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Bilder aus Buchstaben –  Kunst gegen Vorurteile

Bilder aus Buchstaben: "Das Leben ist Bewegung und die Bewegung ist das Leben.", Shahid Alam, 2016 (c) B.Neuhaus

"Das Leben ist Bewegung und die Bewegung ist das Leben." Shahid Alam, 2016

Shahid Alam ist Kalligraph, Maler und Bildhauer und er sitzt an einem vollgestellten Tisch mit Tuschefedern, Papier und Büchern mitten in seiner Ausstellung, im Forum am Dom in Osnabrück. Shahid Alam ist groß und strahlt für mich die Aura eines weisen Menschen aus. Und er hat sich Zeit genommen, meine bisweilen naiven Fragen zu seiner Kunst zu beantworten.

Worum geht es in einer Ausstellung die „Zuflucht und Hoffnung“ heißt?

Es geht um die Ästhetik der arabischen Schrift. Kalligraphie ist die Kunst des Schönschreibens und die hat sich in der arabischen Welt aufgrund des Bilderverbotes zu besonderer künstlerischer Größe entwickelt. Das sehe ich auf den ersten Blick, als ich das Forum am Dom betrete. Shahid Alam geht es gleichzeitig um mehr: Um den Blick auf „den Anderen“ und darum, im Blick auf den Anderen, „das Eigene“ zu erkennen. Pressetauglich formuliert: es geht um interkulturelle Verständigung und den Interreligiösen Dialog. Die Kalligraphie ist für Alam der Weg. Sie dient als Brücke, die diesen Blick ermöglicht. Damit wird auch der Untertitel dieser Ausstellung klar: „Brückenschläge zum Dialog der Religionen“. Das ist ein perfektes Thema für Osnabrück – und sicher nicht nur für unsere Stadt.

Was gibt’s zu sehen?

Mein Blick bleibt hängen an dem Bild an der Wand gleich neben Shahid Alam‘s Werktisch. Für mich schweben die Schriftzeichen wie Segelschiffe über ein endloses Meer, das in den Himmel übergeht.  „Die Schriftzeichen öffnen sich immer nach oben“, erklärt mir Alam lächelnd. Aha, daher also mein Eindruck von Leichtigkeit.

Shahid Alam 2016 , Foto: B.Neuhaus

Der alte Goethe

In diesem Bild erkennt mein Auge etwas Bekanntes: Neben arabischen auch lateinische Schriftzeichen. „Wer sich selbst und den anderen kennt, wird auch hier erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ Ein fast politisches Statement, das übrigens von Goethe stammt und fast 200 Jahre alt ist. Überhaupt Goethe: Wegen ihm ist Shahid Alam 1973 als 21-jähriger nach Deutschland gekommen. Ihn wollte er studieren – im Original. Dass Alam in Pakistan (Lahore) Deutsch auf dem Goethe-Institut gelernt hat, erscheint dann wie eine Selbstverständlichkeit. „Goethe war mein Wegbereiter in der gedanklichen Bildung“, sagt Alam.

„Orient und Okzident“. Die Kalligraphie in Deutsch von Heidrun Kuretzki ist bei einem Workshop entstanden. Foto: B.Neuhaus

Alles andere als selbstverständlich

Die Ausstellung zeigt einige besondere Exponate auch im Dom. Arabische Schriftzeichen in einer christlichen Kirche: „Ich habe schon erlebt, dass Leute auf dem Absatz kehrtgemacht haben, als sie nur von weitem meine Kunst gesehen haben.“ Natürlich hat Alam die Menschen angesprochen. „Das Problem sind die Vorurteile – und die Bilder, die damit verknüpft sind und ganz tief sitzen“, sagt er. Und: „Meine Kunst arbeitet gegen Vorurteile, denn die sind der Nährboden für alle Konflikte“.

Arabische Kunst in einem katholischen Dom, das ist für Osnabrück eigentlich keine Ausnahmeerscheinung. Das Morgenlandfestival  bringt seit Jahren arabische und christliche Musiker zusammen, im Dom ebenso wie in der benachbarten Marienkirche. Im Dom stößt man jetzt also gleich  am Eingang auf zwei mosaikartige Tafeln aus mundgeblasenem Glas mit den 99 Gottesnamen. Weiter vorne im Seitenschiff beeindrucken mich drei mannshohe rot-goldene Kunstwerke mit Zitaten aus dem Koran, der Bibel und der Thora – freundlicherweise übersetzt.

Und daran merke ich, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, was in den jeweils anderen heiligen Schriften steht. Man kann sich ja fragen, ob man das überhaupt wissen muss. Aber genau dafür arbeitet Alam: Das Eigene im Andern erkennen. So in etwa. Für mich funktioniert das. Vor 10 Jahren hat Alam das erste Mal in einer Kirche ausgestellt: in Aachen und mit Unterstützung des Bischofs. Damals war das noch alles andere als selbstverständlich. Seitdem war er mit bundesweit  rd. 20 Ausstellungen in evangelischen  oder katholischen Kirchen zu Gast. Das ist ein erster und wichtiger Schritt sagt er. Und vielleicht stellt er demnächst in einer Synagoge aus.

Am Schluss sehe ich einfach nur zu…

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Vor meinen Augen entsteht in großer Ruhe und Konzentration ein Kunstwerk, das zugleich ein Statement ist – und natürlich von Goethe :-). Shahid Alam schenkt es mir und ich bin zutiefst dankbar.
Dafür und für unser Gespräch.

Arabische Kalligraphie – und „meine“ persönliche Erinnerung an Shahid Alam. (c) B.Neuhaus

Gut zu wissen: Die Ausstellung läuft noch bis zum 29.09.2016, Di. – So. 10:00 – 18:00 h. Es gibt ein begleitendes Rahmenprogramm, u.a. einen Workshop in arabischer Kalligraphie. Ich weiß auch schon, wer sich dafür anmeldet… Mehr Infos.
Zum Programm des Morgenlandfestival  Osnabrück, das diesen Freitag startet, geht es  hier
Weitere Informationen zum Künstler hier 

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