Sommer, Sonne, Sonnenschein – herrlich: an diesem Samstagabend könnte es auch an der spanischen Mittelmeerküste kaum schöner sein. Diese Sommernacht in Hann Münden.
Um das Wochenende in vollen Zügen genießen zu können, habe ich es mir in Ermangelung eines Balkons oder Gartens auf dem Tanzwerder gemütlich gemacht. Der Tanzwerder ist eine Flussinsel zwischen Werra, Fulda und Weser. Hier steht auch der berühmte Weserstein, der den Zusammenfluss von Werra und Fulda markiert. Wer mehr über die heimische Fischflora erfahren möchte, kann dem hier angelegten Fischlehrpfad Fulda-Werra-Weser folgen. Ich möchte aber heute einfach mal die Seele baumeln und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Es dauert aber nicht lange, da bekomme ich tierische Gesellschaft: ein Schwanenpaar mit Nachwuchs schwimmt die Werra entlang.
Der Tanzwerder ist übrigens auch ein herrlicher Ort für ein kleines Picknick, denn für den nachfolgenden Programmpunkt können wir eine kleine Stärkung gut gebrauchen.
Auf in die Vergangenheit
Da ich noch recht neu in Hann. Münden bin, habe ich mich entschlossen, heute Abend an einer öffentlichen Stadtführung teilzunehmen. Diese finden von Mai bis Oktober täglich um 10:30 und 14:30 statt, samstagabends zusätzlich um 20:30 – mit einem besonderen Highlight: Diese Stadtführung wird von einer originalgetreuen Persönlichkeit aus Hann. Mündens Geschichte begleitet. Heute Abend begrüßt mich die Bürgermeisterfrau Ilsabe Hüpeden in einem prächtigen, dunkelroten Kleid vor dem Rathaus.
Vor rund 400 Jahre haben sie und ihr Mann, der Bürgermeister Christoph Hüpeden, in Hann. Münden gelebt und gewirkt. Die Gruppe ist bunt gemischt: Eingesessene Hann Mündener, die ihrer Enkeltochter die Stadt auf besondere Weise zeigen möchten, interessierte Besucher aus Göttingen oder Kassel und Gäste, die ihren Sommerurlaub hier in Hann. Münden verbringen, haben sich der Gruppe angeschlossen. Zu Beginn der Führung öffnet Ilsabe Hüpeden die Pforten des Rathauses für uns und erklärt uns in der großen Rathaushalle die Eckpunkte der Geschichte Hann. Mündens. Früher wurde die Rathaushalle als Markthalle genutzt und Kophus, also Kaufhaus, genannt. Durch das sogenannte Stapelrecht mussten Schiffer, die Hann Münden auf ihrem Weg von oder zur Nordsee passierten, ihre Waren „stapeln“ und den Mündener Bürgern zum Kauf anbieten.
Von Feuer und Wasser
Als nächstes geht es in Richtung St. Blasius Kirche, hier macht uns Gästeführerin Martina Pakusch, alias Ilsabe Hüpeden, auf die „Streuung“ aufmerksam. Zur EXPO 2000 in Hannover hat sich Hann. Münden mit dem Projekt „Wasserspuren“ beteiligt, hierzu zählen unter anderem von Mündener Bürgern und Schülern gestaltete Bronze- und Pflastersteine, die in das Straßenpflaster integriert wurden und Motive zum Thema Wasser zeigen. Eine Teilnehmerin aus unserer Gruppe gibt sich sogar als eine der Künstlerinnen zu erkennen. Eine Welle hat sie gestaltet, auch Schiffe, Delfine und sogar eine Toilette soll es geben.
Weiter geht es zum Kirchplatz, wo uns Ilsabe auf den 58 Meter hohen Turm der St. Blasius Kirche mit Welscher Haube aufmerksam macht. Hier lebte zu Ilsabes Zeiten der Türmer mit seiner Familie und wachte über die Stadt, um Alarm zu schlagen, wenn „der rote Hahn auf den Dächern tanzte“ und die Stadt niederzubrennen drohte.
Aus dem Leben einer Bürgermeisterfrau
An einem besonders großen und prächtigen Fachwerkhaus, dem Mattenberghaus, verweilt Ilsabe und verrät uns einige Details aus ihrem Alltag. In solch einem großen Fachwerkhaus wohnte oftmals nur eine Generation einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie mit ihren Bediensteten, sodass man sich nur selten per Zufall über den Weg lief. Dafür gab es 15 Gesindekammern für die Bediensteten. Die Älteren wurden nicht selten in ein Armen- und Siechenhaus verfrachtet. Da Ilsabes Mann oftmals mehrere Wochen oder Monate auf Reisen war, um Geschäftsbeziehungen zu pflegen, oblag die Regierung ihr. Das stereotypische Bild der spätmittelalterlichen Hausfrau, die sich vorrangig der Kindererziehung widmete, stimmt also nicht immer.
Stimmungsvoller Abschluss
Zum Schluss führt uns Ilsabe noch am Welfenschloss vorbei, bevor unser Spaziergang auf der Werrabrücke mit einem herrlichen Blick auf ebendieses endet. Inzwischen ist die Dämmerung eingebrochen und auf der alten Steinbrück, über die Passanten schon seit Jahrhunderten in die Stadt ein- und ausgehen, herrscht eine stimmungsvolle Atmosphäre.
Ausklingen lassen meine Begleitung und ich den Abend im Restaurant Ketty mit einem Absacker, den wir mit Blick auf die Mühlenbrücke genießen.
Hier gibt es übrigens auch leckere Pizza- und Pastaspezialitäten. Bei lauen Temperaturen auf der Terrasse sitzen und mit dem Kellner scherzen – hier fühlen wir uns fast wie in Italien. Naja, zumindest befinden wir uns im Italien Niedersachsen, Hann. Münden liegt ja schließlich auch im Südzipfel unseres schönen Bundeslandes.