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Bühne frei! Freies Theater im Theaterhaus Hildesheim

„Hier tun wir nicht nur, als ob. Hier trinkt man wirklich, hier macht man wirklich Sport und schneidet sogar das echte Haar ab. Wir gehen an Grenzen und schaffen wahrhaftige Momente auf der Bühne“, beschreibt mir Winnie Wilka als Geschäftsführerin performatives Theater, das im Theaterhaus Hildesheim zu Hause ist. Bühne frei für Freies Theater in Hildesheim!

Ich habe mich auf den Weg in die Nordstadt gemacht, um hinter die große grüne Tür des Theaterhauses zu blicken. Hinter dieser unscheinbaren Tür verbirgt sich ein kleiner Bühnenraum, der jede Vorstellung in ein unmittelbares Erlebnis verwandelt – und noch viel mehr.

Tamino Weingärtner und Winnie Wilka begrüßen mich vor der grünen Eingangstür des Theaterhauses

Freies Theater: Wo das Unmögliche gedacht und das Gedachte unmöglich wird

Neben Winnie Wilka treffe ich mich heute auch mit Tamino Weingärtner, der beim Theaterhaus für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Als Spiel- und Produktionsstätte des Freien Theaters in Hildesheim versteht sich das Theaterhaus selbst als Ort, wo das Unmögliche gedacht und das Gedachte ermöglicht wird. Im kommenden Jahr feiert es bereits sein 35. Jubiläum! Studierende und Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs „Kulturpädagogik“ haben den „Verein für Freie Theaterkultur Buffo e.V.“ geründet. Sie nutzen hauptsächlich die Räume der Kulturfabrik Löseke. Seit 1999 trägt der Verein dann den Namen „Theaterhaus“ und ist spätestens seitdem auch bei überregionalen Theatergruppen zu festen Spiel- und Probenort geworden.

Keine klassische Theaterbühne – hier ist sehr viel Raum für Individualität

Freies Theater in ehemaligen Lagerräumen

Winnie und Tamino erzählen mir, dass die Spiel- und Produktionsstätte für Freies Theater seit 2002 im Langen Garten in der Nordstadt betrieben wird. Wir befinden uns hier in den einstigen Lagerräumen der Textil und Handelsgesellschaft. „Wo jetzt die Bühne steht, standen damals noch Nähmaschinen“, erzählt Winnie. Seitdem hat sich einiges getan: Mittlerweile besteht das Team aus acht Festangestellten – alle in Teilzeit. Heute bietet das Theaterhaus seinem Publikum mit Schauspiel, Musik-, Tanz- und Kindertheater, inszenierten Konzerten, Poetryslams und Theaterperformances ein breit gefächertes Programm. Die Basis dafür bildet ein einzigartiger Zusammenschluss von mehr als 30 in Hildesheim gegründeten Freien Theaterensembles, die künstlerisch hochwertige und bundesweit erfolgreiche Theaterproduktionen realisieren. „Wir stellen den Raum für Freies Theater bereit, aber die Gruppen veranstalten selbst und entscheiden, was auf der Bühne passiert“, so Tamino.

Nachwuchsförderung im Fokus

Neben der Präsentation des vielfältigen Programms ist das Theaterhaus aber vor allem auf die Förderung des diversen künstlerischen Nachwuchses der Freien Szene fokussiert. Das Absolvieren der Stufen des Projekts „FREI_TREPPE“ bereitet auf das Arbeiten im Bereich der Freien Darstellenden Künste vor. Während der ersten Treppenstufe, dem SCHREDDER, konzipiert und organisiert das studentische Leitungsteam während seines Arbeitszeitraums die Probenphasen und öffentlichen Testläufe. Die Teilnehmenden organisieren zudem das SCHREDDER-Festival Anfang April. Das Festival präsentiert die entstandenen SCHREDDER-Produktionen. Die zweite Treppenstufe, die deBühne fördert die Professionalisierung junger Theatergruppen, die sich mittelfristig eine feste Form geben wollen und ein Produzieren in der Freien Szene anstreben. Das Theaterhaus Hildesheim unterstützt zwei junge Gruppen bei ihrem Schritt in das Arbeiten unter professionellen Freien Bedingungen. Die ausgewählten Gruppen realisieren eine Produktion. Das Theaterhaus begleitet die Studierenden mit Workshops.

