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Kunst für lau, aber keine laue Kunst

Was kann man machen, wenn sich kunstinteressierte Freunde zu Besuch in Wolfenbüttel anmelden? Inspiriert vom Kunstverein Wolfenbüttel, habe ich mir eine kleine Runde zusammengestellt, auf der man etwas erleben kann: Kunst für lau, aber keine laue Kunst.

Eine besondere Stadtführung

Neulich meldeten sich Gäste an, Freunde aus Indien. Sie wohnen und arbeiten in Braunschweig. Das liegt nahe, aber sie waren trotzdem noch nicht in Wolfenbüttel, der »schönsten Stadt der Welt«, wie ich bei der Verabredung werbe.

Mein Gegenüber lacht mit seinen großen Augen, bemerkt, dass das schon neu Dehli sei. Schließlich bekundet er, mit Kind und Kegel kommen zu wollen. Ich habe den Ansporn, eine besondere Stadtführung zu machen.

Frei begehbare Kunst in Wolfenbüttel

Und da die beiden kunstinteressiert sind, und gerade keine Ausstellungen laufen, mache ich mir Gedanken, was zu tun ist. Was bietet die Stadt an frei begehbarer Kunst? Was macht Spaß? Was könnten wir entdecken?

Skulpturen gibt es ja allerlei, und dann ist da, gegenüber der Hauptkirche, der Kunstverein mit wechselnden Ausstellungen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, schreibe ich die Initiative an und bitte um ein Gespräch.

Der Kunstverein Wolfenbüttel

Aus dem Besuch wird ein kleines Projekt. Inzwischen finde ich auch noch eine Broschüre der Stadt Wolfenbüttel mit Denkmälern und Kunstwerken (pdf, 5,8MB), die im öffentlichen Raum platziert sind. Im Thema ist Musik.

Aber der Reihe nach: Auf mein Anschreiben meldet sich die Geschäftsführerin des Kunstvereins, Stine Hollmann. Mit ihr und dem ersten Vorsitzenden, Günter Langer, treffe ich mich im Foyer der Ausstellungsräumlichkeiten.

Atelier, Galerie, Kunstraum

Von Mittwoch bis Sonntag können kunstinteressierte Menschen dort Ausstellungen zeitgenössischer Künstler besuchen. Kostenfrei! Der Verein ist eine Visitenkarte der Stadt, und ich bin neugierig, was mich erwartet.

Die Ausstellungsräume des Kunstvereins Wolfenbüttel bei einer früheren Ausstellung, Foto: Achim Meurer (CC-BY-SA)

Durch die großen Fenster der Reichsstraße 1 flutet das Sonnenlicht und taucht eine bizarre Welt in gleißendes Licht. Überlebensgroß schaut mich eine martialisch gekleidete junge Frau an. Überall entsteht etwas.

Kunst im Kunstverein Wolfenbüttel hat viele verschiedene Gesichter, Foto: Andreas Molaus

Junge Künstlerinnen und und Künstler in Wolfenbüttel

Fantasiewesen, Skulpturen, Bilder,… Das ist das Thema »Kunst im öffentlichen Raum« als Teil des Lebens. Die beiden erzählen faszinierend über einen Verein, der so gar nicht zum kleinen Wolfenbüttel passen will.

1975 gründen engagierte Menschen im Prinzenpalais ein Projekt, das Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform bieten will. »Bis heute haben wir für ein Jahresprogramm viel mehr Anfragen als wir bedienen können«, erzählt Stine Hollmann.

Kunst bereichert unser Leben

Aktuell ist das eine junge Künstlerin, Patricia Martsch, zwischen deren Werken wir sitzen und über Kunst sprechen, die unser Leben, unser ganz alltägliches Leben bereichern kann.

Das Programm der Initiative und die Ideen sind so vielfältig, dass es sich lohnt, am Ball zu bleiben. Workshops, multimediale Projekte … – ich habe während des Gespräches den Eindruck, dass sich hier ein echtes kulturelles Kraftfeld befindet.

Es geht los: Die Hauptkirche

Stine Hollmann und Günter Langer machen mich auf Kunstwerke aufmerksam, die in der Zusammenarbeit mit der Stadt Wolfenbüttel das Stadtbild bereichern. Diese aktuellen Arbeiten werde ich auf meiner Tour mit den »Klassikern« verbinden. Also, Projekt »Kunstspaziergang in Wolfenbüttel«: Das Programm geht vom Kunstverein los. Mit Fahrrädern ausgestattet, führt uns die Route zur gegenüberliegenden Hauptkirche, die, innen und außen, wunderbare Kunst entfaltet.

Das »Jüdische Denkmal«

Ob die kleinen, fast frivolen Bilder unter der Orgel oder die mystisch plastischen Darstellungen am Eingangsportal: Das Gotteshaus ist Kunstraum und spiritueller Ort in einem. Von da aus fahren wir über die Kommisse zum Harztorwall.

Das 2006 errichtete »Jüdische Denkmal« zeigt, was Kunst vermag: Historische Erinnerung zu vergegenwärtigen und in einen überzeitlichen Zusammenhang stellen. Die mit Steinen gefüllten Stelen erinnern an die Deportation der Juden.

Das Jüdische Denkmal, Foto: Florian Molau

Kunst erzählt Geschichten

Mit Eisenbahnwaggons wurden sie in die Todeslager verbracht. Die Inschrift der Namen machen das Grauen konkret. Wir stehen lange still an diesem Ort und bei uns entstehen ganz verschiedene Bilder im Kopf.

Kunst erzählt Geschichten. Und diese Geschichten werden individuell verarbeitet. Wir fahren weiter in den Seeligerpark. Während die Kinder ausgelassen auf der Wiese spielen, betrachten wir ein anderes Stück zeitgenössischer Kreativität.

