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Urbanes Bilderbuch Wolfenbüttel

Als Kerstin Hecker und ich in die Wolfenbütteler Straße „Kleine Breite“ einbiegen, sprüht gerade ein Typ mit Basecap grüne Farbe auf die Außenwand einer der knapp 200 Trafostationen Wolfenbüttels. Mitten am Tag, ohne jede Eile. Dabei hört er Musik. Dieser jemand ist Simon Pape. Und was er macht, ist nicht etwa illigales Graffiti. Nein, er hat sogar den Auftrag dazu, die Trafostationen der Stadtwerke Wolfenbüttel zu besprühen.

Simon und die Trafostationen

Simon Pape bei der Arbeit ©Claudia Sittner

Das macht er bereits seit 2017. 14 Trafostationen hat er seither ein ganz neues Erscheinungsbild verliehen. „Erst waren die Leute hier skeptisch, haben mich von der Seite beäugt“, sagt Simon. Mittlerweile kennen die Wolfenbütteler ihn und schätzen seine Arbeit. „Als ich an der Trafostation bei der Hochschule Ostfalia in der Salzdahlumer Straße gearbeitet habe, hat eine ältere Frau mir z. B. jeden Tag immer um dieselbe Uhrzeit ein Eis gebracht. Einfach so“, lächelt Simon bei der Erinnerung.

Hübsche Bilder malen

Illegale Graffiti seien nie sein Ding gewesen. Er wollte immer nur hübsche Bilder malen, das habe er jetzt zu seinem Beruf gemacht. „Künstlerische Fassadengestaltung mit der Sprühdose“, nennt er seinen Job. Alle 14 Trafostationen in Wolfenbüttel hat er besprüht. Immer mal wieder ist er dafür in die niedersächsische Stadt gekommen. Für ein Projekt wie das an der Kleinen Breite, das aus drei Objekten besteht, braucht er ungefähr zwei Wochen.

So entstehen die Bilder für die Trafostationen

Bevor Simon anrückt und mit seinem Sprühdosensortiment an die Arbeit geht, kommt er für einen Sichtungstermin nach Wolfenbüttel. Dann nimmt er die Trafostationen und vor allem auch ihre Umgebungen ganz genau unter die Lupe. Denn damit sollen die Stationen korrespondieren: mit dem Umfeld, in dem sie stehen. Sie sollen sich harmonisch einfügen, und das tun sie manchmal so perfekt, dass man sie kaum noch sieht, wie die Pferde auf der Weide Ecke Adersheimer und Grauhofstraße.

Trafostation mit Pferden an der Adersheimer Straße/Grauhofstraße ©Claudia Sittner

Skizzen am Computer

„Die Leute fragen mich manchmal bei der Arbeit, ob es die Trafostationen hier schon immer gab. Sie nehmen sie oft jahrelang nicht wahr, erst wenn ich ihnen wieder Leben einhauche“, berichtet Simon über die Reaktionen der Wolfenbütteler. Wenn er dann nach dem Sichtungstermin wieder nach Hause nach Magdeburg fährt, hat er meist schon eine Idee für die neue Trafostation im Kopf. Diese skizziert er dann am Computer im Programm Photoshop und schickt die Datei mit der Vorlage an Kerstin Hecker, denn deren Engagement verdankt Wolfenbüttel seine bisher 14 Schmuckstücke.

Skizzen in Photoshop erstellt ©Claudia Sittner

Die Initiatorin

Kerstin Hecker leitet das Marketing bei den Stadtwerken Wolfenbüttel. Sie möchte die Stadt für ihre 56.000 Einwohner schöner machen, den Menschen etwas zurückgeben. Ihr liegt das Projekt seit vielen Jahren am Herzen, doch lange beißt sie damit in ihrem beruflichen Umfeld auf Granit. 

Kerstin Hecker und Simon Pape an der Trafostation Kleine Breite ©Claudia Sittner

Das ändert sich mit einem Wechsel in der Geschäftsleitung bei den Stadtwerken Wolfenbüttel. Plötzlich weht frischer Wind, und Kerstin Hecker bekommt im Januar 2017 das Go für ihr Herzensprojekt. Das Unternehmen ART-EFX, dem sie den Auftrag, die Trafostationen zu besprühen, geben möchte, kennt sie schon von einem früheren Job. Deshalb geht die Auftragsvergabe am Ende recht schnell, ART-EFX bekommt den Zuschlag und damit Simon den Job, Wolfenbüttels Trafostationen zu besprühen.

Auf die Sprühdose, fertig, los

Im Mai 2017 fällt der Startschuss und die ersten vier Stationen bekommen tatsächlich Farbe. Die allererste Station ist die am Theater:

2018 und 2019 folgen weitere. Auch 2020 soll das Projekt weitergehen. Es werden immer solche Trafostationen ausgewählt, die an Orten stehen, wo möglichst viele Menschen sie wahrnehmen. Sie haben immer einen Bezug zu ihrer direkten Umgebung, zu Wolfenbüttel mit seiner langen Fachwerkgeschichte und zu den Stadtwerken: Zum Beispiel, wenn auf einer Trafostation ein Bild von einem Elektroauto, das gerade aufgeladen wird, zu sehen ist.