Die dritte Stufe Fach^Werk richtet sich an etablierte Theaterschaffende. „Wir widmen uns der Frage, was sich alles verändert hat und passen uns an die Bedürfnisse der Gruppe an. Dabei setzen wir uns zum Beispiel mit Themen wie Altersvorsorge oder Kinderbetreuung auseinander. Wir haben dafür externe Beraterinnen und Berater“, erklärt mir Winnie. Die vierte Stufe COMING OUT beschäftigt sich mit der Umsetzung von Abschlussarbeiten im Masterstudiengang. Das Theater für Niedersachsen ist ganz aktuell neuer Projektpartner. Die Studierenden bewerben sich mit einer Konzeptidee für den Masterstudiengang, die oftmals theoretisch bleibt und keine praktische Umsetzung erfährt. Eine bestehende Lücke zwischen der Förderung von studentischen Theaterproduktionen und professionellem Produzieren erschwert die Realisierung der Projekte zusätzlich. Diese Lücke versucht COMING OUT zu schließen.

Freies Theater: Grenzen verschwimmen im Theaterhaus © Tilda Schneider

„Wir haben sogar schon die Bühne geflutet!“

Was das Programm im Theaterhaus vom klassischen Theater unterscheidet, ist vor allem die Interaktivität. „Wir versuchen fast alles möglich zu machen. Wir haben sogar schon die Bühne gelutet. Theater ist bei uns nicht nur frontal. Freies Theater bereitet Experimentierraum auf allen Ebenen. Hier werden hauptsächlich Stückentwicklungen im professionellen Kontext gezeigt.“, erklärt mir Winnie. Ich erfahre außerdem, dass die Genres sehr unterschiedlich sind. Es werden aktuelle Themen aufgegriffen und nicht selten entscheidet auch das Publikum, was passiert.

Das in Hildesheim gegründete Theaterkollektiv Markus&Markus hat sich unter anderem mit Inhaftierten in den USA beschäftigt und deren Briefe auf die Bühne gebracht. Das Kollektiv edgarundallan, zu dem auch Winnie Wilka selbst gehört, beschäftigt sich zum Beispiel mit Nachhaltigkeitsthemen und legt Wert auf Theater mit allen Sinnen. „Wir machen Theater leiblich erfahrbar“, so Winnie. Theater MATZ aus Hildesheim macht bereits seit 24 Jahren Kindertheater und gehört damit zu den alten Hasen. MATZ Theaterstücke beschäftigen sich mit Freundschaft und Solidarität und auch mit Themen wie Naturschutz und Demokratie.

Freies Theater für Kinder: Theater MATZ – Der kleine Seestern © Mischa Behrend

Zugang für alle

Spannend für Kinder ist auch die Theaterreihe schauSpielPlatz, die an jedem zweiten Sonntag im Monat gezeigt wird. Gruppen aus ganz Deutschland können sich für das Format bewerben. Eine Mischung aus analogen und digitalen Angeboten trägt dazu bei, möglichst vielen kleinen und großen Gästen den Zugang zu Kultur auch in diesen herausfordernden Zeiten ermöglichen zu können. „Es ist uns wichtig, dass wir möglichst vielen Menschen den Zugang zum Theaterhaus ermöglichen. Kein Ticket ist bei uns teurer als 15 Euro und auch die Barrierearmut ist uns ein großes Anliegen. Auch wir stoßen an einigen Stellen an Grenzen, aber wir arbeiten stetig am Abbau der Barrieren“, erklärt mir Tamino. Außerdem arbeitet das Theaterhaus mit KulturLeben Hildesheim zusammen, damit auch Menschen mit geringeren finanziellen Möglichkeiten Zugang zum Theater bekommen.

concrete in.tension – brutale emphatie © Theaterhaus Hildesheim

Das Konzept des Theaterhauses hat mich auf jeden Fall überzeugt. Ich finde es spannend, was alles hinter den Kulissen aber auch auf der Bühne passiert. Ich nehme das Programm noch einmal genauer unter die Lupe und werde mir bald ein Stück anschauen.

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