Ich besuche Ulrich Janke. Er ist Schuhmachermeister und arbeitet mit seinem Team im Herzen Wolfenbüttels nicht nur alte Schuhe auf. Hier werden auch individuelle Maßschuhe produziert.
»Auf Schusters Rappen«, »Schuster, bleib bei Deinen Leisten«, »Das sind zwei paar Schuhe«, »Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe.« Während ich mich auf den Weg mache, um eine ganz besondere Adresse in Wolfenbüttel zu besuchen, gehen mir diese Schuh- und Schustersprichwörter durch den Kopf. Obwohl ich nicht auf »Schusters Rappen« unterwegs bin, sondern gemütlich durch die Okerauen vor den Toren Wolfenbüttels radele. Der Weg führt entlang der Oker durch ausgedehnte Wiesen mit altem Baumbestand. Das Flüsschen zieht sich gemächlich durch diesen wunderbaren Grünstreifen, der zu jeder Tages- und Jahreszeit einen speziellen Reiz hat. Bald werden sich hier die alten Bäume neu begrünen und mit den Wiesen farblich wetteifern. Am alten Wasserturm geht es dann rechts ab zum Stadtgraben, der als Kind für mich nur der Ententeich war. Und tatsächlich begrüßen mich die gefiederten Tiere mit lautem Schnattern. Paare, alte und junge, schlendern um diese Oase im Herzen der Lessingstadt und scheinen für einen Augenblick zu verschnaufen und innezuhalten.
Persönliche Begrüßung für jeden Kunden
An meiner alten Schule, auf die schon mein Großvater ging, geht es gleich links ab, auf die Rückseite der Trinitatiskirche zu. Dort am rechten Tor, von vorn gesehen, liegt sie. Die Schuhmacherei Ullrich Janke. Zwei ausgetretene Stufen führen hoch in die Werkstatt, die sich mit den Füßen der Wolfenbüttelerinnen und Wolfenbütteler bestens auskennt. Ulrich Janke ist ein Phänomen. Die meisten seiner Kunden spricht er ohne jedes Zögern mit dem Namen an. Er hört sich geduldig an, wo das Problem liegt und weiß für fast alles eine Lösung. Als ich neulich vor der schweren Entscheidung stand, meine geliebten Wanderschuhe durch ein Hightechpaar zu ersetzen, da nahm er die abgetragenen Teile, die mich so glücklich auf manchen Gipfel getragen hatten, prüfend in die Hand, schaute über seine halbe Brille, wog den Kopf, um lächelnd das erlösende Wort zu sprechen: »Die kriegen wir wieder hin.« Nun stehen sie frisch geputzt und neu aufgebaut im Schuhschrank und warten auf das nächste Ziel.
Ein herrlicher Duft
Heute bin ich ohne eigenes Schuhproblem da. Es ist Mittagszeit und gleich wird etwas Ruhe in die Werkstatt einziehen, die von einem herrlichen Duft durchzogen ist. Bei Schuhen denkt man nicht unbedingt an Wohlgerüche. Hier aber dominiert ein süßlicher, nicht penetranter, angenehmer Geruch. An den verschiedenen Maschinen wird gehämmert und genäht. Im Hintergrund läuft das Radio mit aufmunternder Musik. Ulrich Janke ist noch oben im Büro und unterhält sich mit einer Mitarbeiterin über Rezepte. Ich höre etwas von Salzgurken, Fleisch, Gemüse und Sahne. Als wir an einem Stehtisch den Kaffee umrühren, den der Schuhmacher mitgebracht hat, frage ich neugierig, was das denn für ein Rezept sei. Es ist eine Gurkensuppe, die da so verführerisch lecker beschrieben wurde. Und dabei beantwortet sich gleich meine erste Frage. Die nach der Herkunft. Während die mütterliche Seite aus Wolfenbüttel kommt, hat die des Vaters, man würde heute sagen, Fluchthintergrund. Sie kommt aus Westpreußen und das ist auch die Heimatadresse dieser kräftigen Wintersuppe, von der Ulrich Janke schwärmte (Das Rezept dazu hat uns Ulrich Janke verraten. Es steht am Ende bes Textes).