Die »Ansiedlung« im Seeligerpark

Das Objekt »Ansiedlung« ist wie ein Spiegelbild unserer beschaulichen, kleinteiligen Stadt. An einer Mittelsäule hat die 1980 geborene  Künstlerin Nina Heffner verschiedene Kästen montiert, die an die hiesigen Fachwerkhäuer erinnern.

Dieses Projekt zeigt, wie der Kunstverein nicht nur durch temporäre Ausstellungen wirkt, sondern dauerhaft das Gesicht der Stadt prägt. Wir fahren zum Schlossplatz, der sich weit öffnet und meine Gäste in Erstaunen versetzt.

Zwischen Bibliothek, Zeughaus und Schloss

Ich finde, hier ist stadtplanerisch etwas Großes gelungen. Und ein echter Kunstplatz ist er mit Bibliothek, Zeughaus und Lessinghaus zudem. Die Erwachsenen bleiben beim »Nathan« von Erich Schmidtbochum. Die Kinder erkunden das Terrain.

Nathan der Weise, Foto: Christian Bierwagen

Ich erzähle meinen Gästen die Ringparabel, die Lessing in dem Theaterstück verarbeitet hat, das ich erst neulich gesehen und besprochen habe. Die Geschichte zeigt, wie wichtig Toleranz und Gleichmut sind.

Der Ritt auf den Löwen

Inzwischen reiten Kinder auf den Löwen vor der Bibliothek. Diese wurden von keinem Geringeren als Johann Gottfried Schadow entworfen. Sie bewachen das geballte Wissen im Innern des Büchertempels und laden zum Spielen ein.

An der Ecke Schiffwall/ Kleiner Zimmerhof streifen wir den »Großen Hermes« und gehen weiter zum Bürger Museum. Hier steht das von Markus Lüpertz geschaffene Wilhelm-Busch-Denkmal.

Der große Hermes, Foto: Florian Molau

Das hätte Wilhelm Busch gefallen

Das hätte, denke ich, dem alten Spötter und tiefsinnigen Grübler, der einstmals seine Sommerfrische in Wolfenbüttel genoss, gefallen. Busch war ja selbst ein ambitionierter Maler – nicht nur Zeichner – und rang um neue Ausdrucksformen.

Am Leibnizhaus in der Nähe ist der Cellist Pau Casals verewigt. Die Büste des Bildhauers Antoni Miró fächert den Künstler wie einen komplexen Klang auf und wirkt zu jeder Tageszeit im Spiel des Lichtes immer ein bisschen anders.

Pau Casals vor dem Leibnizhaus, Foto: Florian Molau

Von »Klein Venedig« zum Rosenwall

Wir fahren über »Klein Venedig« zum Rosenwall. Dort gibt es zwei unterschiedliche Kunstwerke. Einmal mahnt, versteckt in der Mitte, ein Relief an das Leid der Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Wolfenbüttel eine neue Heimat fanden.

Der Transformat, Foto: Florian Molau

Und schließlich ragt der »Transformat« mit seiner Metallspitze in den Wolfenbütteler Himmel. Auch dieses gut vier Meter hohe Kunstwerk ist das Ergebnis von fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kunstverein.

Die ganz andere Herrscherpose

Wir fahren weiter durch die idyllische Rosengasse, die Neue Straße entlang über die Stobenstraße bis zum Marktplatz. Dann erweisen wir dem von seinem Pferd abgestiegenen Herzog die Ehre.

Ungewöhnlich: Der Herzog steht neben seinem Pferd.

Seit 1904 zeigt er, dass es nicht die heroische Pose braucht, um das Große darzustellen. Über die Kanzleistraße, dort, wo früher die Regierung des kleinen Herzogtums ihre Arbeit verrichtete, grüßen wir danach die »Wolfenbütteler Figur«.

Moderne und Tradition

Sie ist ein Körper aus kubischen Elementen und setzt sich aus weiblichen, männlichen und tierischen Anteilen zusammen. Der Weg führt uns weiter, erneut an der Hauptkirche vorbei vor die Trinitatiskirche, wo wir das Gärtnerpaar treffen.

Das Gärtnerdenkmal, Foto: Florian Molau

Das an die Gartenbautradition der Stadt erinnernde Kunstwerk ist wieder ganz klassisch gehalten und bietet zur »Wolfenbütteler Figur« einen Kontrast. Die letzte Station ist eine Art Gegenstück zum Herzog auf dem Stadtmarkt.

Die Wolfenbütteler Figur, teils Mann, teils Frau, teils Tier, Foto: Christian Bierwagen

Der niedliche Herzog

Oder ist er sogar eine konsequente Fortführung des vom herrschaftlichen Ross gestiegenen Herzog August? Julius sitzt zwar wieder, aber nur auf einem putzigen Miniaturpferd.

Der kleine Herzog steht auf dem Juliusmarkt, Foto: Florian Molau

Nach so viel Kultur kehren wir bei der »Konditorei am Teichgarten« ein. Der Wolfenbütteler Konditor Alexander Ahrens macht wunderbare Torten in allen möglichen Variationen: ob Buttercreme, Sahne oder Frucht…

Der süße Ausklang und das kleine Glück

Wir lassen den Kunsttag also süß ausklingen, und ich finde bestätigt, was Günter Langer in dem Vorbereitungsgespräch sagte. Kunst kann ein Gefühl entwickeln, das Leben ein bisschen glücklicher zu machen.

Egal welche Tour ihr plant, egal, was ihr entdecken wollt. In Wolfenbüttel gibt es an den verschiedensten Plätzen Kunst, die offen auf Euch wartet und entdeckt werden will. Meine indischen Gäste werden die Stadt jedenfalls wieder besuchen…

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