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Die Südstadt. Einfach nur ein langweiliges Wohngebiet?

Ein Freitag morgen im Juli 2020, blauer Himmel, ein paar Wolken, Sonnenschein. Bei einer Tasse Kaffee auf dem Balkon überlege ich mir, was ich mit meiner Corona bedingten Freizeit Sinnvolles und Produktives anstellen könnte. Ich nehme mir vor, diesen freien Tag wie einen Urlaubstag anzusehen und einen Städtetrip in die eigene Stadt zu unternehmen. Ich möchte ein paar mir un- oder wenig bekannte Stadtteile besuchen. Nach einer kurzen Überlegung fällt meine Wahl für heute auf die Südstadt. Ich möchte das Wetter genießen und einen lebendigen, abwechslungsreichen Stadtteil erleben. Das sollte in der Südstadt doch gegeben sein. Als ich vor einigen Jahren zum Studieren nach Hannover zog, hieß es immer, dass in der Südstadt der Hund begraben liegt. Es sei spießig, piefig, angestaubt und langweilig und tatsächlich war ich in all meinen Jahren hier kaum mal in diesem Stadtteil und habe diesen Ruf nie validieren oder widerlegen können.

Hannover Südstadt: Keine Hipsterstraßenzüge

Klar, offensichtlich fehlen coole Clubs und Szeneviertel. Es gibt keine Hipsterstraßenzüge und keine Shopping Hotspots, aber im Jahr 2020 ist das ja eigentlich auch eher etwas Gutes. Dafür verraten das Landes- und das Sprengel Museum als Ankerpunkte der hannoveranischen Kulturlandschaft und beispielsweise die Eisfabrik, dass die Südstadt keine kulturelle Brache und nicht nur ein reines, ruhiges Wohnviertel der mittleren bis älteren gutbürgerlichen Mittelschicht und des Beamtentums ist. Und neben dem Maschsee gibt es bestimmt noch weitere schöne und vielleicht auch nicht ganz so überlaufene Ecken der Naherholung.

Und damit habe ich bereits sämtliche Orte im Stadtteil aufgezählt, an denen ich im Vorfeld dieser Exkursion schon mal gewesen bin. Mit Sicherheit lässt sich noch viel mehr entdecken. Es ist Zeit, diesem immer noch recht präsenten Vorurteil und Klischee über die Südstadt mal auf den Grund zu gehen. Ich trinke auf, packe meinen Rucksack, schnappe mir die Kamera und mein Fahrrad und es geht los. Ich bin gespannt.

Naherholung Großgeschrieben

Ich beginne meine Tour im Maschpark, der ja strenggenommen zum Stadtteil Mitte zählt. Durch seine Lage südlich der Altstadt und in Funktion als Tor in die Südstadt trotzdem eine ganz hervorragende und passende  Station und ein würdiger Auftakt für meinen Ausflug abgibt. Dieser kleine Park wurde im Zuge des Rathausneubaus geplant und angelegt und besteht heute noch in seiner ursprünglichen Form. Rund um den künstlichen See befindet sich  eine vielfältige und abwechslungsreiche Vegetation. Magnolien, Ahorn, Kastanien, Roteichen bieten schattige Plätze für die vielen Sitzbänke und die kleinen Brücken.

Maschpark

Zu dieser Tageszeit ist der Maschpark nur spärlich besucht. Nur ein paar Spaziergänger und ein paar Teenies beim Selfies machen befinden sich neben mir auf der Anlage sodass tatsächlich ein erholsames, ruhiges Idyll gegeben ist. Das neue Rathaus bestimmt das Panorama und man versteht, warum dieses Gebäude vor allem in diesem Ensemble mit dem Maschpark und Teich ein derart beliebtes Photomotiv ist. Die gesamte Anlage in Kombination und Zusammenspiel aus Landschaftspark und Architektur, besonders im Wissen um die zentrale Lage im urbanen Raum ist sehr schön zu betrachten und gelungen. Der Park ist gepflegt und sauber, definitiv ein Ort, den ich in Zukunft wieder aufsuchen werde.

Maschpark – Neues Rathaus

Meine Strecke führt mich die Willy Brandt Allee entlang gen Süden, zum Maschsee. Vorbei am niedersächsischen Landesmuseum, einem architektonischen Prachtbau der Neorenaissance, das unter anderem bedeutende archäologische und künstlerische Exponate in seinen verschiedenen Abteilungen beherbergt. Es zeigt immer wieder interessante Wechselausstellungen und ist definitiv einen Besuch wert. Besonders gut eignet sich dafür ein verregneter Freitag Nachmittag, da man zu dieser Zeit das Museum kostenfrei besichtigen kann.

