgesehen sind. Es gibt eine kleine Werkstatt, in der gezeigt wird, wie Blattgold hergestellt wird und Galerien mit Bildern oder traditionellen Ikonen, die mit Blattgold verziert sind. Die russische Künstlerin Wassa Rosin zeigt ausdrucksstarke Gemälde, die Ikonenmalerin Barbara Teubner stellt aufwändige Heiligenbilder vor. Im Zentrum der Anlage steht eine fertige Glockengießer-Werkstatt bereit und wartet darauf, dass das Handwerk auflebt und neue Glockengießer ausgebildet werden können.

Über 16 Jahre Bauzeit

Horst Wrobel erzählt von der Entstehungsgeschichte des Glocken-Palasts. Bereits am 19. September 1996 legte der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow gemeinsam mit seiner Frau Raissa den Grundstein und übernahm die Schirmherrschaft. Ursprünglich rechnete Wrobel mit rund zwei Jahren Bauzeit, aber aufgrund zahlreicher Unwägbarkeiten wurden am Ende über 16 Jahre daraus. Am 8. Mai 2013 konnte das Gebäude endgültig seiner Bestimmung übergeben und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Rundgang durch den Glocken-Palast

Gemeinsam mit Horst Wrobel und Yuri Kulbabenko mache ich noch einen kleinen Rundgang durch den Glocken-Palast. Die beiden zeigen mir den Nobelpreisträger-Saal, in dem zum Beispiel Albert Schweitzer, Schirmherr Michail Gorbatschow, Mutter Teresa und Martin Luther King zu Ehren kommen. Im Südtrakt des Gebäudes gibt es ein Modell der Arche Noah zu bestaunen, das in zweijähriger Handarbeit von Horst Wrobel erschaffen wurde.

Das Modell der Arche Noah

Anschließend gehen wir nach draußen und Wrobel und Kulbabenko zeigen nach oben. Der Palast wird gekrönt von der stilisierten und mit Blattgold bedeckten Nachbildung der über 200 Tonnen schweren Zarenglocke aus dem Moskau Kreml (gegossen 1735), der größten jemals gegossenen Glocke weltweit. Auf der Glocke thront, aus Holz geschnitzt und mit einer Höhe von rund sechs Metern, der Heilige Joseph als Schutzpatron der Handwerker und Künstler.

Silhouette der Kreml-Glocke und der Heilige Joseph

Drei riesige Gemälde zieren das Gebäude auf der Außenfassade, die man nicht übersehen kann, wenn man auf das Gebäude zugeht: Ein Ikonen-Gemälde, die Entstehung der Liberty Bell, das Freiheitssymbol der Vereinigten Staaten, und die Wanderung der Tierpaare zur Arche Noah, vor dem ein übergroßer Albert Schweitzer mit Koffer steht.  

Holzkunst mit Tiefgang

Zum Abschluss zeigt mir Kulbabenko noch einige seiner Arbeiten und erklärt mir die Geschichten dahinter. So sind an vielen Stellen Pfaue zu finden. Die Vögel stehen für Schönheit und Reichtum, eine Verbindung zur Kunst lässt sich dazu leicht herstellen.

Am Ende eines Treppenaufgangs sitzen zwei hölzerne Eulen. Die Eule links ist grob behauen, unfertig. Die rechte Eule ist vollendet. Die Eulen, so erklärt mir Kulbabenko, stehen für das Lernen und die Ausbildung, die Kunsthandwerker im Glocken-Palast bekommen sollen. Zu Anfang ist man unvollkommen und muss noch viel lernen. Am Ende hat man seinen Stil gefunden, man hat sich künstlerisch und menschlich entwickelt und ist nun bereit, vollendetes Kunsthandwerk zu erschaffen.  

Die Eulen am Ende des Treppenaufgangs

Besichtigungen und Führungen im Glocken-Palast

Der Glocken-Palast ist von Mitte März bis Ende Oktober geöffnet. Montags und freitags ist Ruhetag, Öffnungszeiten sind von 11 bis 16 Uhr. Wenn man mit einer größeren Gruppe kommen möchte, sollte man sich vorher anmelden und eine Führung vereinbaren.

Weitere Infos: http://glockenpalast.de/

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