Was manch einem locker über die Lippen kommt, löst bei anderen ein irritiertes Schulterzucken aus. Die Rede ist von Plattdeutsch oder auch Niederdeutsch. Im Mittelalter war Plattdeutsch in Norddeutschland nicht nur die wichtigste gesprochene, sondern auch Schriftsprache. Plattdeutsch ist nicht platt und kennzeichnet nicht die norddeutsche, flache Landschaft. Der aus dem 16. Jahrhundert stammende Begriff bedeutete viel mehr verständlich, vertraut, deutlich, rund heraus. Und wer schon einmal Plattdeutsch gehört hat, dem kommt das „rund heraus“ sicher bekannt vor. Selbst Unglücksnachrichten oder anmaßende Ansprache klingt nicht so dramatisch oder frech wie in Hochdeutsch. „Du Töffel“ klingt doch charmanter als „Du Dummkopf“ und „Se heppt nix tu bugen un to breken“ besser als „sie müssen Hunger leiden“, finde ich.
Platt is för de Plietschen (Platt ist für die Schlauen)
Platt, wie Plattdeutsch abgekürzt auch genannt wird, galt seinerzeit als „gutes Deutsch“. Es war die Sprache der einfachen Bevölkerung entgegen der nicht verständlichen lateinischen Gelehrtensprache. Im 17. Jahrhundert änderte sich die Meinung und Platt beziehungsweise Niederdeutsch wurde mit sozial niedrig gleichgestellt. Im 19. Jahrhundert nahm Platt wieder an Beliebtheit zu. Platt beschreibt seitdem die Dialekte, die in Westmittel- und Norddeutschland gesprochen werden. Und die Unterschiede zwischen den Regionen können gravierend sein. Da meine Familie nicht von hier stammt, sprach bei uns zu Hause niemand Platt. Allerdings kann ich es, wenn ich mich ein oder zwei Minuten reingehört habe, gut verstehen.
Ik verstah di nich (Ich verstehe Dich nicht)
Anders erging es mir allerdings einmal bei einem Besuch in Jork im Alten Land. Der Großvater der Familie wollte einen Smalltalk mit mir führen. Das ging allerdings ordentlich nach hinten los – dat ging in de büx. Obwohl nicht einmal hundert Kilometer von Bremerhaven entfernt, wird dort ein ganz anderes Platt gesprochen. So unterschiedlich zu unserem, dass ich kein einziges Wort verstanden habe.
Kannst keen Platt, fehlt di wat! (Kannst Du kein Platt, fehlt Dir etwas)
Wohlhabende Hansekaufleute reisten im Mittelalter viel und betrieben Handel auf Plattdeutsch, was zur dominierenden Sprache wurde. Als die Blütezeit der Hanse vorbei war, verlor auch die plattdeutsche Sprache ihren Stellenwert und erlitt einen Prestigeverlust. Platt oder Niederdeutsch blieb jedoch weiterhin die Alltagssprache der ländlichen Bevölkerung. Gebildete und Studierte wandten sich immer mehr dem Hochdeutschen zu, die Plattdeutsch auch in der Schriftsprache ersetzte. In Norddeutschland musste die hochdeutsche Schriftsprache wie eine Fremdsprache gelernt werden. Sie gilt seither als die „beste“ und „reinste“ Ausspracheform des Hochdeutschen.
Dat löppt sik allus torecht! (Das läuft sich alles zurecht)
Heute ist Plattdeutsch fast komplett aus der Öffentlichkeit verschwunden. Kein Wunder, denn nur etwa drei Prozent der Bevölkerung sprechen die alte Sprache noch. Grund genug, dass Schulen, Künstler und Theater entgegensteuern und die Sprache erhalten wollen. Auf den Stundenplänen einiger Schulen steht Plattdeutsch heute als Unterrichtsfach. Jährlich finden sogar Plattdeutsche Wettbewerbe statt. Und dass Plattdeutsch keine „tote“ Sprache ist, beweist die Tatsache, dass aktuelle Themen ins Vokabular eingezogen sind. So heißt „Ich schicke Dir nochmal den E-mail-Anhang“ auf Platt „Ik schick di nochmal dat Bummelbian“.
De Unnersöök (Die Forschung)
Das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas in Marburg ist eines der wichtigsten Institutionen zur Dialektforschung. Hier lautet die Definition für Dialekt: eine eigene, lokal begrenzte Sprache mit eigener Grammatik. Dazu zählen neben Plattdeutsch auch Friesich, Sächsisch, Fränkisch und Bairisch.
Geiht nich gifft ‚t nich (geht nicht, gibt es nicht)
Aber auch Künstler*innen liegt Platt am Herzen. Sie wollen die Sprache vor dem Vergessen retten. Die beliebte Sängerin Ina Müller, die gebürtig aus Köhlen bei Bremerhaven stammt, ist mit plattdeutschen Leserreisen up’n Swutsch (unterwegs). Die Kultband Torfrock rockt auf Platt und der charmante Yared Terfa Dibaba bezirzt sein Publikum auf Platt. Das Ohnsorg Theater sorgte immer wieder für ausverkaufte Veranstaltungen und galt jahrelang mit seiner TV-Ausstrahlung als „Straßenfeger“. Das Bremerhavener Blancke-Trio lädt mit seinem plattdeutschen Repertoire zum Mitschunkeln ein, im Podcast von logbuch-bremerhaven.de könnt Ihr plattdeutsch hören und NDR-Radio sendet plattdeutsche Berichte und Reportagen.
In de Glotz kieken (fernsehen)
Selbst auf Youtube begeistern bekannte Darsteller wie Keno Veith ein breites Publikum. Plattdeutsche Lektüre ist im Buchhandel zu finden. In „Mudder, Mudder, de Melk kokt över!“ bringt die Bremerhavenerin Hanna Wolff Kinderspiele und Geschichten zum Besten. Und wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, der kann sich täglich Plattdeutsch durchs Jahr begleiten lassen mit dem Kalender „Sabbel nich, das geit“.
Schmacksche (Kostprobe)
Hör sid nu neeschierig (Ihr seid nun neugierig) un wult it geern weten (und wollt es gern wissen). Beim Spazierengehen entlang des Neuen Hafens könnt Ihr Platt hören. Die Durchsagen auf der Schleuse werden auch auf Platt angesagt. Oder besucht, sobald es Coronabedingt wieder möglich ist und wir keinen Snutenpulli (Mund- und Nasenschutz) mehr tragen müssen, unser Stadttheater Bremerhaven. Hier finden in der Saison regelmäßig unterhaltsame Aufführung der Niederdeutschen Bühne statt. Ich bin sicher, dass es Euch gelingen wird, die Plattdeutsche Stücke zu verstehen. Also bit anner Maal! Maak’t good! (Also bis bald, macht’s gut).