Auch das Sprengel Museum, nur wenige Meter vom Landesmuseum Richtung Maschsee entfernt, lohnt sich zu besuchen. Dieses Kunstmuseum gilt als eins der wichtigsten und bedeutsamsten Museen in Norddeutschland und legt seinen Ausstellungsschwerpunkt auf den deutschen Expressionismus und die französischen Moderne. Neben Werken von beispielsweise Picasso, Nolde, Klee, Macke, Chagall und Warhol befindet sich der künstlerische Nachlass der Nana-Erschafferin Niki de Saint Phalle im Besitz des Museums.  Das im Laufe der Jahre immer weiter gewachsene Gebäude mit mehreren, teilweise stark kontrovers diskutierten Anbauten liegt direkt am Nordufer des Maschsees und kann ebenfalls an Freitagen kostenfrei besucht werden.

Maschsee

Der Maschsee gilt gemeinhin als beliebtestes Ausflugs- und Naherholungsziel in der City. Er erscheint mir heute, bei Wind, eher wie die Nordsee als mediterran.

Entlang des Rudolf-von-Bennigsen-Ufers, am Funkhaus des NDR vorbei, begegnen mir nur vereinzelt Jogger und Flaneure. An den Uferbegrenzungen und Stegen sitzen nur wenige Menschen, sodass die Enten in Ruhe schlafen können. Auch auf dem Wasser sind nur wenige Boote unterwegs, das Wasser im See ist klar, sodass man ab und an sogar die großen Maschseekarpfen zu Gesicht bekommt. Entlang des Ufers befinden sich etliche Restaurants, Biergärten und ähnliche Außengastronomie. Schattige Bäume entlang der Promenade laden zum Verweilen ein. Bei strahlendem Wetter könnte tatsächlich der vielzitierte mediterrane Flair entstehen.

Maschsee Hannover

Dieser knapp 80 Hektar große künstliche See wurde auf dem Gebiet der ehemaligen Leinemasch in den 1920er Jahren als Hochwasserschutzmaßnahme und Naherholungsgebiet geplant. Das Bauvorhaben dann in den 30er Jahren auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme umgesetzt und 1936 fertiggestellt. Seitdem ist es das größte Gewässer im Stadtgebiet. An Gedenktafeln und an der Löwenbastion vorbei, fahre ich ans südliche Ende der Südstadt.

Hier am südlichen Ende der Südstadt an der Grenze zum Stadtteil Döhren prägen  Wohnhäuser, Apotheken, Sanitärhäuser und Ärzte die Gegend und lassen vermuten, dass zumindest in diesem Gebiet das Klischee vom Wohnviertel für Rentner und Pensionäre der gutbürgerlichen Mitte zutreffend ist. Klinkerbau und Reihenfassaden sind architektonisch dominant. Restaurants, Bars und interessante Geschäfte sind eher nicht vorzufinden. Also geht es für mich schnell stadteinwärts. Über ein langes Areal zieht sich bis zum Altenbekener Damm das Werksgelände der Gilde Brauerei, dem ältesten Unternehmen der Stadt. Ein Gebäudekomplex im typischen Stil des norddeutschen Backsteinexpressionismus. Für viele Hannoveraner ein Wahrzeichen der Stadt und Quell des guten Geschmacks. Auch wenn für mich als Kölner ein Gilde Pilsener nicht die erste Wahl ist und es zeitlich noch viel zu früh dafür wäre, bekomme ich doch Lust auf ein Bier und schaue mich nach einer netten Lokalität um.

Gilde Brauerei

Die neue Südstadt, unterwegs im Kiez

Dafür bewege mich von der Hildesheimer Straße weg in den Südstadtkiez hinein. Und so langsam bekomme ich ein Gefühl für den Charakter der Südstadt. Auch hier in den klassischen Wohngebieten sind die vor allem in den 1920er Jahren errichteten vier- bis fünfgeschossigen Reihenhäuser. Die Südstadt hatte stark unter den Bombenangriffen im 2. Weltkrieg zu leiden und nicht nur die ersten Toten durch Fliegerbomben im Stadtgebiet zu beklagen, sondern auch einen enormen Verlust der Bausubstanz und Wohnfläche. Vieles konnte wiederaufgebaut werden. Dazu ist vielerorts eine Verdichtung mit typischer Nachkriegsbebauung vorzufinden.