Der lange Weg nach Wolfenbüttel
Es ist gar nicht so lange her, für die Weltgeschichte kaum mehr als ein Wimpernschlag, da waren es unzählige Deutsche, die aus der Heimat vertrieben wurden und einen Neuanfang machen mussten. Sie konnten wenigstens noch die gleiche Sprache sprechen, als die nach einer langen Reise in einer neuen Heimat ankamen. Darüber würde sich ein heutiger Flüchtling aus Syrien oder dem Irak schon freuen. Damals traf es den Großvater von Ulrich Janke. »Er war bereits als Soldat in Wolfenbüttel gewesen, und das hat ihn dann wohl hierher gebracht«, erzählt der Schuhmachermeister. Hier in Wolfenbüttel arbeitet seine Familie jetzt in der dritten Generation im Schuhmacherhandwerk. Zählt man die Zeit in Westpreußen dazu, so ist es die fünfte, in der die Jankes sich um eines der wichtigsten Utensilien kümmern, die jeder nun einmal braucht, solange er sich auf den Beinen halten kann. Ob es bei dieser Familientradition von Anfang an klar gewesen sei, diesen Beruf zu ergreifen, lautet meine Frage. Ulrich Janke lacht: »Ich hatte mir nach der Schule drei Dinge geschworen. Ich gehe niemals ins Büro. Ich lerne kein Handwerk und ich gehe nicht zur Bundeswehr. Davon habe ich mich an nichts gehalten.« Zunächst machte der Schuhmacher eine Lehre als Großhandelskaufmann, war dann als Zeitsoldat 12 Jahre bei der Bundeswehr im Büro. Und schließlich erlernte er über einige Umwege den Beruf des Schuhmachers. Die orthopädische und die normale Variante.
Keine geraden Wege
Natürlich war das Schumacherhandwerk immer ein Lebensthema für Ulrich Janke. Der Großvater hatte 1947 in Wolfenbüttel eine Werkstatt aufgemacht, als das Leben nach dem brutalen Krieg ganz langsam wieder anfing. Der Vater erlernte den Beruf, arbeitete aber auch lange Jahre als Schmelzer am Hochofen in der Hütte in Salzgitter und Ulrich Janke besorgte, spätestens als er sich seine kaufmännischen Meriten erworben hatte, die Buchführung des Familienbetriebes. In diesen vielen Jahrzehnten habe sich der Beruf des Schuhmachers schon ganz schön verändert, räumt Janke ein. Der Großvater hatte noch viel mit dem Schuhbau zu tun. Dan in den 50er und 60er Jahre verdrängte die industrielle Massenproduktion dann das Handwerk. Bald war lediglich Reparatur angesagt. Und nun erlebt das Schuhhandwerk eine kleine Renaissance. Denn in der Lessingstadt werden in der Schuhmacherei Ulrich Janke wieder richtige Maßschuhe gefertigt – ganz individuell und nebenbei bemerkt auch ästhetisch ein Traum.
Frauen entdecken die Schuhmacherei für sich
Ganz früher habe es kaum Maschinen in der Schuhmacherwerkstatt gebeben, erzählt Janke. Die Arbeit sei ein echter Knochenjob gewesen und in dieser Zeit deshalb hauptsächlich eine Männerdomäne. Das hat sich inzwischen geändert. In seiner Werkstatt ist Ulrich Janke bereits ein »Außenseiter«. Außer seiner Frau, die im Betrieb mitwirkt, sind da noch Emilia Rätscher, wie er eine Schuhmachermeisterin, Laura Grziwotz, eine Gesellin, die sich ebenfalls auf die Meisterprüfung vorbereitet und Sema Jensen. Ulrich Janke ist ein echter Teamplayer. Während des Gesprächs bezieht er seine Kolleginnen immer wieder mit ein, fragt und erkundigt sich. »Allein kann man so etwas gar nicht schaffen«, gibt er freimütig zu. Der Entschluss, selbst erneut Maßschuhe herzustellen sei gemeinsam mit Emilia Rätscher gefallen, die sich heute auch schwerpunktmäßig um diese Arbeit kümmert. Jeder Kunde wird individuell beraten und bekommt seinen speziellen Leisten, auf den der Schuh gebaut wird. Das muss ein besonderes Trageerlebnis sein. Und wenn man bedenkt, dass die Füße täglich die ganze Last tragen müssen, ist so ein Maßschuh schon ein reizvoller Gedanke.
Kurioses aus der Schumacherwerkstatt
Grundlage, so Ulrich Janke, für den Betrieb sei aber natürlich weiterhin die Reparatur. Und da gibt es nichts, was es nicht geben würde. »Ich musste mit meiner Frau zum Beispiel einmal den Reißverschluss eines ABC-Schutzanzuges einnähen. Ich habe das riesige Teil gehalten und meine Frau hat genäht«, erinnert er sich. Ob Kinderwagenverdecke, Kradkombis oder Schultaschen. Bei Janke wird alles gerichtet. Fast alles. Und was man aus Leder so herstellen kann, hier kann es hergestellt werden. »Früher gab es den Altmacher im Schuhhandwerk«, erklärt Ulrich Janke. Jemand, der aus alten Schuhen neue macht. Und da gibt es auch heute ebenfalls beeindruckende Beispiele. Janke holt einen braun glänzenden eleganten Schuh aus der Werkstatt. »Das ist ein ganz hochwertiger Schuh, der uns da gebracht wurde. Pferdeleder. Ein großartiges Modell«, freut sich der Schuhmacher. Der Rahmen löste sich vom Schuh und deshalb musste das Werk noch einmal ganz von vorn gebaut werden. Bei so einer Qualität lohne sich die Arbeit wirklich, erklärt er.
