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„Film ab“ im Méliès

„Es ist ein Traum geworden“, sagt Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler am Eröffnungsabend, „das Kino in der ehemaligen Baptistenkirche ist unendlich schön.“ Kaum eine Stunde zuvor konnte ich mir bereits selbst ein Bild von unserem brandneuen Lichtspieltheater Méliès machen und muss sagen: der OB hat so Recht. Dabei war es von der ersten Idee bis zum fertigen Filmtheater eine lange Reise. Länger als „Die Reise zum Mond“, dem wohl bekanntesten Werk von Filmpionier Georges Méliès, der dem Kino seinen Namen verleiht, und dessen Meisterwerk zur Eröffnung in einer seltenen handkolorierten Fassung gezeigt wurde. Aber halt, der Reihe nach. Telke Reeck, Geschäftsführerin der Film- und Kinoinitiative Göttingen e.V. (FKI), die das Méliès betreibt, hat mir das cineastische Kleinod gezeigt.

Eröffnungsfeier: OB Köhler spricht zu den Gästen.
Foto: Christoph Mischke

Als die Bilder laufen lernten

Wer den schweren weinroten Vorhang neben dem alten 35-Millimeter-Projektor am Eingang zum Kinosaal beiseiteschiebt, fühlt sich direkt zurückversetzt in die Zeit als die Bilder laufen lernten. So ungefähr muss es ausgesehen haben, als Filmpioniere wie Georges Méliès oder seine Zeitgenossen, die Brüder Lumière, das Publikum zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihren Cinématographen begeisterten. Die ersten Kinos entstanden ja aus Theater- oder Varietébetrieben und besaßen damals auch einen Rang, sprich: eine Empore mit weiteren Sitzplätzen. So ist es auch in Göttingens jüngstem Programmkino. Dort, wo ehemals die Kirchenorgel ihren Platz hatte, können jetzt Kinobesucher selbigen nehmen.

In der Dämmerung: Altbau mit Anbau.
Foto: Christoph Mischke
Startet durch: FKI-Geschäftsführerin Telke Reeck.
Foto: Christoph Mischke
Filmpionier und Namensgeber: Georges Méliès.
Foto: Christoph Mischke

Originale Kirchenkuppel

106 brandneue Kinosessel laden die Gäste zum Kinogenuss ein und ihr leuchtendes Rot findet sich an der hölzernen Decke wieder. Es ist übrigens die originale Kirchenkuppel des Gotteshauses, das im August 1906 eröffnet wurde. „Die hat ein Handwerker in mühevoller Arbeit abgeschliffen, bevor sie danach neu lackiert wurde“, berichtet mir Telke. Genauso wurde mit der gesamten Innenarchitektur verfahren. Die tragende innenliegende Fachwerkkonstruktion mit ihren Balken und Bögen wurde ebenfalls mit großem Zeitaufwand und viel handwerklichem Geschick restauriert. Sie kontrastiert die Rottöne in einem hellen Grau.

Der Kinosaal: ein Traum in Rot und Grautönen.
Foto: Christoph Mischke
Tradition trifft Moderne: neuste Technik im Méliès.
Foto: Christoph Mischke

Soundanlage in Dolby 7.1

Mich beschleicht ein äußerst angenehmes nostalgisches Gefühl und ich kann mich an so viel Liebe zum Detail überhaupt nicht sattsehen. Was der Gast nicht sieht, aber defintiv hört, ist die brandneue Soundanlage. In Verbindung mit den gedämmten Wänden sorgt sie für den gewünschten trockenen Kinoklang. „Dolby 7.1, state of the art“, kommentiert Telke knapp und lächelt.

Relikt: alter 35-Millimeter-Projektor im Foyer.
Foto: Christoph Mischke

Umbau hatte es in sich

„Zwei Jahre hat der Umbau des durch jahrzehntelange Nichtnutzung arg verfallenen Gebäudes gedauert“, sagt Telke. Wasser war über die Jahre eingedrungen, Außenwände waren verschmiert, Türen verrottet und Fensterscheiben waren eingeworfen worden. Ich erinnere mich gut, an das Jammerbild, das der Kirchenbau schon im Vorbeifahren abgab. Und der Umbau hatte es in sich. Alte Geschossdecken wurden entfernt und neue Betondecken gegossen. Neue Mauern wurden hochgezogen und in der Rückwand des Gebäudes entstanden Durchbrüche für das neue Kino-Bistro. Das Gebäude wurde um rund vier Meter verlängert, um Raum für das Café, die Küche und den Kassenbereich zu schaffen.

