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Hannovers „Miss Jazz“

Etwa 35 Meter erhebt sich der Lindener Berg in Hannovers Stadtteil Linden-Mitte und Linden-Süd über das Stadtgebiet. Wer sich den Berg empor ackert, stößt neben Sternwarte, Bergfriedhof und dem Biergarten Lindener Turm auf ein denkmalgeschütztes Gebäude mit Pyramidendach und Gaubenfenstern. Dort ist der Jazz Club Hannover beheimatet. Seit 1966 bietet er Jazz-Fans ein verlässliches Forum. Mit rund 60 Konzerten im Jahr gibt’s in dem ehemaligen Kohlenkeller Musikgenuss vom Feinsten in familiärer Atmosphäre. Bis zu 200 Zuschauer finden dort Platz, teils auf der Bühne, was so gewollt ist: Hautnah soll man seine Stars erleben können! Jazz-Legenden wie Lionel Hampton, Duke Ellington und Roger Cicero traten in dem Haus mit der Nummer 38 schon auf. Seinen Spitznamen „Orange-Club“ verdankt die Musikstätte seiner orangefarbenen Inneneinrichtung. Seit 2020 leitet den Club eine Frau. Ein Stadtgesicht in Hannover, dass ihr kennenlernen solltet. Heute möchte ich euch „Miss Jazz“ aus Hannover vorstellen und über ihr Wirken in Hannover berichten.

Im Jahr 2020 wurde Dr. Vanessa Erstmann an die Spitze des Clubs gewählt. Damit spielte erstmals in seiner mehr als 50-jährigen Geschichte eine Frau die erste Geige in dem renommierten Club und der Männerdomäne Jazz. Zu der Ehre dieses Ehrenamtes kam die heute 38-Jährige eher zufällig.

Doch der Reihe nach: Vanessa Erstmann ist gebürtige Hannoveranerin und bekennende Sympathisantin der Leinemetropole. So trieb es sie zum Studium der Geschichtswissenschaft nicht in die Ferne, sie immatrikulierte sich in ihrer Heimat an der Leibniz-Universität Hannover. Bei Recherchen für ihre Doktorarbeit über das Image Hannovers 2015 stieß sie auf den Nachlass von Mike Gehrke. Der war seit den frühen 70er Jahren nicht nur Hannovers Stadtimagepfleger (ein Amt, das bis heute deutschlandweit einmalig war), sondern auch über Jahrzehnte Vorsitzender des Jazz Clubs Hannover. In den Räumen am Berg bunkerte „Mister Jazz“, wie Gehrke bis heute posthum genannt wird, rund 300 Leitzordner in Ikea-Regalen – akribisch sortiert nach Booking, Konzertverträgen, Presseberichten und vielen weiteren Zeitdokumenten – allesamt ohne Schutz vor Umwelteinflüssen*.

Oben forscht Hannovers Imageexpertin, unten kommen kratzige Klänge aus dem Keller

Mit Begeisterung nahm die junge Doktorandin das Angebot an, vor Ort im Club die Ordner durchzuarbeiten. Sie bekam einen kleinen Raum mit Schreibtisch im Erdgeschoss zur Verfügung gestellt und konnte direkt aus dem vollen Forschungsmaterial schöpfen. „Ich saß zwischen Instrumenten und den ganzen Aktenordnern und während ich oben recherchierte, wurde unten gejammt. Hin und wieder schauten Clubmitglieder und Musiker vorbei. So bin ich schnell im Vereinsleben angekommen und immer mehr in den Club hineingewachsen“, erzählt Erstmann.

2017 rückte die neue „Miss Jazz“ in den Vorstand auf und übernahm das neu geschaffene Ressort Öffentlichkeitsarbeit. 2020 wurde sie Club-Chefin. Gemeinsam mit ihrem Team stellte Erstmann ein facettenreiches Programm zusammen – jünger, vielfältiger, weiblicher – von Free Jazz über Swing bis hin zu Soul, Funk oder Jazz-Hip-Hop. Auch die Erfolgs-Reihe „Women in Jazz“ von 2022 wurde wieder aufgenommen. „Wir wollen ein jüngeres Publikum ansprechen und Frauen im Jazz sichtbar machen“, sagt Erstmann.

Gleichberechtig hören:
Im Jazz Club Hannover gibt’s ein vielfältiges Programm auf die Ohren

Das Potenzial an Nachwuchs-Fans der heiser-melodisch gehauchten Jazzklänge in Hannover ist groß. „Wir veranstalten regelmäßig Abschlusskonzerte für die Studierenden des Jazz-Studiengangs an der Hochschule für Musik und Theater. Außerdem planen wir eine Newcomer-Reihe. Über das Programm und unsere moderaten Preise bedienen wir ein jüngeres Klientel.

Wenn Vanessa Erstmann über Hannover erzählt, leuchten ihre Augen. Aus jeder Pore strömt Begeisterung für ihre Heimat. „Hannover ist Konzert- und Kulturmetropole und gerade feiern wir zehn Jahre Unesco City of Music. Da ist viel Potenzial. Kultur ist schließlich der Kit für die Gesellschaft, Musik verbindet Menschen.“ Ihr ehrenamtliches Engagement als Vorsitzende ist so was wie die „logische Konsequenz“ aus Hannoverliebe und Kulturverzückung. Erstmann: „Mit meinem Einsatz im Jazz Club habe ich ein Ventil gefunden, mich für meine Stadt einzusetzen.“

30 Wochenstunden investiert sie mit ihrem ehrenamtlichen Engagement, in Großkampfzeiten sind es bis zu 50 Stunden. Das ist zum Beispiel rund um das jährliche Open-Air-Jazz-Festivals enercity swinging hannover am Himmelfahrtstag vor dem Neuen Rathaus der Fall. „Das geht nur mit einem starken Team. Aber wenn man dann auf der Bühne vor Zehntausenden steht, die einem dankbar applaudieren, weiß man, wofür man sich engagiert.“

Bunt und begeisternd: Enercity Swinging Hannover vor dem Neuen Rathaus


Maschsee, Cumberlandsche Galerie, Lindener Berg: 
Lieblingsorte gibt’s in Hannover viele!

Und an welchen Ort findet sie Ausgleich zur Arbeit?
„Ach, da gibt es viele“, sagt Erstmann. „Als Südstädterin habe ich natürlich den Maschsee direkt vor der Haustür und gehe dort gerne laufen, wenn es noch ruhig rund um den See ist. Und natürlich bin ich ein Riesenfan vom Maschseefest im Sommer.“ Zum Tanzen geht’s gern in Hannovers schönstes Treppenhaus: „Die Cumberlandsche Galerie bietet eine einmalige Atmosphäre mit seiner Kombination aus historischem Treppenhaus, Funky Musik und der kulturellen Szene, die sich dort tummelt.“

Möglichkeiten zum Einstimmen auf Hannover gibt’s also genug. Am besten einfach mal auf dem Lindener Berg beginnen.

* Die Dokumente wurden im Zuge der Aktenrecherche von Vanessa Erstmann in säurefreie Verpackungsmaterialien um verpackt und 2016 dem Stadtarchiv Hannover übergeben.

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