Mensch, war das aufregend. Einen Tag durfte ich in dieser Woche als Komparse am Set für Filmaufnahmen, inmitten Stades Altstadt, mitwirken. Gut, Angelina Jolie war nicht mit am Start und der Film wird später auch nicht in tausend Kinos zu sehen sein, aber eine solche Produktion mal hautnah mitzuerleben, ist schon sehr spannend.
Für 5.30 Uhr (!) am frühen Morgen wurden wir alle zum Drehort bestellt. Mit noch etwas Müdigkeit in den Augen treffe ich deshalb mit dem ersten Hahnenschrei und rund 15 anderen Komparsen und weiteren Darstellern an der „Basis“ ein.
Und das mit dem ersten Hahnenschrei stimmt fast tatsächlich, denn neben uns ist am Set allerlei Getier eingetroffen – von Gänsen über Esel, Pferden, Ziegen bis zum Bullen durften viele liebe (echte!) Tiere mitwirken und die Szenerie bereichern.
Was wird eigentlich gedreht? Eine Kölner Filmproduktionsgesellschaft hat den Auftrag bekommen, die Geschichte des Hamburger Hafens als Dokumentationsstreifen zu verfilmen. Durch die Kooperation mit der niedersächsischen Filmfördergesellschaft Nordmedia, darf der Film eben auch viel in Niedersachsen spielen. Was man allerdings bedauerlicherweise im Film vermutlich nicht mehr erkennen wird – wenn man nicht gerade ein Stade-Kenner ist.
An unserem Drehtag stehen nun mittelalterliche Szenen aus der Hansezeit zum Dreh an und dafür bietet sich die Kulisse rund um den Stader Hansehafen wahrlich an. Auch schon ohne Requisiten. Aber was das Filmteam dort auf die Beine gestellt hatte, um aus Stades Hotspot einen Marktumschlagplatz aus längst vergangenen Zeiten zu zaubern, ist schon beeindruckend. Quasi über Nacht veränderte sich die Postkartenidylle Stades mit allerlei Dreck, Stroh und Requisiten in eine mittelalterliche Szenerie.
Zurück zum Set, wo die Komparsen, aber auch die Darsteller, die Sprechrollen hatten, in der „Garderobe“ (in diesem Fall als Provisorium in einer nahe am Set gelegenen Werkstatt eingerichtet) mit historischen Gewändern eingekleidet werden. Ich habe Glück, mein eigenes Gewand, das ich mir für Besuch von Hansetagen hab schneidern lassen, geht so durch. Passt wohl für die Kaufmannsrolle, die ich einnehmen soll, gut ins Bild. Schnell noch in die Maske – ein bisschen Puder, ein bisschen dunklere Augenbrauen, die Haare konnten bleiben wie sie sind, da die Kopfbedeckung sie komplett bedeckt.
Bei der ersten Szene stehe ich mit zwei weiteren Kaufleuten an einem Weinfass, und wir sollen uns unterhalten. Wir sehen wohl noch etwas unbeholfen aus. Jedenfalls kommt jemand auf die Idee uns Becher zu bringen. So können wir uns zu prosten und wissen auch gleich wohin mit unseren Händen. Danach schreiten wir dann ins Getümmel, wo Marktfrauen, Kinder, Tiere, Händler unterwegs sind.
Während im Vordergrund der Dreh für eine Sprechszene stattfand, galt es für uns und all die anderen Komparsen das Gewusel auf dem Markt am Hafen darzustellen. Stopp – hießt es dann immer wieder. Alles auf Anfang! Und die gleiche Schrittfolge nochmal. Und – Stopp! –wunderbar gespielt – machen wir nochmal…
Jede einzelne Szene wird fünf, sechsmal gedreht, bis sie im Kasten ist. Mal benötigt es eine andere Kamera-Perspektive. Mal ist es die Kreissäge, von einer Baustelle in der Ferne, die kurz zu hören ist und den Ton stört. Und nicht selten ist es eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt und dadurch ein falsches Licht gibt.
