Oh, das muss ich mal eben festhalten – schwupps ist mein Handy gezückt und der Auslöser in der Foto-App gedrückt. Doch seitdem die Qualität der Handyfotos so gut geworden ist, dass es sich lohnt, diese auch auf Leinwand zu ziehen, bin ich ehrgeiziger geworden. Das Zücken geht immer noch „schwupps“, aber ich verwende jetzt mehr Zeit auf die Frage, was ich eigentlich zeigen will. Darauf hat mich eine kleine Fototour gebracht, die ich neulich mit Helmut Gross bei uns in den „Havenwelten Bremerhaven“ unternommen habe. Es sind tatsächlich nur Kleinigkeiten, die den Unterschied machen. Meine Learnings inspirieren euch ja vielleicht auch.
Lektion Eins: Der beste Zoom sind die Füße
Wir starten nur wenige Schritte von meinem Büro entfernt direkt an der Weser auf der Seebäderkaje. Hier fällt das große Auswanderer-Denkmal sofort ins Auge. Mehr als 7,2 Millionen Menschen sind ja von 1830 bis 1976 über Bremerhaven ausgewandert und die Skulptur erinnert an deren Hoffnung und Entschlossenheit. Man kann diese Gruppe aus Eisen natürlich „einfach so“ aufnehmen. Aus der Entfernung, aus der ich das tat.
Aber Helmut zeigt es schon, näher ist besser. Ich mache also drei Schritte nach vorne und experimentiere ein wenig mit Licht und Perspektiven. Herausgekommen sind vier unterschiedliche gute Bilder, von denen ich euch eines zeigen möchte. Obwohl es gegen das Licht geschossen wurde und alles nur holzschnittartig zu sehen ist, gefällt mir das Bild, denn es zeigt die große Emotionalität der Familie, die Hoffnung (des Vaters) und die Angst (des Mädchens).
Lektion Zwei: Vordergrund macht das Bild gesund …
… und den Fotografen glücklich. Dieser Satz gefällt mir von allen frisch erlernten besonders gut. Nicht nur, weil er sich reimt (Ha 😉 ), sondern weil er mich beim Fotografieren von der Abbilderin zur Gestalterin macht. Natürlich kann ich die Mauer auf der Seebäderkaje und den Willy-Brandt-Platz so fotografieren:
Doch was sagt das aus? Der Platz ist drauf, der Name, die Außenmauer des Zoo am Meer, der Simon-Loschen-Leuchtturm. Und sogar eine Möwe auf der Mauer habe ich erwischt. Doch die Tiefe des Raumes, das Ensemble des Platzes mit dem Restaurant „Strandhalle“ und die besondere Bodengestaltung des Platzes sind nur sehr unzureichend wiedergegeben. Also, ein wenig bewegt, Ausschau gehalten, den Winkel verändert – und schon sieht das Ergebnis ganz anders aus:
Das geht natürlich auch mit Menschen. Helmut will mir den Unterschied demonstrieren und wir fahren 86 Meter über den Wasserspiegel auf die Aussichtsplattform Sail City hinauf. Von oben ist der Blick einfach gigantisch. Nach Norden sieht man zum Beispiel über den Neuen Hafen bis in die Überseehäfen auf den Containerterminal mit seinen vier Kilometern Länge. Man sieht viel Wasser, viel Himmel und Dutzende Einzelheiten. Klar kann man einfach abdrücken, das habe ich dann auch zuerst gemacht.
Aber Helmut rät mir, die Situation des Weit-Schauen-Könnens dadurch zu betonen, dass eine Person im Vordergrund genau das tut. Er schiebt sich mal eben in meinen Sucher und ich drücke ab. Recht hat er! Das Bild bekommt mehr Spannung. Auch wenn ich noch mehr Sorgfalt hätte walten lassen sollen, das Gitter stört doch mehr als gedacht. Aber sei’s drum. „Again what learned“, wie eine Freundin in solchen Momenten gern sagt.
Lektion Drei: Schiefes wird gerade
Da wir schon mal oben sind, können wir auch gleich noch höhen schauen. Auf dem Gebäude – das auf seinen 19 Etagen im Übrigen ein Hotel beherbergt und das Büro der Hafenverwaltung – reckt sich auch noch eine Gerüstkonstruktion gen Himmel, die unter anderem das Netz aus Seilen an einem Punkt aufnimmt, dass das Haus umfasst. Nicht verstanden? Dann schaut bitte hier. Jedenfalls, diese Konstruktion samt blauem Himmel dahinter ist sehr fotogen. Aber schwierig zu fotografieren. Sieht schon komisch aus, oder, einfach so draufgehalten?
Helmut zeigt mir dann, wie es richtig geht. Mit Entfernung nämlich. Auch hier sind wieder die Füße der Zoom und wir gehen einfach eine Etage tiefer. Auch wenn ich das Konstrukt selber nicht ganz mittig aufgenommen habe, so vermittelt sich doch jetzt schon viel besser dessen Netzartigkeit.
Lektion Vier: Vom Kleinen und Großen
Wieder auf dem Boden zurück, gehen wir in die Marina, die den Neuen Hafen seit genau zehn Jahren prägt. Hier liegen die schönsten Sportschiffe und nach dem Motto „den Moment möchte ich festhalten“ könnte ich klicken, was die Speicherkarte hergibt. Aber Helmut hat natürlich auch hier wieder eine Lektion für mich: Schau dir die Details an. Sprachs, geht in die Hocke und hält mit seiner Profikamera drauf. Ich laufe am Schiff entlang, suche mein Motiv und fühle mich durch ein Bündel Taue angesprochen.
Das Maritime lässt sich auch dadurch vermitteln.
Lektion Fünf: Platz lassen für Müll
Bislang habe ich mich ungern mit der Bearbeitung meiner Aufnahmen beschäftigt – die mussten passen, so wie sie sind. Doch Helmut hat mir diesen Ehrgeiz schnell ausgetrieben: Dass es passt schaffen nicht mal Profis immer. „Lass Platz zum Beschneiden der Ränder“ rät er mir. Das hat den Vorteil, dass wirklich nicht alles perfekt sein muss. Seht ihr den halben Möwenflügel am oberen Bildrand? Früher hätte mich das a) nicht gestört und ich hätte das Bild dennoch veröffentlicht. Oder b) mich hätte es gewurmt und die Bilddatei wäre sofort im digitalen Papierkorb verschwunden.
Heute mache ich mein Bildbearbeitungsprogramm auf, schaue mir die Aufnahme genau an, entscheide mich für den Ausschnitt und wähle diesen aus. Ein Klick auf „Freistellen“ und das Bild bekommt genau die Aussage, die ich mir vorgestellt habe. In diesem Fall wollte ich den markanten Bau des Restaurants „Strandhalle“ und seine besondere Lage direkt an der Weser und neben einem minarettartigen Leuchttum zeigen. Sieht man besser, als bei der obigen Aufnahme, nicht wahr?
Es waren nur wenige Stunden am Vormittag eines sonnigen Tages, doch Helmuts Ratschläge wirken nachhaltig. Tatsächlich hat sich mein „Klick-Verhalten“ verändert und ich denke einen kurzen Moment nach, bevor ich den Auslöser drücke. Kostete mich ein Lächeln. Eine Profiausrüstung wäre dagegen viel kostenintensiver. Mein Learning des Tages: Es ist der Perspektivwechsel, der den Unterschied macht. Danke, Helmut!
Wer sich von Helmuts Aufnahmen einen Eindruck verschaffen will, klicke bitte hier oder hier Ein Kurzporträt des spannenden Fotografen findet ihr hier.