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Kommt mit auf die Flucht im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven

Hoffnung und Angst sind die beiden Emotionen, die ich im Deutschen Auswandererhaus am stärksten spüre: Die Hoffnung auf ein besseres, friedlicheres, sicheres Leben und die Angst vor einer aktuell bedrohlichen Situation. Dass dieses Museum seinen Besuchern so unter die Haut geht, ist für mich eine seiner größten Leistungen. Eine andere: neugierig zu machen auf diejenigen, die fliehen und auswandern. Deren Schicksale möchte ich in der Realität nicht teilen, wohl aber bei einem Rundgang durch das Deutsche Auswandererhaus.

Da schlüpfe ich gespannt in ihre Biografien und folge wissensdurstig den Lebensspuren, ausgestattet mit einer Chipkarte und einer Infobroschüre. Diesmal denen von Gordana und Zoran Nikolic, die 1998 vor dem Krieg in Serbien nach Deutschland fliehen konnten.

Wie unterschiedlich das Thema „Flucht“ im Laufe der Zeiten behandelt wurde, kann im Deutschen Auswandererhaus an vielen Stellen nachvollzogen werden. Screenshot der Website www.dah-bremerhaven.de/thema-flucht

Deutsches Auswandererhaus stillt Informationsbedarf

„Flucht“ ist dieser Tage eines der meistverwendeten Begriffe und fassungslos schauen wir auf die Bilder derer, die alles hinter sich lassen mussten. Neben der reinen Berichterstattung über das aktuelle Geschehen erfolgt in manchen Medien auch die historische Einordnung der Situation – häufig sprechen für solche Beiträge die Experten des Deutschen Auswandererhauses aus Bremerhaven. Für interessierte Besucher gibt es auf der Website sogar einen eigenen Bereich und im Museum selbst kann man ein ebenso schön gestaltetes Faltblatt zum Thema „Flucht“ mitnehmen. Es weist gezielt auf historische und aktuelle Flüchtlingsbewegungen hin, über die im Deutschen Auswandererhaus informiert wird.

Jede Akte ein menschliches Schicksal. Das Deutsche Auswanderhaus, das seit 2012 auch die Einwanderung nach Deutschland thematisiert, bringt die Dinge auf den Punkt und berührt dadurch seine Besucher. (c) Dörte Behrmann

Die Fluchtgeschichte von Gordana und Zoran

Als Beispiel für serbische Bürgerkriegsflüchtlinge ist auch die Lebensgeschichte von Gordana und Zoran Nikolic aufgeführt. Ihnen begegne ich im „Frisörladen“ das erste Mal – auf ihrem Hochzeitsfoto. Glücklich schauen die beiden in die Kamera – nicht ahnend, wie schnell ihr Leben aus den Fugen geraten wird. Als sie heiraten ist Nikolic 22 und Gordana 20 Jahre jung, zwei Jahre kennen sie sich da schon. Gordana arbeitet als Bürokauffrau, da sie das Romanistikstudium aufgegeben hat.

Auch Zoran hatte beruflich andere Pläne, er wollte eigentlich Schauspieler werden, beginnt dann ein Wirtschaftsstudium und wechselt dann zeitnah zur Eheschließung sogar zur Militärakademie. Die damit einhergehende finanzielle Sicherheit reizt beide, so lerne ich bei dem Rundgang. Außerdem stellt ihnen die Armee eine eigene Wohnung – nachvollziehbar, wie wichtig dem jungen Paar dies ist. 1984 kommt ihre Tochter Katarina zur Welt, bis 1991 ist die Welt eigentlich total in Ordnung, obwohl Zoran im slowenischen Maribor, und damit weit weg von Frau und Kind, stationiert ist.

Persönliche Erinnerungen wie dieses Foto, allgemeine Schaubilder zur Geschichte, Landkarten und Hörstationen vermitteln den Besuchern die 15 Fluchtgeschichten von Zuwanderern nach Deutschland. (c) Dörte Behrmann

Fluchtursache: Bürgerkrieg

Doch dann bricht das friedliche Zusammenleben im Vielvölkerstaat Jugoslawien auseinander und Zoran und Gordana geraten in den Strudel der kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Teilrepubliken streben ihre Unabhängigkeit an, ehemals geduldete Minderheiten werden verfolgt und plötzlich durchziehen Grenzen das Land. Auch Zoran muss kämpfen – sein Dienstausweis im Deutschen Auswandererhaus zeigt, dass er sogar Offizier geworden ist.