Hannover Südstadt: Wochenmarkt, Restaurants und Geschäfte

Über die Geibelstraße erreiche ich den Stephansplatz. Hier findet freitags ein beliebter Wochenmarkt statt, der auch heute trotz Corona sehr gut frequentiert wird und ein vielfältiges Angebot an regionalen Lebensmitteln anbietet.  Es befinden sich einige Restaurants und Geschäfte wie zum Beispiel der „LoLa Loseladen“ in der Nähe, viele Kitas, Schulen, Spielplätze und Geschäfte des Einzelhandels zeigen, dass hier viele junge Familien mit Kindern leben und sich das Stadtbild weg vom Klischee verjüngt und entwickelt hat. Mittlerweile ist die Südstadt auch dank ihrer zentralen Lage eins der attraktivsten Wohngebiete der Stadt. Mit knapp 40.000 Einwohnern nach der List ist die Südstadt der zweitbevölkerungsreichste Stadtteil und verfügt als kinderreichster Stadtteil über die höchste Schuldichte im Stadtgebiet.

Zwischen Craft Beer und Eisfabrik

In der Schlägerstraße finde ich das Craftbeer Kontor. Ein Geschäft mit einer beeindruckenden Auswahl an Bieren, das auch Events wie Tastings veranstaltet und das man auch gediegen als Pub aufsuchen kann. Es gibt zwar leider kein „Mühlen Kölsch“, dennoch werde ich fündig und nehme mir eine Flasche für heute Abend mit. Durch die Seilerstrasse gelange ich zum Gelände der Eisfabrik, einem bekannten und wichtigen Kunst- und Kulturzentrum der Südstadt. Hier ist u.a. die Commedia Futura ansässig, Tanz- und Theatervorstellungen finden hier statt und es gibt Kunstausstellungen in den Ateliers und Galerien. Dadurch hat die Eisfabrik einen festen Platz in der Kunstszene der Stadt. Ich bewege mich Richtung Sallstraße, einer weiteren Hauptstraße der Südstadt. Dort entdecke ich die Goldfischbar, die sowohl optisch wie auch von der Karte her einen äußerst einladenden Eindruck macht. Diesen Laden werde ich mit Sicherheit post Corona abends mal aufsuchen und ausprobieren.

Eisfabrik Hannover Südstadt

Vorbei an weiteren Bars und Restaurants, Geschäften und Supermärkten, gelange ich zur Marienstraße. Das ist die vielleicht bekannteste Straße der Südstadt. Hier kaufe ich mir bei Eis 2000 ein Eis auf die Hand, die Auswahl auch an veganem Eis ist groß, der Verkäufer sehr freundlich. Ich schiebe mein Rad Eis essend an diversen Restaurants, Cafés und Geschäften vorbei bis zum Café Gleichklang, einem veganen Café mit großen Kuchenauswahl und asiatischen Spezialitäten. Ich besorge ein paar leckere Stück Kuchen für den Nachmittag auf dem Balkon  und mache mich weiter auf den Weg die Marienstraße entlang bis zum Aegidientorplatz. Hier endet meine Exkursion mit einem Blick auf das Theater am Aegi und die Gebäudescheußlichkeit der Nord LB.

Goldfisch Bar

Positives Fazit für Hannovers Südstadt

Alles in allem muss ich feststellen, dass die Südstadt ein sehr angenehmer Stadtteil mit hoher Lebensqualität ist. Viel jünger und abwechslungsreicher als ihr Ruf und mit phänomenalen Naherholungsmöglichkeiten ausgestattet. Es ist was die Ausgehmöglichkeiten angeht kein Linden oder nicht die Nord- oder Oststadt. Dennoch gibt es einladende Bars, Cafés und Restaurants. Die Anbindungen mit der U-bahn, dem Bus oder mit dem Fahrrad sind sehr gut ausgebaut, sodass sich auch eine kurze Stippvisite durchaus lohnt. Retrospektiv kann ich nun nicht mehr wirklich sagen, warum ich in all den Jahren die Südstadt so stiefmütterlich behandelt und mich von ihrem Ruf habe blenden lassen. Ich werde bestimmt wiederkommen und tiefer eintauchen.


Wenn euch mein Besuch in Hannover Südstadt gefallen hat, vergesst nicht auch die Nordstadt zu entdecken. Hier findet ihr alle Infos zu einem gelungenen Besuch.

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