Lichtdurchflutet: der angebaute Eingangsbereich.
Foto: Christoph Mischke
Wissenwertes: Infotafeln und Filmplakate.
Foto: Christoph Mischke

Highlight ist das Türmchen

Neben dem ehemaligen Gotteshaus wurde ein Anbau für den ansprechenden Eingangsbereich errichtet, in dem sich jetzt die ehemalige Außenmauer befindet. Das schafft, besonders nachts, reizvolle Ein- und Ausblicke für die Besucher. Mein persönliches Highlight ist allerdings das Türmchen der Kirche. Im Zuge der kompletten Dachsanierung wurde die baufällige alte Kirchenspitze abgebrochen und mit großem Geschick ein völlig neuer Turm errichtet. Silbern glänzend thront er nun, weithin sichtbar, über dem Kirchenkino und setzt dem Méliès im wahrsten Sinn des Worts die Krone auf. Dank des unermüdlichen Einsatzes und der rund zehn Jahre währenden, engagierten Beharrlichkeit des Vereins der Göttinger Filmkunstfreunde, der Verantwortlichen der Stadtverwaltung sowie des Investors, verfügt die Stadt nun über ein Filmtheater, das seinesgleichen sucht.

Reizvolle Ansicht: das Méliès zur blauen Stunde.
Foto: Christoph Mischke

Jetzt aber wirklich

Telke Reeck und der Betreiber des Bistros, Wolfgang Cichon, starten ihren Betrieb zu einem Zeitpunkt, der ungünstiger kaum sein kann. Ursprünglich war die Eröffnung für April dieses Jahres geplant, wurde aber coronabedingt verhindert. „Wir liefen hier wie die Duracell-Häschen auf Hochtouren“, beschreibt sie die Betriebsamkeit, „und wurden dann kurz vor knapp auf Null heruntergebremst.“ Irgendwann hatte Telke dann aber die Nase voll und beschloss die Entscheidung zur Eröffnung am 3. September. „Dieses ständige Warten im luftleeren Raum hat einen ja wahnsinnig gemacht“, sagt sie rückblickend. „Jetzt aber wirklich!“ stand dann auch etwas trotzig auf den Einladungskarten.

Wie im Theater: gute Aussicht vom Rang.
Foto: Christoph Mischke

Klassisches Arthouse-Kino

„Natürlich rechnet sich das für uns überhaupt nicht“, stellt die Geschäftsführerin klar, denn sie kann, je nach Einzel- oder Gruppenreservierung nur 22 bis maximal 35 Plätze besetzen. Alles unter Einhaltung eines ausgeklügelten Hygienekonzepts. „Aber“, sagt sie, „wir sind Kinomacher aus Passion, wir brauchen das und ohne Kultur geht es einfach nicht.“ Während das Lumière, das zweite von der FKI betriebene Programmkino in Göttingen, zukünftig etwas experimenteller aufgestellt sein und ein jüngeres Publikum ansprechen wird, widmet sich das Méliès ganz dem klassischen Arthouse-Kino. „Das ergänzt sich hervorragend“, sagt Telke.

Mit Lift: der barrierefreie Eingangsbereich.
Foto: Christoph Mischke

Spannende Kooperationen

Mit den benachbarten Kultureinrichtungen des Jungen Theaters und des KAZ hat Telke schon wunderbare Einfälle für zukünftige gemeinsame Projekte in petto. „Da dürfen die Göttinger durchaus gespannt sein“, verspricht sie. Unter dem Motto „Mehr als Kino“ gibt es auch viele Ideen für mögliche Kooperationen mit dem Göttinger Symphonie Orchester, dem Literarischen Zentrum oder der Göttinger Händelgesellschaft. „Wir sind neugierig und für alles offen“, sagt Telke und das Glänzen in ihren Augen verrät mir: Da geht noch einiges.

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