Trafostation an der Ostfalia Hochschule Wolfenbüttel ©Claudia Sittner

Verwendet werden dafür luftdicht abschließende Lacke aus der Sprühdose. In seinem weißen Kastenwagen hat Simon im Schnitt 200-300 Sprühdosen in 50-100 Farbtönen dabei: „Diese Zahlen variieren je nach Anforderung einer Arbeitswoche. Male ich beispielsweise mehrere, kleinere Stationen in einer Woche, welche völlig unterschiedliche Motive beinhalten, muss ich mehr unterschiedliche Farbtöne mitnehmen. Male ich eine größere Station, wie aktuell in der Kleinen Breite, die eine zusammenhängende Landschaft verpasst bekommt, muss ich zwar weniger verschiedene, jedoch mehr Dosen eines Farbtones mitnehmen“, erklärt Simon. Denn auch wenn die Motive spielerisch aussehen, ist es sicher kein Kinderspiel ein Motiv so professionell auf eine so große Fläche zu bringen.

Wenn man die ersten Stationen mit den neuesten vergleicht, sieht man schnell, wie Simons Stil sich in den letzten Jahren verändert hat. „Jeder (Herzblut-)Künstler strebt stetig danach, sich weiterzuentwickeln, sich zu verbessern. Ich denke, eine solche Entwicklung lässt sich auch bei meinen Arbeiten ablesen“, resümiert er.

Motive aus dem Bilderbuch

Die Motive sind allesamt familienfreundlich, wie die Seiten eines Bilderbuchs. Oft zeigen sie ins Sonnenlicht getauchte Landschaften. Heimische Hof- und Nutztiere sind ebenfalls beliebt. Sehr idyllisch, fast ein bisschen kitschig, diese heile Welt auf den Trafostationen. Aber nur fast, denn die Bilder sind handwerklich gut gemacht, und ich freue mich immer, wenn ich wieder eine von Simons Trafostationen entdecke. Sie machen einfach gute Laune.

Gasdruckregelanlage in der Schweigerstraße am Verkehrskreisel am Ortseingang Wendessen, 2017 ©Claudia Sittner

Versteckte Details?

Auf meine Frage, ob Simon Pape manchmal Details oder ein heimliches wiederkehrendes Motiv, eine Art Markenzeichen, in den Bildern auf den Trafostationen verstecke, denkt er erstmal einen Moment nach. Schließlich steht seine Auftraggeberin neben uns. Nach einem Zögern antwortet er mit einem „Vielleicht“.

Auch wenn alle Motive familienfreundlich sind, findet man doch manchmal amüsante Details, so als würde Simon einem damit zuzwinkern wollen: Z. B. den Mops, der an der Trafostation in der Goslarschen Straße beim Forum das Bein hebt.

Trafostation an der Goslarschen Straße ©Claudia Sittner

Wolfenbüttels urbanes Bilderbuch

Und auch wenn die Stationen nur mit ihrer Umgebung, nicht miteinander korrespondieren oder gar eine Geschichte erzählen, ergeben sie doch alle zusammen ein einzigartiges urbanes Bilderbuch.

Deswegen meine Empfehlung: Wer mal wieder eine Idee für eine Radtour durch Wolfenbüttel sucht, kann sich auf die Suche nach den Spuren von Kerstin Hecker, Simon Pape und ihrem urbanen Bilderbuch machen – am besten wie ich mit dem E-Bike. 

Hier ist die Karte dafür:

Simon Pape folgen

Simon Pape kann man übrigens auf Instagram @simonpapeart und auf Facebook @SiriusSevenDesign folgen. Wenn er nicht gerade Trafostationen verschönert, ist er Illustrator für Fantasy & Science Fiction. Oder er ist mit seiner Crew „HighTech“ (Facebook: @HighTechCrew) – so nennt man Gruppen von Streetart-Künstlern – auf Graffitijams oder Streetart Festivals unterwegs.

News über die Trafostationen

Infos über die neuesten bemalten Trafostationen gibt es auf der Facebook-Seite der Stadtwerke Wolfenbüttel: @SWWolfenbüttel, im Kundenmagazin oder auf dieser Website: https://www.stadtwerke-wf.de/unternehmen/aktuell/trafostationen.html

Über Claudia Sittner / die Autorin

Claudia hat Ende 2015 ihren großen Traum wahr gemacht und ist gemeinsam mit ihrem Freund ein Jahr lang durch 20 Länder über vier Kontinenten einmal um die Welt gereist. Dafür haben die beiden ihre Vollzeitjobs auf Eis gelegt, ihre Wohnung untervermietet und ihren Reiseblog weltreize.com gegründet. Seit sie zurück sind, nutzen sie jede Gelegenheit, um ihren liebsten Beschäftigungen nachzugehen: Reisen, Tauchen und Bloggen. Besonders gern schreibt sie über alternative Orte und Streetart.

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