Nachhaltigkeit und Schuhmacherhandwerk
Das Wichtigste, das Leder, wird bewahrt. Das ist nachhaltig im besten Sinn des Wortes. Und um dieses Thema macht sich das Team in der Schuhmacherei auch Sorgen. »Schuhe haben ihren Wert. Natürlich weiß ich nicht, was sich jemand leisten kann und ich möchte deshalb keine Kaufentscheidung kritisieren oder verurteilen. Aber gute Schuhe haben ihren Preis.«, erklärt er. Für 40 Euro könne man keine gesunden Schuhe erwarten. Schließlich sollte man zudem an die Arbeitsbedingungen derjenigen denken, die diese Schuhe hergestellt haben. Wie bei der Kleidung ist das hier stets die Frage, was man moralisch verantworten möchte. Besser sei, ein paar weniger Schuhe zu haben, und diese dafür in einer entsprechenden Qualität. Selbstverständlich habe man auch modische Accessoires im Schuhschrank – für einen besonderen Abend –, wirft Laura Grziwotz ein, die gerade an einer Naht näht: »Aber gerade Schuhe, die man lange trägt, sollten schon eine gewisse Qualität haben.« Seine Mitarbeiterinnen sind für Ulrich Janke der Garant, dass die Schuhmachertradition seines Betriebes nicht ausstirbt. »Hier arbeitet die nächste Generation dieses Traditionsbetriebes«, freut er sich.
Das Schuhmacherhandwerk hat Zukunft
»Das Schuhmacherhandwerk hat auf jeden Fall eine Zukunft«, versichert er nachdrücklich. Natürlich bleibe es ein Nischensegment. Aber Schuhe bräuchten die Menschen immer. Und da das Bewusstsein sich langsam wieder entwickelt, dass eine Wegwerfgesellschaft keine Zukunft hat, ist der Schuhmachermeister verhalten optimistisch. »Im Moment machen wir 20 bis 30 Maßschuhe pro Jahr. Wer weiß, vielleicht wird aus diesem Zusatzgeschäft in naher Zukunft viel mehr«, mutmaßt er. Qualifiziertes Personal hat er in den letzten Jahren selbst ausgebildet hat. Und Wolfenbüttel, so seine Einschätzung, sei ein guter Standort für dieses lebendige Handwerk. »Ich mag diese alte schöne Stadt, in der jeder jeden kennt und die für Besucher so manche Überraschung parat hat«, meint er. Und tatsächlich: Maßschuhe hätte man in Berlin oder München erwartet. Weniger wohl im Herzen der geschichtsträchtigen Fachwerkstadt, in der Vergangenheit und Zukunft sich ergänzen. Vielleicht auch deshalb, weil hier ein bodenständiger Menschenschlag lebt, der »bei seinem Leisten bleibt«. Diese Sprichwörter, die mir vor dem Gespräch durch den Kopf gingen: Immer haben sie doch einen richtigen Hintergrund. Handwerk ist bodenständige Lebenskultur, die bei Schuhmacher Janke gelebt wird.
Schaut den Schuhmachern über die Schultern
Rezept Gurkensuppe nach Westpreußischer Art
- Brühe herstellen
- Schweine- und Rindfleich mit Suppengrün garkochen
- Brühe abseien und beiseite stellen
- erneut Suppengrün in vorhandenen Brühe als Gemüseeinlage mit dem nun
- klein geschnittenen Fleisch in die Brühe geben
- je ein Becher Süße und saure Sahne dazu geben
- ein Glas Salzgurken oder 4-5 große Salzgurken in Scheiben schneiden und ebenfalls dazugeben
Kartoffelklöße herstellen
- Kartoffel roh reiben, Stärke abseien, Feuchtigkeit entweichen lassen
- Kartoffelteig roh gerieben mit Salz, Pfeffer, 1 Ei und Kartoffelmehl vermengen und
- als „Rohen-Kartoffel-Kloß-Teig“ herstellen, wie
- Kartoffelpufferteig aber ohne Zwiebeln
- Salzwasser zum Kochen bringen
- Kloßteig vom Holzbrett in das kochende Salzwasser schaben
- wenn die Klöße gar sind schwimmen sie an der Oberfläche,
- zum Abtropfen herausnehmen
- Klöße nicht in den Topf mit Suppe geben , da sonst die Klöße „schmadderig“ werden.
Die Suppe ist recht reichhaltig und wurde in der Familie, so lange die Großmutter väterlicher Seite oder meine Mutter die Suppe kochen konnte als Art Kultsuppe zu fast jeden Anlaß gekocht. Der Onkel, so heißt es, soll sogar nachts dafür aufgestanden sein um die Suppe zu essen, auch wenn sie kalt war. Die Vorkriegszeit machte es möglich …
In der sog. schlechten Zeit, wurden natürlich nur Knochen abgekocht um den „Geschmack“ zu haben.
Alle Fotos verdanken wir Achim Meurer sowie den Text und Video Andreas Molau. Andreas ist seit Herbst 2016 als Blogger für die Lessingstadt aktiv.