„Reisebüro“ heißt diese Station, es gibt im Bereich Migration noch den „Lebensmittelladen“, die „Eisdiele“, den „Frisörsalon“, das „Antiquariat“, den „Fotoladen“ und das „Kaufhaus“. (c) Dörte Behrmann

Alles hinter sich lassen

1998 beschließt die Familie Nikolic zu fliehen. Über ihren konkreten Beweggrund finde ich leider nichts in der Ausstellung, auch wenn die individuelle Fluchtgeschichte in einer Hörstation vermittelt wird. Das ist schade, denn zu gern hätte ich gewusst, was für den Berufssoldaten den Ausschlag gegeben hat, die Wohnung, die Arbeitsstellen, Verwandte und Freunde – die Heimat eben – zu verlassen.

Berührende Inszenierung

Das Deutsche Auswandererhaus thematisiert den Fluchtweg passenderweise in der Station „Reisebüro“ – wie alles im Bereich Migration als Teil einer Ladenpassage im Design von 1973. Das rote Vitrinen-Tischchen am rechten Rand des Bildes oben enthält übrigens einige Fluchtgegenstände der drei Serben, wie selbstgestrickte Socken oder den Schlüssel ihrer Wohnung. Als ich im kleinen Begleitheft lese, dass sie sogar die Wohnungstür abgeschlossen haben, obwohl sie wissen, dass sie nie mehr dorthin zurückkehren werden, bekomme ich einen Kloß in den Hals.

Authentische Erinnerungsstücke beweisen, dass im Deutschen Auswandererhaus echte Lebensgeschichten erzählt werden. Das ist eine der Stärken des „Museum of the Year 2007“. (c) Dörte Behrmann

Der wird noch größer, als ich im „Kaufhaus“ an einer Puppe Zorans Fluchtbekleidung entdecke: Ein weißes T-Shirt, einen braunen Anorak und sein „Militärschiffchen“ aus Baumwolle. Materiell nicht viel wert, hat er die Klamotten als Erinnerung aufgehoben.

Endstation Niedersachsen

Raska, Dortmund, Oldenburg und schlussendlich Cuxhaven an der Nordseeküste sind die Stationen der Flucht. Abenteuerlich! Was würde mich dazu treiben, mein Zuhause zu verlassen? Was würde ich mitnehmen? Kurz halte ich auf meiner Tour inne. Na klar, meinen Hund, genauso wie es Familie Nikolic getan hat, wie mir beim Blättern in dem schönen Fotoalbum auffällt. „Dora“ heißt das Hundchen, das Gordana bei der Flucht unter ihrer Jacke versteckt hält. Zurücklassen ging nicht, das verstehe ich gut.

Ganz nah an die Zuwanderer kommt, wer sich mit ihrem Fotoalbum beschäftigt. (c) Dörte Behrmann

Lernen fürs Heute

Insgesamt eine Stunde verbringe ich Seite an Seite mit Gordana, Katarina und Zoran. Ihnen gelingt es glücklicherweise dem Krieg in ihrer Heimat zu entfliehen, sich in Sicherheit zu bringen. 1998 stellen sie einen Asylantrag, erst zwei Jahre später erhalten sie die Arbeitserlaubnis. Zoran hat anscheinend seinen Traum von der Schauspielerei aufgegeben. Er arbeitet mittlerweile in Cuxhaven bei einem Marine- und Yachtausstatter. Ein Biosupermarkt ist Gordanas berufliche Umgebung und Katarina hat jetzt das Gymnasium beendet.

Wahrscheinlich werde ich ihnen niemals persönlich begegnen, aber berührend nah bin ich ihnen Dank ihrer im Deutschen Auswanderhaus nachgezeichneten Fluchtgeschichte dennoch gekommen. Das hilft mir, in der aktuellen Fluchtbewegung den menschlichen Blick für die einzelnen Schicksale zu bewahren. Und so wird es wohl allen Besuchern dieses bewegenden und wichtigen Museums gehen.

Mit jedem „Telefongespräch“ erfahren die Besucher Hintergründe über die unterschiedlichen Migrationsbewegungen in der Geschichte. Die Telefone und deren Klingeln sind übrigens echt. (c) Dörte Behrmann

Das Deutsche Auswandererhaus im Internet: www.dah-bremerhaven.de

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