„Cool“, sagt Julia Draganovic erleichtert und dankbar zu ihren Mitarbeitern, die gerade noch rechtzeitig zur Ausstellungseröffnung am nächsten Morgen für die richtige Optik am Eingang der Kunsthalle gesorgt haben. „IRWIN – Wo denkst Du hin?!“ steht da in großen Lettern und die Tür öffnet sich, als wir näher treten. Dahinter: die Kunsthalle Osnabrück, Ausstellungsraum in einer ehemaligen Dominikanerkirche, etwa 700 Jahre alt. Nach den Worten des Stadtmarketings „eine der schönsten Ausstellungshallen Norddeutschlands für moderne Kunst“.
Die Kunsthalle hat ihr „Gesicht“ verändert
Ich war zugegebenermaßen schon lange nicht mehr da, jedenfalls nicht, seit Julia Draganovic dort die Leitung übernommen hat. Und das ist zwei Jahre her. Seitdem hat sich die Kunsthalle ziemlich verändert wie ich sofort feststelle. Der erste Eindruck: Die Helligkeit im Kirchenschiff. Gebrochen durch die Bleiglasfenster wirft die Sonne Lichtspiele auf die weißen hohen Wände – die werden dadurch selber zum Kunstwerk.
Ein durchaus gewollter Kontrast sind die roh gezimmerten Holzbänke, die entlang des Chorraumes aufgestellt sind. Sie wirken irgendwie abgenutzt. Ich erfahre, dass es sich bei diesen Bänken um „Upcycling“ handelt – durchaus dem Sparzwang geschuldet. Die Bänke waren mal Wände. Vor Julia Draganovics Zeiten unterteilten sie als Ausstellungs-Nischen den Kirchenraum. Tapetenreste sind – ganz gewollt – noch hier und da sichtbar. Auf so einer – garantiert splitterfreien – Bank sitze ich nun und lasse mir IRWIN von Julia Draganovic, quasi aus erster Hand, erklären. Ich gebe zu, bei moderner Kunst bin ich dankbar für Erläuterungen und andere Vermittlungsangebote.
Wer oder Was ist jetzt eigentlich IRWIN?
IRWIN also: Das slowenische Künstlerkollektiv besteht seit 32 Jahren aus fünf Männern, heute alle Mitt-Fünfziger. Im damaligen Jugoslawien haben sie sich als Künstlergruppe im Untergrund zusammengetan und treten seitdem als Einzelkünstler nicht mehr in Erscheinung. Die Signatur ihrer Werke konsequent: IRWIN. Es gibt Künstlergruppen, da verändern sich die Mitglieder, die fallen auseinander, gründen sich neu, zerstreiten sich. IRWIN arbeitet bis heute in gleicher Zusammensetzung.
Vielleicht, weil die fünf Künstler eine sehr wechselvolle gemeinsame Geschichte teilen: Diktatur unter Tito, Zerfall und Zersplitterung des Landes, neue Unübersichtlichkeit und Verlust des „eigenen“ Landes. Irgendwie ziemlich aktuell. Als Antwort darauf und als Protest gegen allen Nationalismus haben sie Neue Slowenische Kunst-„Staat in der Zeit“ gegründet (NSK – State in Time). Ein zugegebenermaßen abstraktes Staatengebilde, das ohne geografischen Raum und politisches System auskommt, aber offen ist für jeden. (Derzeit sind es rd. 15000 NSK-Bürger, überwiegend Künstler).
Pass-Stelle in der Kirche
Den Pass für NSK-„State in time“ bekommt man übrigens direkt in der Ausstellung an dieser Pass-Station. Sie steht genau dort, wo sich früher in der Kirche der Lettner oder die Chorschranke befand, die das „gemeine“ Volk von den Mönchen im Chorraum abtrennte. IRWIN hinterfragt Machtstrukturen und ihre Repräsentationsformen. Erstaunlicherweise gelang den fünf Künstlern in den letzten Jahren trotzdem immer wieder eine künstlerische Kooperation mit Soldaten – in Osteuropa bzw. auf dem Balkan. Unten auf Foto stellen georgische Soldaten die Frage „Was ist Kunst?“.
Wie kriegt IRWIN die Soldaten dazu bzw. die Erlaubnis der staatlichen Stellen? fragt man sich. Viel Überzeugungsarbeit, die nicht immer einfach gewesen sei, erklärt mir Julia Draganovic. Und „die Masche“ von IRWIN sei halt: Sie über-erfüllen Symbole und bestimmte Muster. Und führen diese damit zugleich ad absurdum.
Ikonen – was war das nochmal? Und wie passt eine Tasse Kaffee dazu?