Erstaunlich, wie viele Details eine Rolle spielen, bis die Szene sitzt. Erstaunlich dabei auch, mit welcher Perfektion jede Minisequenz abgedreht wird. Und bemerkenswert, mit welcher Ruhe und Gelassenheit das Filmteam agiert. Jeder kennt am Set genau seine Aufgabe, macht sein Detailwerk und irgendwie passt später alles ineinander.
Nach und nach werden die einzelnen Szenen abgedreht – mal auf der einen Seite des Hafenufers – mal am Kopfende des Hafens. Wir Komparsen dürfen Gewusel, Gewusel, Gewusel im Hintergrund machen. Wir, die drei Kaufleute, gehen dabei weiterhin gemächlichen Schrittes, die Kinder sollen hingegen auch mal rennen und Esel, Pferd und Ziege schreiten immer wieder gemütlich durchs Bild. Nur der Bulle wird mal kurz ungemütlich, nach dem Stich einer Bremse. Beruhigt sich dann aber auch schnell wieder.
Zwischenzeitlich ist es später Vormittag und für das Team ist eine Dreiviertelstunde Pause angesagt. An der „Basis“ hat das Catering-Team ein kleines Mittagsbüfett aufgebaut. Ohnehin ist die Verpflegung an diesem Tag sehr gut geregelt. Es gibt Getränke und Schnittchen zwischendurch. Später auch noch Obst und Süßes.
Am Nachmittag steht die Sonne höher. Das Wetter ist ohnehin der Knaller, ein herrlicher Sommertag, nur das mittelalterliche Gewand ist dafür nicht gerade die optimale Kleidung. Aber man leidet ja schon mal gern für den Sprung in die Filmkarriere… Und jawoll, wer hätte das gedacht, am Nachmittag spielen wir mal wieder das Gewusel. Aber wir dürfen zwischenzeitlich auch mal für eine Szene die Uferseite wechseln. Ganz neue Perspektiven…
Viele Zaungäste sind mittlerweile auch eingetroffen, um sich das mittelalterliche Spektakel, die ganze Filmszenerie und die Aufnahmearbeiten anzuschauen. Viele wissen aus der Zeitung schon genau Bescheid, was an diesen Tagen hier gedreht wird. Andere kommen nur zufällig vorbei. Alle scheinen überrascht, wie echt die Inszenierungen und vor allem die Kulisse wirken. So haben sie Stade noch nicht gesehen.
Deutlich wird für alle an diesem Tag, ob Zuschauer oder Laienspieler, welcher Aufwand für wenige Minuten im Film später erforderlich ist. Welchen Umstand das Team betreibt, um Utensilien für Kulissen heranzuschaffen, die Anzahl der Menschen und Tiere zu koordinieren, welches technische Equipment mit wie vielen Fahrzeugen zum Set gebracht wird. Allein für die szenischen Darstellungen im Dokumentationsfilm wird insgesamt an zehn Tagen in und um Stade gedreht. Vermutlich ebenso lange später in Hamburg, um Gesprächspartner zu interviewen, die im Film zu Wort kommen werden.
Viele, viele Male drehen wir an diesem Nachmittag noch unsere Kreise, unterhalten uns, wuseln durch das Bild – wichtig, dabei nicht in die Kamera schauen… Auch wenn wir uns selbst beim fertigen Film nachher vermutlich nur mit sehr viel Aufmerksamkeit im Hintergrund einzelner Sequenzen wiedererkennen, oder zumindest erahnen werden: am Ende, nach etwa zehn Stunden Dreh, sind wir um eine fette persönliche Erfahrung und einen Tag, der uns lange in Erinnerung bleiben wird, reicher. Und eins wissen wir gewiss, Gewusel können wir gut.
Zu sehen sein wird der Dokumentationsfilm mit dem Titel „Gigant des Nordens“ am Samstag, 28. Mai 2016, um 20:15 Uhr auf ARTE (Wdhlg. am So., 29. Mai 2016, 14:40 Uhr) und am Donnerstag, 29. September 2016, um 20:15 Uhr im NDR-Fernsehen.
Einen Filmbeitrag über die Preview-Veranstaltung in Stade vom NDR-Fernsehen gibt es hier sowie einen Film zum „Making-of“ vom NDR-Hamburg-Journal hier zu sehen.
Weitere Hintergrund-Infos zum Film gibt es hier…