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Ein Stück Italien im Norden

Er ist schon ein Hingucker: Carlo sitzt direkt vor mir – im traditionellen Streifenshirt, woran jeder Gondoliere aus hundert Meter Entfernung zu erkennen ist. Nur begegnet man ihnen selten in nördlichen Gefilden Deutschlands. Carlo ist schon deshalb etwas Besonderes, weil er nicht, wie seine „Artgenossen“, seine Runden im venezianischen Wasserstraßengeflecht dreht, sondern auf dem Burggraben, der die malerische Altstadt vom niedersächsischen Stade umgibt.

Carlo – der Gondoliere. Ein Strahlemann durch und durch. © Janina Possel

Dabei dürfte er sehr wohl auch in Venedig schippern. Er hat dort seine Ausbildung als Gondoliere erfolgreich abgeschlossen und auch seine Gondel stammt original aus der Lagunenstadt.

Carlo, der mit bürgerlichem Namen Uwe Kunze heißt, hat sie 2009 Roberto Tramontin, einem der letzten Gondelbauer Venedigs, abgekauft. Damals war sie 25 Jahre alt. Kein Alter für eine gut gepflegte Gondel, erklärt er mir: „Denn sie stammt noch aus Vollholz.“ Zwar keine Rarität in Venedig, aber die so ausgestatteten Boote werden seltener. Bereits zwei Drittel der in Venedig auf den Kanälen fahrenden Gondeln sind aus dem preiswerteren Sperrholz hergestellt.

Roberto Tramontin (rechts) verkaufte 2009 Carlo die Gondel. Gondelbau liegt in der Familie Tramontins. Sein berühmter Großvater Dominco Tramontin hat einst die heute übliche Gondelform entwickelt und damit Venedig ein bisschen revolutioniert. © Stine Kunze

Vorher hatte Carlo sich viele Jahre bemüht, eine Original-Gondel zu ergattern. Immer wieder mal hat er dazu auch die Reise aus Norddeutschland zum Canal Grande angetreten und war schon drauf und dran, sich sein eigenes Exemplar selbst zu bauen.

Der Venedig-Aufenthalt, der alles veränderte

Wie kommt man auf eine so verrückte Idee, will ich wissen, als Norddeutscher nach einer Gondel Ausschau zu halten? „Alles Zufall“, so Carlo. „Meine Frau wollte unbedingt nach Venedig reisen. Beim ersten Mal passte es bei mir nicht und sie fuhr allein. Sie war augenblicklich verliebt in diese Stadt und plante sofort einen zweiten Trip – auch ohne mich. Beim dritten Mal musste ich dann mit.“

Wie mit Scheuklappen habe er sich in Venedig auf einen Steg gesetzt und die Gondelführer bei ihrer Arbeit beobachtet. Angefixt von seinen eigenen Erfahrungen als Ski-Langläufer und Surfer fand er es einfach spannend zu zuschauen, wie die Gondolieri immer genau auf den entscheidenden Punkt fixiert sind und mit ihrer Kraft haushalten. Wie ein kleiner Junge habe er dort stundenlang gesessen, zugeschaut und wenn’s passte, auch mal mit angepackt, um jemandem beim Einparken oder Ausladen zu helfen. Als er schließlich das erste Mal selbst das Ruder in die Hand nehmen durfte, wusste er: Das ist es!

Eigentlich eine Männerbastion. Giorgia Boscolo ist die erste Gondoliera in Venedig. © Uwe Kunze

Auf weiteren Besuchen in Venedig habe er viele Bekanntschaften geschlossen mit Gondelfahrern und eben auch mit Tramontin. Man habe ihm, dem unermüdlichen Deutschen, schließlich Tipps und Kniffe beigebracht. Dass er selber die Bauzeichnung für eine Mascareta anfertigte und diese beinahe ohne fremde Hilfe fertigbaute, habe ihm schon große Anerkennung vom Werftbesitzer eingebracht. Dabei kam ihm wohl seine eigentliche Ausbildung als Bauingenieur zu Hilfe.

Es sollte schon der Norden sein

Er legte schließlich auch die Prüfung als Gondoliere in Venedig erfolgreich ab. Klar war aber für ihn von Anfang an, dass er nicht dort, sondern in einer norddeutschen Stadt schippern wollte. Kiel oder Hamburg hießen eigentlich seine Pläne. Stade ist es dann aus familiären Gründen geworden. Ein Glücksgriff, wie er heute sagt. O-Ton: „Stade ist für mich außerhalb Venedigs die Nr. 1 zum Gondelfahren.“ Die ruhigen, windgeschützten Gewässer rund um die Altstadt, sind ideal zum Rudern. „Der Perspektivenwechsel – auf der einen Seite die Stadt vom Wasser und schon wenige Minuten weiter die reinste Idylle, das ist schon ideal.“ Am schönsten sind die frühen Morgenstunden, wenn man am Uferrand des Schwingeflusses auch schon mal einem Eisvogel begegnet.

Ein Glückmoment für Frühaufsteher. Ein Eisvogel auf Stades Gewässer. © Egbert Höft

Die eindrucksvollsten Erlebnisse auf dem Wasser, kommt Carlo ins Schwärmen, seien aber die, wo’s menschelt an Bord. Besonders beliebt bei jungen Paaren seien die Mondscheinfahrten. Heiratsanträge habe er schon rund 50 Stück live miterlebt: „Mit bislang 100%iger Erfolgsquote.“ Da sei dann schon mal eine Flaschenpost abgesetzt worden, die das Paar dann wie zufällig aus dem Wasser fischte. „Du gehst ja auf Nummer sicher“, war der Kommentar der angehenden Braut als sie beim Aussteigen die Ersatzflasche an Bord entdeckte.

Auf dem Burggraben in Stade unterwegs… © Martin Elsen
…Idylle pur. © Martin Elsen

Im Winter wird gepflegt

Die unterschiedlichen Begegnungen an Bord, manche romantische Stunde und das Beobachten der Natur am Uferrand sind es dann auch, die ihn für den Aufwand, eine solche Perle in Norddeutschlands Gewässer zu hegen und pflegen, entlohnen. Gut 250 Stunden im Winter, hat Carlo mal ausgerechnet, kostet ihm jedes Jahr das Ausbessern, Reparieren und Lackieren des schönen Stücks im hohen Norden.

Freie Minuten werden genutzt zum Schleifen, Streichen oder wie hier Kalfatern. © Dorothee Tashiro

Wie kommt man zu Carlo in die Gondel?

Individuelle Anlässe geben den Rahmen für die Fahrten auf Stades Burggraben vor. Zeiten und Wünsche können frei vereinbart werden. Selbstverständlich berät Carlo auf Anfrage, wie lange die Tour gehen sollte und welches die richtige Tageszeit sein könnte. Auf Wunsch können auch ein Gitarrenspieler mit gebucht oder Deko-Wünsche erfüllt werden. Hochzeitsgesellschaften haben die Gondel schon samt der beiden Fleetkähne, die ebenfalls auf Stades Burggraben zuhause sind, gechartert. An jedem Wochenende werden zudem öffentliche Schnupperfahrten angeboten, die rund 20 Minuten dauern.

Infos

Die Termine für öffentliche Fahrten finden Sie hier.
Weitere Informationen und Impressionen sowie den Kontakt zum Gondoliere finden Sie auf Carlos Homepage.

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