Nochmal zurück zur trennenden Pass-Station: Logisch, dass die religiösen Ikonen der Künstlergruppe IRWIN im Chorraum hängen, die säkularisierten Ikonen im Hauptschiff. Überhaupt Ikonen – sie sind der Zugang zu IRWINs Bildern und zugleich ein Mittel der Überzeichnung. Kurz mal Wikipedia befragen: Ikonen stehen für Gottes- oder Heiligendarstellung; in bestimmten Kontexten auch für „Leitbild“ und „Idol“ (das „icon“ funktioniert ja auch in der digitalen Welt als Zeichen bzw. Piktogramm :-)). Hinzu kommt, dass die Autorenschaft bei Ikonen nicht erkennbar ist – passt also auch zu IRWIN. IRWIN arbeitet mit sechs Ikonen, die immer wieder auftauchen. Ich greife – aus persönlicher Vorliebe – mal die „Tasse Kaffee“ heraus, eine säkularisierte Ikone also.
Die Geschichte dazu geht so: In Ljubljana, der Heimatstadt von IRWIN, trafen verschiedene (Kaffee-)Kulturen aufeinander. Der türkische Mokka, die Kaffeehäuser Wiens und der italienische Espresso. Die Kaffeetasse steht also für den Balkan als Treffpunkt verschiedener ost-westlicher Kulturen, Religionen, Bräuche. Deshalb taucht sie mal gemalt auf, mal wird sie aus Omas Mokka-Tassensammlung herausgenommen und auf ein Kreuz geklebt. Für Julia Draganovic übrigens ist die Tasse Kaffee heute zu einer Art Universal-Ikone geworden – Dank Starbucks.
Nicht „Steiff“ sondern „Urslua….“
Ich treffe auf vermeintlich Bekanntes: Den süßen Teddybären. Auch er eine Ikone, verniedlicht als „Ursula Noordung“ vom lat. „Bären“ abgeleitet. Auch der „Teddy“ hat eine Geschichte hinter seinem Namen, die mit einer Bären-Rettungslegende des amerikanischen Präsidenten Theodor (Teddy) Roosevelt zusammenhängt. Aber die erzähle ich hier nicht.
Deutlich wird aber: IRWIN arbeitet mit bekannten Symbolen, versetzt sie in neue Kontexte und führt uns an der Nase herum, irritiert bewußt. Das funktioniert gut. Zum Beispiel bei „The Mystery oft the Black Square“. Da ertappe ich mich selbst beim „Wo denkst du hin?!“
Ein schwarzes Quadrat also
In dem schwarzen Quadrat, das sich die fünf IRWIN-Künstler auf dem Foto mitten ins Gesicht montiert haben, sehe ich sofort ein Hitlerbärtchen. Und liege völlig daneben. Es ist DAS schwarze Quadrat des Künstlers Kasimir Malewitsch. Ebenfalls so eine Ikone von IRWIN. Und die findet sich auch gleich fünf mal auf der Armbinde des Teddybären (s.o.) – als (Rettungs-?) Kreuz. Oder bei der Installation „Black Square on Red Square“, die in der Ausstellung als Video gezeigt wird: 1991 entfaltete die Künstlergruppe unangemeldet auf dem Roten Platz in Moskau ein überdimensioniertes schwarzes Quadrat aus Stoff. Sicherheitshalber ließen alle Beteiligten ihre Pässe zu Hause. Passiert ist den Künstlern damals nichts, es war die Ära Gorbatschow.
Der Raum, um (sich) selber zu fragen
Ich habe gelernt: IRWIN spielt mit Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissenen werden, die ruhig empören und gerne verwirren wollen. Auf jeden Fall rufen die Bilder und Installationen zum genauen Hinschauen und zur Selbstbefragung auf: Wo denke ich eigentlich hin? In welche Richtung? Von welchen Bildern lasse ich mich leiten und warum? Nach dem Gespräch mit Julia Draganovic – die noch 1000 Dinge im Vorfeld der Eröffnung erledigen muss – sitze ich eine Weile auf den „upcycling-Bänken“, da, wo früher Mönche im Chorgestühl Platz genommen haben. Für manche sei es „der schönste Ort in Osnabrück“ hatte Julia Draganovic eingangs gesagt. Anderen ist er zu puristisch. Gewiß eine Frage des Geschmacks, des Sehens und des Denkens. Denke ich…vor mich hin. Und dafür ist das ein wunderbarer Platz.
IRWIN und Venedig…
…das ist IRWINS Traum: 2017 auf der Biennale hätten sie gern für ihren „Staat in der Zeit“ einen eigenen „Pavillion“ . 1993 waren sie das erste mal da – ohne einen Pfennig in der Tasche – sie schliefen auf den Stufen von Santa Lucia. 2003 sind sie wieder hingefahren und haben ihre erste Begegnung mit Venedig vor 10 Jahren nachgestellt und festgehalten. Das Foto wurde Titlmotiv ihrer Ausstellung.
Die Ausstellung „IRWIN: Wo denkst du hin?!“ ist noch bis zum 10. Januar 2016 in der Kunsthalle zu sehen. Sogar die Pass-Station hat Freitag nachmittag und Samstags geöffnet – also zu gar nicht typischen Behördenzeiten. Weitere Infos:Kunsthalle Osnabrück und http://www.follow-irwin.net